Anna Maria Adele Rautenstrauch konnte wie viele Frauen nur zur generösen Stifterin werden, weil sie aus einer großbürgerlichen Familie stammte und reich heiratete – zudem beerbte sie ihren geschiedenen Bruder Wilhelm Joest.

Adele Rautenstrauch, Künstler*in unbekannt, © Rautenstrauch-Joest-Museum Köln

Das Mädchen wurde am 23. Februar 1850 in Köln geboren, ihr Bruder am 15. März 1852. Als Kinder des Zuckerfabrikanten Eduard Joest und der Maria Wilhelmina Eduarda Leiden wuchsen sie in einer wohlhabenden protestantischen Familie auf. Diese war durch Hochzeiten u.a. mit den Kölner Bankiersfamilien Deichmann, Stein und Schnitzler verwandt. Der Reichtum und der Auftrag, den Zuckerhandel kennenzulernen, ermöglichten es dem Sohn Wilhelm, nach seinem naturwissenschaftlichen und Sprachen-Studien ausgedehnte Forschungsreisen zu unternehmen und seinen ‚völkerkundlichen‘ Interessen nachzugehen. Bereits im Alter von 22 Jahren durchquerte er den Orient und die nordafrikanischen Küstenländer. Später reiste Dr. Wilhelm Joest quer durch Nord- und Südamerika. Im Endeffekt setzte er seinen Fuß auf alle Kontinente. Aus den Kunst- und Kulturobjekten, die er auf seinen zahlreichen Expeditionen erwarb (oder anders beschaffte?), baute er eine umfangreiche ethnologische Sammlung auf. Auch wenn er stets länger an einem Ort blieb und zu einigen Personen aus den bereisten Ländern des Südens engere Kontakte knüpfte, war er überzeugt, dass die europäische Zivilisation die überlegene sei.

Adele Joest blieb derweil in Köln und heiratete 1872 den Kommerzienrat Eugen Rautenstrauch (1842-1900), der in der Weberstraße einen Tierhäutehandel unterhielt. So führte sie auch als Ehefrau und Mutter weiter ein privilegiertes Leben. In den folgenden Jahren brachte sie drei Kinder zur Welt: Theodor Damian (1873-1907), Marie Emma (1876-1945), spätere Gräfin von Bernstorff, und schließlich Eugen (1879-1956).

Die Ehe des Bruders mit Clara vom Rath, ebenfalls Kind aus einer Zuckerdynastie, war von den Eltern ‚arrangiert‘ worden. Sie wurde 1896 wegen Gewalttätigkeit des Ehemannes gegen seine Frau geschieden.

Wie zahlreiche Zeitgenoss*innen interessierten sich auch Adele und Eugen Rautenstrauch selbst für ‚ferne Kulturen‘ und sammelten antike und ethnologische Exponate. Das Sammeln hatte neben dem Aspekt des Besitzes auch den Impetus, die Objekte vor den Zerstörungen zu retten, die durch den europäischen Kolonisationsdruck befürchtet wurden (Fenner).

Das Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, © Rheinisches Bildarchiv, Wolfgang F. Meier

Wilhelm Joest durchquerte Anfang 1879 Ceylon (heute Sri Lanka) bis zum Himalaja, erforschte Birma und Siam (heute Thailand), studierte ihm zugängliche Leben der indigenen Bevölkerungen und verfasste mehrere wissenschaftliche Werke.

Testamentarisch hatte Wilhelm Joest verfügt, dass seine Schwester seine private Sammlung von 3.400 Objekten erben sollte. Es war ihr dringender Wunsch, diese Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit sich alle Interessierten über die Zeugnisse ferner Kulturen informieren könnten. Um zu verhindern, dass die Sammlung durch Erbgang unter ihren Kindern auseinandergerissen würde, ließ sie alle Besitztümer des Bruders nach Köln kommen und stiftete diese 1899 der Stadt Köln.  Nachdem nur ein Jahr später ihr Ehemann gestorben war, stellte sie zusätzliche 250.000 Mark zur Verfügung, um den Bau eines Museums für Völkerkunde zu ermöglichen. Es sollte dem Andenken ihres Bruders und ihres Mannes gewidmet sein und den Namen Rautenstrauch-Joest-Museum tragen. Die Stadt konnte die Exponate zunächst nur provisorisch unterbringen, was nicht angemessen war. 1901 initiierte Adele Rautenstrauch die offizielle Gründung des Museums, die Stadt stellte ein Grundstück am Ubierring zur Verfügung. Überdies stiftete Adele Rautenstrauch zehn Jahresgehälter für den künftigen Direktor des Museums, den Ethnologen Willy Foy, der die Sammlung bis 1925 leitete.

1897 erhielten Adele und Eugen die Nachricht von Wilhelms Tod im Alter von nur 45 Jahren: Auf seiner letzten Reise in die Südsee war er auf den Banks-Inseln gestorben, vermutlich an einer Infektion.

