„Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ mögen zum allergrößten Teil soziale Konstrukte sein, deshalb sind sie aber nicht weniger gesellschaftlicher Fakt, einschließlich der jeweils damit verbundenen Dominanz und Unterordnung.“

Claudia Pinl

Die 1941 geborene Claudia Pinl verbrachte die ersten Lebensjahre in der Nähe von Lüdenscheid im Märkischen Sauerland. Sie war acht, als die Eltern mit ihr nach Südasien zogen, wo der Vater, ein Mathematiker, 1949 eine Professur in Dacca (heute Dakha, Bangla Desh) erhielt.

1954 ging es zurück in die Bundesrepublik.  Das Mädchengymnasium in Köln- Mülheim (heute Genoveva Gymnasium) und das Leben generell im Köln der Adenauer-Zeit erschien der Dreizehnjährigen im Vergleich zu den Jahren auf dem indischen „Subkontinent“ eng, farblos und stark reglementiert. Ihre Mutter, die in Dacca die Außenbeziehungen der Familie managte, entwickelte sich nun zur klassischen deutschen Hausfrau, zu der sie auch ihre Tochter erziehen wollte. Die wehrte sich, wollte weder putzen noch kochen und schockte nach Ferienaufenthalten bei britischen Linken in London die Eltern mit kritischen Ansichten zur atomaren Aufrüstung und zur Situation von Arbeitern im Kapitalismus.

„Nach dem Abitur wollte ich nun wirklich wissen, was die Welt politisch zusammenhält.“

Portrait junge Claudia Pinl
© Claudia Pinl

Sie begann 1961 ein Studium der Politikwissenschaften an der Universität Köln, das sie bald darauf in den USA fortsetzte.  An der Provinzuniversität Idaho erlebte sie 1963 ein erstes Anzeichen der beginnenden neuen Frauenbewegung: Die Autorin Betty Friedan las aus The Feminine Mystique (Der Weiblichkeitswahn). Claudia, inzwischen 22, fand in diesem Buch all das beschrieben und analysiert, was sie an Konformitätsdruck und Geschlechterrollen-Erwartungen gegenüber Frauen in Deutschland, und verstärkt in den USA, erlebt hatte. Friedans Werk legte – zusammen mit dem schon längst in ihrem Regal stehenden de-Beauvoir-Werk „Das Andere Geschlecht“ – nach Claudias eigenen Aussagen das Fundament für die lebenslange feministische Grundhaltung.

Zurück in Deutschland schloß sie ihr Studium an der FU Berlin ab und kehrte nach Köln zurück, wo sie 1968 eine Stelle bei der DGB-Zeitschrift “Gewerkschaftliche Monatshefte” antrat. Hier lernte sie in den folgenden fünf Jahren das “Arbeitnehmerpatriarchat” kennen, so auch der Titel ihres ersten Buchs (1977), das sich kritisch mit der den Frauen in der Gewerkschaftsbewegung zugewiesenen Nebenrolle auseinandersetzt.

Mit der Selbstbezichtigungsaktion „Ich habe abgetrieben“ erreichte die feministische Bewegung der Neuzeit im Juni 1971 die Bundesrepublik. In Köln war Claudia Pinl von Anfang an dabei, debattierte und organisierte, verfasste Flugblätter und klebte Plakate. Beruflich hatte sie inzwischen beim WDR-Hörfunk Fuß gefasst, schrieb Manuskripte und machte Interviews zu Frauenarbeitslosigkeit, Lohnungleichheit und dem Ausschluss von Frauen aus bestimmten Berufen (zum Beispiel weil leider kein Damenklo vorhanden war).

Ein Jahr verbrachte sie als Bonner Korrespondentin der “taz”, wechselte 1986 auf eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen Bundestagsfraktion für die Themen “Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit von Frauen”. Grüne Abgeordnete wie Waltraud Schoppe hatten in Fraktion und Öffentlichkeit schon starke feministische Akzente gesetzt, Mitarbeiterinnen hatten ein Antidiskriminierungsgesetz entworfen, das unter anderem den § 218 ersatzlos streichen, Vergewaltiger hart bestrafen und alle Berufe 50:50 quotieren wollte.

