Auch wenn ihre Figur heute den Kölner Rathausturm schmückt, so ist die Sozialpolitikerin Amalie Lauer doch weitgehend in Vergessenheit geraten. Dabei engagierte sich die gläubige Katholikin und Mitglied der Zentrumspartei viele Jahre lang in der katholischen Frauenbewegung und kämpfte für die Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Geschlechtsgenossinnen.

Die am 29. März 1882 in Bornheim bei Frankfurt geborene Amalie Lauer entwickelte schon früh erheblichen Ehrgeiz. Als einzige in der Familie besuchte sie eine höhere Mädchenschule und wurde Lehrerin, ein Beruf, für den man damals noch kein jahrelanges Studium benötigte. Weil ihr die Arbeit zwar Spaß machte, sie aber nicht wirklich ausfüllte, ließ sich die junge Frau in Frankfurt zur Diplom-Handelslehrerin ausbilden und absolvierte anschließend ein Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften. Mit dem Thema „Landwirtschaft und Heimarbeit in Deutschland“ promovierte sie 1913 zur Dr. sc. pol.

Amalie Lauer als Ratsturmfigur, Bildhauerin: Katharina Hochhaus, © Raimond Spekking/CC BY-SA 4.0

Damals pflegte sie enge Kontakte zur katholischen Frauenbewegung, denn es war ihr brennender Wunsch, die Situation benachteiligter Frauen zu verbessern. Bereits 1910 hatte Amalie Lauer in der Zeitschrift „Die christliche Frau“ einen Beitrag über die unzumutbare berufliche Lage der Kellnerinnen veröffentlicht. Viele von ihnen waren gezwungen, ein Leben zwischen Ausbeutung und Prostitution zu führen. Der Katholische Frauenbund setzte sich sehr für Moral und Sittlichkeit ein. Er befürwortete das „Schmutz- und Schundgesetz“, demzufolge z.B. keine homosexuellen Zeitschriften mehr ausgelegt werden durften. Auch die Rolle von Frauen wurde sehr konservativ gesehen. So war der Katholische Frauenbund gegen das Frauenwahlrecht.

Was Amalie Lauer antrieb, sich in der katholischen Frauenbewegung für mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einzusetzen, waren persönliche Erfahrungen von Diskriminierung. Als Lehrerin verdiente sie nur die Hälfte des Gehalts ihrer männlichen Kollegen. Zudem vermutete sie, dass man ihr seinerzeit als Berufsanfängerin ganz bewusst die schwierigste Klasse zugewiesen hatte. Noch 1913 spielte sie ernsthaft mit dem Gedanken, ihren Beruf aufzugeben und ins Kloster zu gehen. Dann kam sie doch zu dem Schluss, ihr gesellschaftspolitisches Engagement fortzusetzen und auch beruflich Karriere zu machen.

So kam Amalie Lauer nach Köln. Hier wurde sie 1917 von Oberbürgermeister Konrad Adenauer zur zweiten (nach Dr. Emanuele Meyer) weiblichen Leitung der Wohlfahrtsschule ernannt. Das war ungewöhnlich, denn fast alle Schulleiter, auch an Mädchenschulen, waren Männer. Amalie Lauer hatte ein Mammutprogramm zu bewältigen, denn der Erste Weltkrieg hatte die Notlage vieler Menschen noch erheblich vergrößert. Ihr Verantwortungsbereich erstreckte sich von den Regierungsbezirksfürsorgerinnen über Tuberkulose-, Säuglings- und Wohnungsfürsorgerinnen bis hin zu den Fabrikpflegerinnen.

Gleichzeitig machte Amalie Lauer, Mitglied der katholischen Zentrumspartei, eine politische Karriere als preußische Landtagsabgeordnete. Das hieß, dass sie nicht nur regelmäßig zwischen Berlin und Köln pendeln musste, sondern auch oft unterwegs war, um Wahlkampfreden zu halten. Ihr politisches Spezialgebiet war das Berufsschulwesen. Sie setzte sich für eine allgemeine Berufsschulpflicht ein und forderte, dass viel mehr Mädchenschulen von Frauen geleitet werden sollten. Vor allem aber kämpfte sie für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen.

