Zu meinen frühen Kindheitserinnerungen zählt die Kölsch-Reklame an einer Hausfassade in der Aachener Straße, nahe Rudolfplatz: Dass „Sie trinkt“ und dann „Er trinkt“, und die Neonröhren dazu abwechselnd eine Frau mit Locken und einen Mann mit Fliege leuchten, faszinierte mich mit fünf, sechs Jahren ungemein. Ich drückte mir immer die Nase an der Scheibe platt, wenn wir mit der Linie 1 daran vorbeifuhren, Richtung Junkersdorf, denn dort bin ich aufgewachsen.
Geboren bin ich 1978 in Teheran. Als meine Mutter 1979 beschloss, zum Studium nach Deutschland zu gehen, befand sich Iran gerade in den Revolutionswirren und es schien völlig offen, wohin sich das Land entwickeln würde. Als wir damals Teheran verließen, war meiner Mutter nicht klar, dass es für immer sein würde.
In Köln landeten wir eher zufällig, aber meine Mutter fand sich dort schnell zurecht, auch dank der iranischen Community. Wir zogen mehrmals in Köln um. Meine Grundschulzeit verbrachte ich in Junkersdorf. Ich feierte sehr enthusiastisch Karneval, liebte den Martinszug und das Martinssingen.
Als ich zehn Jahre alt war, zogen wir in den Westerwald. Dort gab es weder echten Karneval noch die Martinsfeierlichkeiten, wie ich sie aus Köln kannte, und ich war erst einmal ein paar Jahre unglücklich.
Über Umwege landete ich dann zum Studium wieder in Köln. Ich studierte Volkswirtschaftslehre und Journalismus, schrieb aber nebenbei auch immer ein wenig Prosa. Denn eigentlich wollte ich Schriftstellerin werden, den Beruf der Journalistin hatte ich als pragmatische Alternative gewählt. Mein erster richtiger Job als Redakteurin bei der Kölner StadtRevue kam dann allerdings ziemlich nah an einen Traumjob heran: Für ein unabhängiges Magazin arbeiten zu dürfen, das offen war für meine Themen und in dem wir als Redaktion selbstbestimmt, ohne Hierarchien entscheiden konnten, das empfand ich als Luxus.
Nachdem ich 2012 mein erstes Kind geboren hatte, zog ich meinem damaligen Mann zuliebe nach Graz. Dort, in Österreich, hatte ich erst einmal nichts: keinen Job, kein Netzwerk, keine Freunde. Das war ein guter Zeitpunkt, um endlich den Roman zu schreiben, den ich seit meinen frühen Zwanzigern schreiben wollte. Mein Debüt „Sechzehn Wörter“ erschien schließlich 2017 und spielt in Köln.
Ich betrachte ihn auch als eine kleine Liebeserklärung an die Stadt. Ich bin so oft umgezogen und der Begriff „Heimat“ ist so politisiert und missbraucht, dass ich ihn ungern verwende. Aber wenn es einen Ort gibt, der für mich an so etwas wie „Heimat“ heranreicht, dann wohl Köln. Als „Sechzehn Wörter“ 2022 zum Buch für die Stadt gekürt wurde, freute ich mich so sehr, wie über keine andere Auszeichnung.
Nava Ebrahimi
Auszeichnungen (Auswahl)
2017: Debütpreis des Österreichischen Buchpreises für „Sechzehn Wörter“
2017: Nominierung für den Klaus-Michael Kühne-Preis für „Sechzehn Wörter“
2019: Morgenstern-Preis des Landes Steiermark für „Sechzehn Wörter“
2020: Rotahorn-Literaturpreis
2021: Ingeborg-Bachmann-Preis
Publikationen (Auswahl)
2017: Sechzehn Wörter, Roman, btb-Verlag München
2020: Das Paradies meiner Nachbarn, Roma, btb-Verlag München
2021: Einander: Ein Buch, das Generationen verbindet, mit Illustrationen von Sabine Presslauer, Leykam, Graz
2024: Wer ich geworden wäre, wenn alles ganz anders gekommen wäre: Herkunft. Identität. Imagination. Literaturverlag Droschl, Graz