„Aber Radikalfeminismus in Gesetzesform war nicht nur für die anderen Bundestagsparteien zu starker Tobak, auch bei den Grünen mussten wir Feministinnen immer wieder harte Konflikte austragen.“

Zu ernsthaftem Streit kam es, als sich auch Teile der grünen Frauenszene vom Radikalfeminismus abwandten und sich mit dem “Müttermanifest” (1987) für die „Aufwertung“ traditioneller häuslicher Frauenarbeit aussprachen.

Claudia Pinl am Schreibtisch
© Inge Klein

Als die Grünen 1990 in der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, nutzte Claudia Pinl die Zeit der Erwerbslosigkeit und schrieb weitere Bücher. Eine mit Fakten untermauerte Polemik gegen das“Faule Geschlecht” wurde ein kleiner Bestseller. Die kritische Auseinandersetzung mit dem in den neunziger Jahren in Mode gekommenen “Differenz-Feminismus” (“Vom kleinen zum großen Unterschied”) erntete dagegen auch von Freundinnen und Kolleginnen ein paar böse Repliken.

Auch heute reagiert Pinl kritisch auf die periodisch wiederkehrenden Aufrufe zu einem “Neuen Feminismus” („das Patriarchat ist doch im Wesentlichen auch immer noch das alte“).

Nach dem Ende des Kölner Frauenzentrums in der Eifelstraße unterstützte sie autonome Frauenprojekte, arbeitete im Frauen-AK der Kölner Grünen und veröffentlichte weitere Bücher, in denen der “Gender”-Aspekt des Themas jeweils eine große Rolle spielte.

Von Dezember 2012 bis zu den Kommunalwahlen im September 2020 saß Pinl für Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksvertretung Lindenthal. Außer für Bäume, Radwege, oder Straßenbahntaktung setzte sie sich erfolgreich dafür ein, in Neubaugebieten Straßen nach verdienstvollen Frauen zu benennen.

Autorin: Karin Feuerstein-Prasser nach einem Text von Claudia Pinl

Claudia Pinl – eine feministische Politologin und Aktivistin – YouTube

Veröffentlichungen

  • Pinl, Claudia, Das Arbeitnehmerpatriarchat. Die Frauenpolitik der Gewerkschaften, Köln 1977
  • Bähr, Julia, Klatschmohn. Eine Geschichte aus der Frauenbewegung (Claudia Pinl schrieb unter dem Pseudonym Julia Bähr), Köln 1984
  • Pinl, Claudia, Jäger, Brigitte, Zwischen Rotation und Routine. Die Grünen im Bundestag, Köln 1985
  • Pinl, Claudia, Vom kleinen zum großen Unterschied. “Geschlechterdifferenz” und konservative Wende im Feminismus, Hamburg 1993
  • Pinl, Claudia, Männer können putzen. Strategien gegen die Tricks des faulen Geschlechts, Frankfurt 1997
  • Pinl, Claudia, Das faule Geschlecht. Wie Männer es schaffen, Frauen für sich arbeiten zu lassen, Frankfurt 2000
  • Pinl, Claudia, Männer lassen arbeiten. 20 faule Tricks, auf die Frauen am Arbeitsplatz hereinfallen, Frankfurt 2002
  • Pinl, Claudia, Das Biedermeier-Komplott. Wie Neokonservative Deutschland retten wollen, Hamburg 2007
  • Pinl, Claudia, Ehrenamt. Neue Erfüllung, neue Karriere. Wie sich Beruf und öffentliches Ehrenamt verbinden lassen, Regensburg 2010
  • Pinl, Claudia, Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit, Frankfurt 2013
  • Pinl, Claudia, Ein Cappuccino für die Armen. Kritik der Spenden- und Ehrenamtsökonomie, Köln 2018