Tatsache ist, dass ich in meinem Gepäck etwas habe, das mir Flügel gibt – immer einen Drang, zu sehen in Erwartung des noch nie Gesehenen. Es ist ein Appetit auf Abenteuer und eine ewige Neugier, das unerschöpfliche, edle Los des Nomaden ….

Luise Straus-Ernst, o.J., zit. n. Ernst 1985, S. 386

Viel zu lange stand sie im Schatten ihres berühmten Ehemanns, des Malers Max Ernst (1891-1976), von dem sie nach nur kurzer Ehe geschieden wurde. Dabei hatte auch Luise Straus-Ernst eine bemerkenswerte Biografie aufzuweisen.

Hanns Bolz, Bildnis Louise Straus-Ernst vor 1918
Bildnis Luise Straus-Ernst vor 1918, © Hanns Bolz

Aufgewachsen im großbürgerlichen jüdischen Milieu erhielt Luise (Lou) Straus eine vorzügliche Ausbildung. Nach dem Abitur, das sie 1912 am ersten Kölner Mädchengymnasium ablegte, begann sie ein Studium der Kunstgeschichte in Bonn. Hier lernte sie den damals noch unbekannten Maler Max Ernst kennen und verliebte sich in ihn. Die Eltern der beiden standen der Verbindung zunächst ablehnend gegenüber, denn Max Ernst kam aus einem streng katholischen Elternhaus. Im Juli 1914 stimmten sie der Verlobung trotzdem zu.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte alle weiteren Pläne vorerst zunichte. Während Max Ernst an der Westfront eingesetzt war, setzte Luise Straus ihr Studium mit dem Schwerpunkt mittelalterliche Kunst fort und beendete es 1917 mit der Dissertation zum Thema Zur Entwicklung des zeichnerischen Stils der Kölner Goldschmiedekunst des 12. Jahrhunderts.

Nun zog sie zurück nach Köln zu ihren Eltern, die inzwischen am Königsplatz (heute Rathenauplatz) ganz in der Nähe der Synagoge lebten. Schon bald erhielt sie am Wallraf-Richartz-Museum eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft. Nach eigenen Angaben fungierte sie eher als Sekretärin, doch man betraute sie auch mit anspruchsvollen Aufgaben. 1917 kuratierte sie die Ausstellung Alte Kriegsdarstellungen, die genau hundert Jahre später noch einmal gezeigt wurde – als Hommage an Lou Straus-Ernst.

Als Max Ernst aus dem Krieg zurückkehrte, heirateten die beiden am 7. Oktober 1918 und bezogen eine Wohnung am Kaiser-Wilhelm-Ring 14. Beruflich ging es für Lou weiter voran. Im Januar 1919 übernahm sie für ein Jahr die kommissarische Leitung des Wallraf-Richatz-Museums, kündigte jedoch, als ein neuer Direktor eingestellt wurde.

Buch Autobiografie
© ISBN10: 3891 1691 491

Von nun an unterstützte sie die Karriere ihres Mannes. Ihre Wohnung war inzwischen nämlich zu einem Zentrum der neu gegründeten „Gesellschaft der Künste“ geworden, in der sich die progressiven Künstler der Dada-Szene trafen. Sie lehnten alles zuvor Dagewesene ab und wollten durch eine neue Kunst auch einen „neuen Menschen“ schaffen, um nach dem Grauen des Ersten Weltkriegs in einer friedlichen Welt leben zu können.

Auch Lou Straus-Ernst ließ sich von dieser Idee begeistern und stellte sich als Geschäftsführerin in den Dienst der Gesellschaft.

Doch das Zusammenleben mit Max Ernst gestaltete sich schwierig, erst recht nach der Geburt des Sohnes Jimmy am 24. Juni 1920. Die Ehe befand sich bereits in einer schweren Krise, als sich Max Ernst in Gala verliebte, die Frau des französischen Dichters Paul Éluard und zu ihnen nach Paris zog. Am 5. April 1926 wurde die Ehe geschieden.