Die Eröffnung des Hauses konnte sie nicht mehr erleben, denn sie starb am 30. Dezember 1903 in Neustrelitz. Hier hatte sie vermutlich ihre Tochter besucht. Ihr Leichnam wurde nach Köln überführt und auf dem Melatenfriedhof beigesetzt.

Foyer des Rautenstrauch-Joest-Museums, RJM Köln, © Atelier Brückner, Michel Jungblut

Adele Rautenstrauchs Kinder ließen den barocken Bau fertigstellen. Die Eröffnung des Rautenstrauch-Joest Museums fand am 12. November 1906 im Beisein des Sohnes Eugen und ihres Schwiegersohns statt, des Grafen von Bernstorff. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: „Von einer kleinen, aber wertvollen Kollektion Benin-Altertümer abgesehen, die Kommerzienrat Eugen Rautenstrauch schon 1897 der Stadt Köln geschenkt hatte, bilden die Sammlungen Wilhelm Joests von rund 3.400 Gegenständen den Grundstock des Museums. Besonders hervorzuheben ist darauf die Sammlung aus Santa Cruz, die in ihrer Ausdehnung und verhältnismäßigen Vollständigkeit ihresgleichen sucht.“ Woanders: „Es ist das modernste Museum für Völkerkunde in Europa und das bedeutendste seiner Art in ganz West- und Süddeutschland.“

Durch weitere Stiftungen von Kölner Bürger*innnen und näheren Verwandten der Rautenstrauchs wuchs die Sammlung rasch an und umfasste noch im gleichen Jahr bereits rund 18.500 Exponate. Da das Gebäude bald zu klein war, wurde 1908 ein Anbau angeregt. Als die Engländer im Anschluss an den Ersten Weltkrieg Köln besetzten, wandelten sie das Haus in ein Lazarett um, ohne sich um die wertvollen Exponate zu kümmern. Im Zweiten Weltkrieg erhielt das Gebäude noch im Februar 1945 einen Bombentreffer und wurde geschlossen. Es konnte erst 1967 wieder eröffnet werden. Lange Zeit waren die Kammerspiele Untermieter.

Das Museum verfügt über eine der bedeutendsten ethnologischen Sammlungen Deutschlands. Zu den Schenkungen der Rautenstrauch-Joests waren Ankäufe von professionellen Ethnografica-Händlern getreten, die im Gefolge der Kolonisatoren reisten. Bereits 1918 hatte sich die Zahl der Objekte verzehnfacht; der überwiegende Teil stammte aus den ehemaligen deutschen Kolonien. Bei den ersten Museumsdirektoren stand das Studium der ‚primitiven Völker‘ im Fokus, wobei sie betonten, nicht auf diese herabsehen zu wollen. Es gehe um kulturgeschichtliche Forschungen. In den 1980er Jahren kuratierte Gisela Völger hochgelobte Ausstellungen zu Frauen- und Männerrollen.

© Grünwald Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC Y 4.0

Seit 2010 befindet sich die Sammlung im Neubau des Rautenstrauch-Joest-Museums an der Cäcilienstraße. Dass man sich für einen neuen Standort entschieden hatte, hatte auch mit der topografischen Nähe zum Rhein zu tun, denn das Hochwasser hatte mehrmals die Depots überschwemmt und erheblichen Schaden angerichtet.

Das eindrucksvolle Gebäude mit dem großzügigen lichtdurchfluteten Foyer ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Auf einer Ausstellungsfläche von über 3.600 m² befinden sich etwa 60.000 Kunst- und Kulturobjekte. Den Grundstock bildet die Sammlung durch Wilhelm Joest und die Stiftung durch Adele und Eugen Rautenstrauch. Im Jahr 2012 wurde die Kulturinstitution mit dem Museumspreis des Europarats ausgezeichnet.

Die Provenienz und auch die Beschaffung mancher Exponate gelten in heutiger Sicht belastet und in einigen Fällen ist bereits eine Rückgabe erfolgt, auch aus dem Besitz von Adele und Eugen Rautenstrauch (Benin-Bronzen).

Autorin: Karin Feuerstein-Prasser und Irene Franken

Quellen

  • Irene Franken, Adele Rautenstrauch, geb. Joest, Stifterin, in: Irene Franken, Frauen in Köln, der historische Stadtführer, Köln 2008, S. 262 f.
  • Burkhard Fenner: „Eine Sammelstelle für den stofflichen Kulturbesitz der fremden Völker“. Das Rautenstrauch-Joest-Museum, in: Marianne Bechhaus-Gerst; Anne-Kathrin Horstmann (Hrsg.): Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche, Köln, Weimar, Wien 2013, S. 131-137.
  • Zum Weiterlesen: Anne Haeming: Der gesammelte Joest. Biografie eines Ethnologen“, Berlin 2023.
  • Carl Deußen/ Anne Haeming (Hrsg.) „Aus Indien nach Santa Cruz durch die Ethnologie. Fragmente des Forschungsreisenden Wilhelm Joest“, Berlin 2023.
  • „Grabstätte von Anna Maria Adele Rautenstrauch auf dem Melatenfriedhof”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-310614