Mitgründerin von Frauen gegen Erwerbslosigkeit e. V.

Ich bin 1953 geboren und in einer streng katholischen Familie am Niederrhein aufgewachsen. Meine Mutter war Hausfrau. Von ihr habe ich die Lust am Leben und am guten Essen. Mein Vater war Arbeiter und Nebenerwerbsbauer. Wir Kinder mussten mitarbeiten. Mein Bruder besuchte das Gymnasium. Für Müßiggang und Leichtigkeit war wenig Platz.

Meine Mutter hatte feste Pläne für mein Leben:  Zuerst zur Hauswirtschaftsschule, dann in die Fabrik und heiraten. Mein Vater meinte „das Kind muss was Ordentliches lernen“.  Mit 14 begann ich eine Ausbildung zur Zahntechnikerin.

Ab 17 durfte ich mit Freundinnen in die Dorfdisco und traf dort auf die klassische Rollenteilung. Wir saßen den ganzen Abend, wie auf dem Präsentierteller, an Tischen.  Die Jungs standen an Theke, und wir mussten warten, bis uns einer zum Tanzen aufforderte. In mir rumorte es. Als diese innere Aufruhr in den 70er auf die Frauenbewegung traf, stand fest: Ab jetzt bestimme ich mein Leben selbst, und das Patriarchat muss weg.  

Mit 18 ging ich nach Köln, wollte die Welt verändern, holte Schulabschlüsse nach und studierte Sozialarbeit. Ich lebte in linken WG’s. Es war die Hochzeit der K-Gruppen. Das „Kapital“ wurde begeistert gelesen, und viele linke Männer träumten von der Revolution. In mir rumorte es wieder.

Feministische Wissenschaftlerinnen, wie Maria Mies und Carola Möller, entwickelten die Theorie der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. In unserer Selbsthilfegruppe für erwerbslose Frauen*, diskutierten wir die Texte der beiden Autorinnen und fanden unsere Vermutung bestätigt: Die marxistische Theorie und ihr Arbeitsbegriff haben einen blinden Fleck, und diese Leerstelle betrifft die Hälfte der Bevölkerung. Die unbezahlte Reproduktionsarbeit von Frauen* wird zum Bestandteil männlicher Erwerbsarbeit definiert und nicht als Grundvoraussetzung für ein kapitalistisches Wirtschaftssystem begriffen. Für uns jedoch stand fest: Ohne die Reproduktionsarbeit von Frauen (wird in heutigen Debatten mit Care- oder Sorgearbeit bezeichnet) funktioniert das System und die strukturelle Ausgrenzung von Frauen aus der Erwerbsarbeit nicht. In der Diskussion mit den Genossen flogen die Fetzen. Mein innerer Wertekompass hat sich im Laufe der Jahre differenziert und erweitert, aber das Zusammenwirken von Feminismus und Kapitalismuskritik sind bis heute zentrale Bestandteile geblieben.   

1984 entstand aus unserer Selbsthilfegruppe der Verein Frauen gegen Erwerbslosigkeit e. V.. Bis heute bin ich eine der Vorstandsfrauen. Den Begriff Erwerbslosigkeit statt Arbeitslosigkeit haben wir bewusst gewählt, um schon im Namen auf die hierarchische Arbeitsteilung hinzuweisen.    

Wir arbeiteten im Kollektiv, und wenn Geld da war, bezahlten wir uns einen Einheitslohn. Unsere Gründungsphase war ein wildes Gewusel. Wir diskutierten viel und leidenschaftlich und organisierten Kongresse für erwerbslose Frauen. In der bundesweiten feministischen Öffentlichkeit wurde Frauen gegen Erwerbslosigkeit e. V. 1985 mit dem Artikel zum garantierten Mindesteinkommen in den „Beiträgen zur Feministischen Theorie und Praxis“ bekannt. Angelika Blickhäuser und Monika Molter schrieben den Artikel. Wir forderten eine Entkoppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit und wandten uns gegen die damals populäre Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“.   

Zum 8. März 1986 machten wir eine Aktion vor dem Rathaus zu prekärer Beschäftigung und wurden von der Polizei geräumt. Anfang der 90er Jahre habe ich, als Sprecherin der autonomen Frauenprojekte, die offizielle Rede zum 8. März im Rathaus gehalten. Während der Veranstaltung ließen wir große Heißluftballons mit dem Bild von Nina P. steigen. Sie sollte abgeschoben werden und wurde in einer Privatwohnung versteckt. Prima, dass uns dieser Coup, mit dem wir unsere internationale Frauensolidarität und unsere Kritik an der Asylpolitik deutlich machten, gelungen ist. Diese Zeit der Aufbrüche, in der gesellschaftliche Veränderungen in vielen Bereichen möglich und zum Greifen nahe erschienen, prägt bis heute mein Lebensgefühl: Frauen* können die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Auch wenn es länger dauert als damals gedacht

Auf grünem Ticket war ich von 1994-1999 als Parteilose im Rat der Stadt Köln. Arbeitsbereiche: Frauen- und Sozialpolitik. Kommunalpolitik ist ein hartes Geschäft. Ich habe viel gelernt, einige Illusionen verloren, und trotzdem war es eine gute Erfahrung. Nach der Zustimmung der Grünen zum NATO-Einsatz im Kosovo habe ich mein Mandat zurückgegeben, da war eine rote Linie überschritten.      

Brigitte Erdweg auf dem Fest zum 25jährigen Jubiläum von Frauen-gegen-Erwerbslosigkeit e.V
Brigitte Erdweg auf dem Fest zum 25-jährigen Jubiläum von Frauen-gegen-Erwerbslosigkeit e. V., © Brigitte Erdweg

Seit den 2000er Jahren bin ich verstärkt mit der Existenzsicherung des Vereins beschäftigt. Es ist ein ständiges auf und ab. Als autonomes Frauenprojekt stehen wir in der Konkurrenz zu gemischt-geschlechtlichen Organisationen. Die prekäre Lebenssituation von erwerbslosen Frauen* wird in der gängigen Förderpraxis oft ausgeblendet. Mir platzt manchmal der Kragen, wenn ich stets aufs Neue begründen muss, warum frauen*spezifische Angebote notwendig und unverzichtbar sind.

Seit 22 Jahren lebe ich in einer WG mit vier Frauen*. Ich bin davon überzeugt, dass wir solidarische Frauen*bezüge als Gegenentwurf zur heterosexuell/heteronormativ dominierten Gesellschaft schaffen müssen. Es ist nicht immer einfach, mit der Vielfalt in Frauen*zusammenhängen umzugehen. Das gilt für’s große Ganze und für meine WG.  Es ist aber ein Gewinn, sowohl persönlich wie politisch. Der Elan der jungen Feministinnen von heute und die Diversität der Bewegung stimmen mich zuversichtlich. Ich hoffe, der Austausch zwischen verschiedenen Generationen und Kulturen, Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen gelingt. Auch wenn’s anstrengend wird, viel Respekt erfordert und die eigenen Privilegien zur Disposition stehen: Ich baue auf ein feministisches Zukunftsprojekt, in dem sowohl das Verbindende wie auch das Trennende Platz haben – und das Trennende nicht zum Ausschlusskriterium wird.  

Autorin: Brigitte Erdweg