Als Volksschullehrerin lag Katharina Zinnicken das traurige Los ihrer Berufskolleginnen besonders am Herzen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden nämlich zahlreiche Junglehrerinnen aus dem Schuldienst entlassen, um ihren männlichen Kollegen Platz zu machen. Die in der katholischen Frauenbewegung engagierte Katharina Zinnicken bemühte sich nach Kräften, die arbeitslosen jungen Frauen zu unterstützen und half ihnen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz.  Doch damit endete ihr soziales Engagement keineswegs. Als überzeugte Katholikin kümmerte sie sich auch um die Ärmsten der Armen, vor allem Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen.

Katharina Zinnicken
© Kölner Frauengeschichtsverein

Im Marxismus gibt es den Begriff der „industriellen Reservearmee“. Er beschreibt das Phänomen, dass der Arbeitsmarkt in der Regel zu wenige freie Stellen anbietet, um alle Arbeitssuchenden tatsächlich in Lohn und Brot zu bringen. Doch es gibt immer wieder Situationen, in denen diese „industrielle Reservearme“ gebraucht wird. So ähnlich erging es den Frauen in den beiden Weltkriegen. Waren sie zuvor in die Rolle der Hausfrau und Mutter gedrängt worden, wurden sie im Krieg dringend benötigt, um die an der Front eingesetzten Männer zu ersetzen.

Das betraf auch den Lehrerberuf. Während die männlichen Kollegen in den Krieg zogen, mussten zahlreiche Junglehrerinnen eingestellt werden, um die Lücke zu füllen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden sie ohne jeglichen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung in eine ungewisse Zukunft entlassen.

Katharina Zinnicken, geboren am 3. November 1893 in Köln, wollte nicht hinnehmen, dass ihre jungen Berufskolleginnen ins Elend abglitten. Allein in Köln wurden 1920 rund 150 Junglehrerinnen arbeitslos, weil das „Unterbringungsgesetz“ verfügte, dass vorrangig Kriegsheimkehrer und – überwiegend katholische – Flüchtlingslehrer Anspruch auf Beschäftigung hatten. Durch den kriegsbedingten Geburtenrückgang war auch die Aussicht auf baldige Neuanstellungen der Lehrerinnen ausgesprochen schlecht.

Katharina Zinnicken, Mitglied im „Verein katholischer deutscher Lehrerinnen“ bemühte sich nach Kräften, den jungen Frauen zu helfen. Schon seit 1919 leitete sie erste Fortbildungskurse für erwerbslose Lehrerinnen und richtete eine entsprechende Beratungs- und Vermittlungsstelle ein. Trotzdem dauerte es mehrere Jahre, bis sich die Notlage der jungen Frauen langsam wieder besserte.

Im Oktober 1926 wurde Katharina Zinnicken als Mitglied der katholischen Zentrumspartei in den Kölner Stadtrat gewählt, wo sie bis 1933 in Ausschüssen zu Bildung, Fürsorge und Wohlfahrtswesen tätig war. Mit der Weltwirtschaftskrise trat Ende der zwanziger Jahre ihr karitatives Engagement in den Vordergrund. Die zunehmende Verelendung der Bevölkerung erlebte sie praktisch vor ihrer eigenen Haustür am Eigelstein 123.

Im Rahmen der Kölner Ortsgruppe „Katholischer Fürsorgeverein Frauen, Mädchen und Kinder“ (heute Sozialdienst katholischer Frauen) betreute sie sonntags Fürsorgezöglinge im Klapperhof, wo der Verein seine Räumlichkeiten hatte. Dabei war es dringend nötig, dass die Kinder eine warme Mahlzeit erhielten. Schon früh war aufgefallen, dass der Nachwuchs ärmerer Familien schlechter ernährt war, wobei das vor allem die Mädchen betraf. War das Essen zuhause knapp, standen sie an letzter Stelle, denn Vater und Brüder kamen zuerst. Diese Situation verschärfte sich während der Weltwirtschaftskrise noch einmal ganz gravierend.

Neben bedürftigen Kindern kümmerte sich Katharina Zinnicken auch um eine Gruppe, die ganz am Rande der Gesellschaft stand: die Prostituierten, die von der Frauen-Wohlfahrtspolizei aufgegriffen worden waren. Im Rahmen des Projekts „Mitternachtshilfe“ bemühte Zinnicken sich seit 1928 um Resozialisierungsmaßnahmen für die Prostituierten. Das Projekt initiierte eine Wohngemeinschaft, die – schon fast modern – auf den Prinzipien persönlicher Freiheit und Eigenverantwortlichkeit basierte.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war es für Katharina Zinnicken wichtiger den je, sich politisch zu engagieren und dem neuen Regime möglichst Einhalt zu gebieten. Am 25. Februar 1933 gehörte sie zu den mutigen Frauen wie Antonie Hopmann, Amalie Lauer und Christine Teusch, die einen Wahlaufruf für die Zentrumspartei unterzeichneten. Sie positionieren sich klar gegen die nationalsozialistische Ideologie, die, wie sie schrieben, auf die „physische Vernichtung des Gegners“ abzielte.

Seitdem stand Katharina Zinnicken unter Beobachtung des NS-Regimes. Zunächst wurde sie, die immer an Kölner Schulen unterrichtet hatte, in das kleine Dorf Frielingsdorf bei Lindlar im Bergischen Land versetzt oder besser gesagt: strafversetzt. 1939 kam sie nach Hoffnungsthal bei Rösrath. Hier wurde sie nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 am 24. August des Jahres im Rahmen der „Aktion Gitter“ verhaftet, nach Köln gebracht und vorübergehend im Messelager Deutz interniert, bevor sie ins SS-Lager Müngersdorf kam. Erst bei Kriegsende erlangte Katharina Zinnicken ihre Freiheit zurück. Die Erlebnisse in den Lagern, aus denen zahlreiche jüdische Insassen nach Auschwitz deportiert wurden, haben sie sehr belastet. 1946 schrieb sie als bleibende Erkenntnis, dass „die tragende Kraft in jeder Lebenslage die Religion ist. Nur Achtung und Ehrfurcht vor der Persönlichkeit machen ein Zusammenleben erträglich im Einzel- und im Völkerleben. Liebe überwindet – alles.“

Nach Kriegsende trat Katharina Zinnecken der neu gegründeten CDU bei. Beruflich blieb sie zunächst an ihrem alten Wirkungskreis und leitete drei Volksschulen in Rösrath, Hoffnungsthal und Forsbach, bevor sie Regierungsrätin in Euskirchen und schließlich im Regierungsbezirk Düsseldorf wurde.

Nach ihrer Pensionierung zog Katharina Zinnecken wieder nach Köln, wo sie am 25. April 1987 im Alter von 93 Jahren gestorben ist.

Die Stadt Rösrath hat die ebenso engagierte wie couragierte Streiterin für Gerechtigkeit nicht vergessen und 2009 ihr zu Ehren eine Straße benannt: die Katharina-Zinnecken-Straße.

Karin Feuerstein-Prasser

Quelle:

Birgit Sack, Katharina Zinnicken 1893-1987 in: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“, Münster 1995.

Katharina Zinnicken – Wikipedia