Was bedeutet Prägung durch Familie und Umfeld? Meine Mutter war Holländerin, ebenso deren Vater, dessen Frau aus Frankreich stammte.

Mein Vater wurde in Deutschland geboren, sein Vater war Pole, seine Mutter Ostpreußin. Wanderungen gab es schon immer in Europa. Und nicht nur die in der Schule behandelte Völkerwanderung. Menschen gingen weg, weil sie als religiöse oder ethnische Minderheit verfolgt wurden, sie folgten dem Ruf eines Regenten nach Handwerkern oder suchten ein besseres Leben in Industriegebieten. Und so bin ich zutiefst Europäerin.

Die politische Arbeit meines Vaters hat mein Denken stark beeinflusst. Er hat im Untergrund gegen die Nazis agitiert, wurde als Staatsfeind mehrfach zu Haftstrafen und Arbeitslager verurteilt, konnte dann endlich nach Holland fliehen und kämpfte dort weiter gegen die deutsche Besatzung. Ich kann heute noch das „Moorsoldaten“-Lied summen, das als Hymne des Widerstands gilt. Dass Fritz in der Bundesrepublik kurze Zeit Mitglied der DKP war, machte ihm das Leben auch nicht leichter.

Die Familie zog aus dem Pott ins saubere Bad Ems, der Ernährer verdiente das Geld in Köln und fing an, in Bensberg ein Haus zu bauen. Dort kenne ich seit meiner Fahrrad-Schulzeit jeden Hügel. Bis zum Abi habe ich leider nicht durchgehalten, ging 1968 als Au Pair nach England, kam nach zwei Jahren zurück, holte Versäumtes nach und studierte Sozialpädagogik an der Katholischen Fachhochschule Köln. Noch vor dem Abschluss haben meine damalige Partnerin und ich den Verein “Frauenferienhaus, Freizeit – Kommunikations- und Bildungszentrum e. V.“ ins Leben gerufen.  Und prompt gab es Probleme beim Amtsgericht, weil Mitglieder ausschließlich Frauen sein sollten. Schon damals habe ich gelernt, dass gute Vorbereitung ein Schlüssel ist zum Erfolg. Unser Mut und unsere Begeisterung hatten in den Nach-68er-Jahren viel Raum für Ausprobierbares. Es war eine glückliche Zeit voller Arbeit. Und die äußeren Umstände waren günstig. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen machten Veränderung möglich und bezahlbar. Dazu kam, dass junge Frauen, die als Studentinnen in der Frauenbewegung aktiv waren, anschließend in den Volkshochschulen so manche Erwerbstätige oder Hausfrau zum Aufbegehren ermuntern konnten. Zum VHS – Kurs durfte jede Frau gehen, denn schließlich war das etwas „Ordentliches“. Das galt dann auch für ein gemeinsames Wochenende in unserem Frauenferien- und Bildungshaus Zülpich.

Die zweite Lehre: genau sehen was ist und damit kreativ umgehen. So habe ich es auch gemacht bei den folgenden Projekten: „Verein zur Weiterbildung von Frauen“ 1984, „Medusa, Verein zur Befreiung von sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen“ 1988 und schließlich 1991 Verein „Mädchenhaus Köln“. Zwanzig Jahre lang war ich dessen Geschäftsführerin.  Jahre, in denen aus dem Projekt ein Betrieb ohne Eigenmittel wurde, fest verankert im Kölner Haushalt und zu 40% finanziert durch Spenden.

Henny Taraschewski am Schreibtisch
© Hendrieka Reina Taraschewski

Zu meinen Schwerpunkten haben sich Verwaltung, Finanzen und Organisation entwickelt, Arbeitsfelder, für die sich Frauen selten interessieren. Das finde ich schade, denn weder ist es langweilig noch zahlenfixiert. Gerade die Finanzierung von zivilgesellschaftlicher Arbeit ist hochpolitisch.  Es bedeutet, die Spielregeln und Interessen von Verwaltung und Politik, sei es in der Kommune, im Land oder Bund genau zu kennen und zu respektieren. Dazu fällt mir wieder mein Vater ein: „Wenn du nicht weißt, wie dein Gegner denkt, dann verlierst du immer.“ Ich würde heute statt Gegner lieber Gegenüber sagen.

All diese frauenpolitischen Aktivitäten waren mit heftigen Auseinandersetzungen verbunden. Ich erinnere die Älteren nur an die Kernfrage: Können Projekte der autonomen Frauenbewegung überhaupt Staatsknete wollen? Nein – sie macht abhängig. Ja – wir leisten damit gesellschaftlich wichtige Arbeit. Nein – wir nehmen dem Staat seine Pflichten ab. Ja – wir zeigen den Verantwortlichen, wo sie bisher versagen und können Druck machen.

Vom Ziel her gesehen, nämlich für Frauen und Mädchen Freiräume zu schaffen, in denen sie unterstützt werden bei der Suche nach ihrem eigenen Weg, war die Entscheidung am Ende klar: hier wie auch sonst ist das Private politisch und erfordert öffentliches Geld. Aus dem Projekt Mädchenhaus wurde später die Lobby für Mädchen. Sie wirkt mit Aktionen, Tagungen und der Kooperation mit Schulen zur Gewaltprävention zunehmend in die Stadt hinein. Auch wenn ich seit zehn Jahren nicht mehr aktiv dabei bin, freue ich mich über die gute Entwicklung des „Projekts“ und fahre LM im Autokennzeichen durch die Stadt.

Auch zum Marienplatz, wo ich seit fünf Jahren im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins mitarbeite. Entmetallisieren hieß die Aufgabe am Anfang. Wer mich kennt, weiß, dass es dabei nicht bleiben konnte. Aber ich bin geduldiger geworden, eher bereit, Probleme und Personen von vielen Seiten zu sehen, und erst dann an Lösungen zu arbeiten: an einer dauerhaften Finanzierung der für Köln so wichtigen Institution. Die Fähigkeit, zwischen Weiß und Schwarz die Grautöne zu sehen und zwischen Polen zu vermitteln, hatte meine Mutter Grietje, nur konnte ich das früher nicht so schätzen wie heute. Manchmal hat das Alter doch sein Gutes.

Alles in Allem sehe ich meine Arbeit als leidenschaftliches Engagement für die Verbreitung, Vertiefung und Verstetigung der neuen Frauenbewegung. Viele Anstöße aus den Anfangsjahren haben sich weiterentwickelt und manche sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber Vorsicht ist geboten.

Autorin: Henny Taraschewski

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