Lou blieb mit Jimmy mittellos in Köln zurück und musste sich irgendwie durchschlagen. Zunächst nahm sie alle möglichen Gelegenheitsjobs an, doch schon bald begann sie, sich wieder auf ihre eigenen Interessen zu konzentrieren und als Kunst- und Kulturkritikerin journalistisch zu arbeiten. Sie schrieb für verschiedene Blätter wie die renommierte Vossische Zeitung oder die Dresdner Neuesten Nachrichten. Gleichzeitig begann sie für den Rundfunk zu arbeiten, den 1924 gegründeten Vorläufer des WDR. Im Kölner Funkhaus berichtete sie 1929 in der Sendereihe „Kunstwanderung im Rheinland“ über vergessene Kunstdenkmäler. Ihr 1929 im Magazin „Querschnitt“ abgedruckter Text Zug durch das dunkle Köln kann heute als frühes Toleranz-Plädoyer gegenüber Homosexuellen gelesen werden.

1928 zog Lou mit Jimmy und ihrer Haushälterin Maja Aretz in die Emmastraße 27, wo sie bis 1933 lebte. Schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten floh sie nach Paris. Sohn Jimmy ließ sie in der Obhut ihres Vaters Jacob zurück, der nach dem Tod seiner Frau Charlotte 1919 wieder geheiratet hatte.

Wieder musste sich Lou irgendwie durchschlagen, doch es wurde immer schwerer, für ausländische Zeitungen zu arbeiten. Deshalb gab sie anderen Emigranten Französischunterricht und bot auch Deutschstunden an. Doch das Leben an der Seine gefiel ihr ausgesprochen gut. Hier lernte sie den jüdischen Kulturjournalisten und Fotografen Fritz Neugass (1899-1979) kennen, mit dem sie 1939 nach Cannes zog. Hier verlegte sie sich ganz auf das Schreiben literarischer Erzählungen, mit denen sie ihre Eindrücke und Erlebnisse im französischen Exil verarbeitete.

Es war jedoch eine trügerische Sicherheit. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 galten selbst jüdische Flüchtlinge als „feindliche Ausländer“. Vorübergehend wurde auch Lou im Sammellager Gurs nahe der spanischen Grenze interniert. Sohn Jimmy, der inzwischen in den USA lebte, machte sich große Sorgen um seine Mutter und hatte für sie ein Ausreisevisum beantragt. Gemeinsam mit Max Ernst, der sich damals in Marseille aufhielt, sollte Lou in die USA ausreisen. Doch wegen der vorangegangenen Scheidung wurde das gemeinsame Visum nicht anerkannt. Ob Max Ernst ihr tatsächlich angeboten hat, sie deshalb pro forma erneut zu heiraten, kann nicht mehr nachgeprüft werden.

So blieb Lou Straus-Ernst allein in Frankreich zurück, denn auch ihr Lebensgefährte Fritz Neugass konnte im Dezember 1941 zu seinen Eltern nach New York ausreisen.

Lou nahm sich ein Hotelzimmer im südfranzösischen Manosque. Hier begann sie, ihr turbulentes Leben aufzuarbeiten und verfasste unter dem Titel Nomadengut ihre Autobiografie, die zu ihrem Vermächtnis wurde. Am 29. April 1944 wurde Lou Straus-Ernst von den deutschen Besatzern verhaftet. Als letztes Lebenszeichen gilt eine Fotografie vom Mai 1944, aufgenommen im Internierungslager Drancy bei Paris. Am 30. Juni 1944 wurde sie mit einem der letzten Züge ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt.

Autorinnen: Susanne Zickler und Karin Feuerstein-Prasser

Schriften von Luise Straus-Ernst

  • Straus, Luise: Zur Entwicklung des zeichnerischen Stils in der Cölner Goldschmiedekunst des XII. Jahrhunderts, Strassburg 1917.
  • Nomadengut, Hannover 1999.
  • The First Wife’s Tale. A Memoir by Louise Straus-Ernst. New York 2004.
Quellen