Lange Zeit scheint Amalie Lauer, die als sehr verschlossen geschildert wird, eine „Einzelkämpferin“ gewesen zu sein. Umso mehr verwundert es, dass sie 1928 in ihrer Wohnung am Oberländer Wall 26 einen „Donnerstagszirkel“ etablierte, der zur festen Einrichtung wurde. Einmal im Monat lud sie berufstätige Kölnerinnen – und zwar explizit nur katholische Frauen in Führungspositionen an Schulen und in Institutionen – ein, um Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen. In den zwanziger Jahren waren immer mehr Frauen – auch verheiratete – berufstätig geworden. Was anfangs noch als fortschrittlich angesehen wurde, geriet schon bald in die Kritik. Angeblich würden Frauen den Männern die Arbeit wegnehmen. Amalie Lauer beklagte eine „fast psychiosenhafte Hetze gegen die berufstätige Frau“ und forderte ein Ende des herrschenden „Patriarchismus“. Die Diskriminierung der Frauen war natürlich wieder im Geldbeutel zu spüren. Infolge der „Krisenbewältigungsstrategie“ des öffentlichen Dienstes, die die Folgen der Weltwirtschaftskrise ausgleichen sollte, wurde vor allem den Beamtinnen das Gehalt gekürzt, und ab 1932 wurden viele von ihnen entlassen.

© Kölner Frauengeschichtsverein

Amalie Lauer publizierte 1932 die mutige Streitschrift „Die Frau in der Auffassung des Nationalsozialismus“. Sie war eine der wenigen Personen, die die nationalsozialistische Ideologie ernst nahm und deren Einfluss auf die zukünftige Frauenrolle analysierte. Zwei Punkte der NS-Ideologie fand Amalie Lauer besonders bedrohlich: den „Rassenfanatismus“ und das „Herrenmenschentum des Hassgedankens“. Sie kritisierte auch die Reduktion der Frauen auf ihre biologische Funktion als Mütter und „Reinerhalterin der Rasse“. Der Text wurde in einer hohen Auflage (10.000 Exemplare) gedruckt und fand weite Verbreitung. Die Restauflage wurde 1933 von den Nationalsozialisten konfisziert.  

Am 30. Juni 1932 teilte Oberbürgermeister Konrad Adenauer Amalie Lauer mit, dass sie „dem amtsärztlichen Gutachten über ihren Gesundheitszustand zufolge dauernd dienstunfähig“ sei. Damit verlor sie ihre Direktorinnenstelle. Es ist unklar, ob Adenauer die engagierte Politikerin loswerden wollte oder ob Amalie Lauer selbst (nach Ulrike Fäuster) einen Antrag zur Frühpensionierung gestellt hat. Fakt ist, dass sie als Kritikerin der Nazi-Ideologie als Schulleiterin nicht mehr tragbar war.  

Die Zentrumspartei hatte zwar eigentlich keine Berührungspunkte mit den Nationalsozialisten. Und doch sprach sich Adenauer damals für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP mit Adolf Hitler als Reichskanzler aus. Es war ein verzweifelter Versuch, die Nationalsozialisten durch Einbindung zu „zähmen“, eine Haltung, die damals im Bürgertum weit verbreitet war.

Nun hielt Amalie Lauer nichts mehr in Köln. Zusammen mit der Rechtsanwältin Dr. Margarete Esch bezog sie 1933 ein kleines Landhaus in der Nähe von Bensberg. Grete Esch kam nicht aus dem katholischen Milieu. Sie war im Deutschen Akademikerinnenbund und war damit eher der sogenannten liberalen Frauenbewegung zugehörig. Die beiden Frauen wurden kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten zu Lebensgefährtinnen.

Da Amalie Lauer von den Nazis überwacht wurde, versteckte sie sich nach dem Attentat auf Hitler in dem Keller des Katholischen Frauenbundes in der Kaesenstraße. Dadurch entging sie nur zufällig einer Inhaftierung durch die Gestapo im Kontext des 20. Juli 1944.  

Nach dem Krieg zogen die beiden Frauen in das sogenannte Afrikaviertel in Köln Nippes. Grete Esch pflegte in der Kamerunstrasse 18 ihre kranke Mutter und Amalie Lauer wohnte, vermutlich bis kurz vor ihrem Tod, in der Nachbarschaft in der Gustav-Nachtigal-Straße 17. Gestorben ist sie allerdings im Alter von 68 Jahren in Fulda.

Sehr ungewöhnlich war, dass Dr. Grete Esch in der Todesanzeige von Amalie Lauer hinter den Verwandten als „Freundin“ mit aufgeführt war. Diese Sichtbarkeit einer Frauenbeziehung haben damals nur wenige Angehörige zugelassen.

Bearbeitung des Artikels: Karin Feuerstein-Prasser und Irene Franken

Quellen

  • Birgit Sack, Dr. Amalie Lauer 1882-1950 in: 10 Uhr pünktlich im Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Hrsg. Kölner Frauengeschichtsverein 1995
  • Franken, Irene, Frauen in Köln, Der Historische Stadtführer, J.P. Bachem Verlag Köln 2008