Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus hatte viele Gesichter. Dazu gehörten auch jene oppositionellen Jugendgruppen, die sich Edelweiß(piraten) nannten. Meist waren das Zusammenschlüsse meist männlicher Jugendlicher, doch es gab auch Ausnahmen: Eine davon war Gertrud „Mucki“ Koch, die sogar gemeinsam mit Gleichgesinnten eine eigene Gruppe gründete. (Mucki lehnte das Wort Piraten ab, wie im Vorwort ihrer Autobiografie steht.)

© Gedenkstätte Deutscher Widerstand gdw-berlin.de

Seit der Jahrhundertwende gab es in Deutschland eine starke Jugendbewegung, die sich gegen ein von der Fabrikkultur geprägtes Leben wandte. Statt dessen zog es sie in die freie Natur. Proletarische und bürgerliche Jugendliche unternahmen Wanderfahrten, trafen sich abends am Lagerfeuer, spielten Gitarre und sangen vorwiegend Fahrtenlieder. Ab 1933 änderte sich das Handlungsspektrum der Bündischen Jugend. Auch wenn die Mehrheit von ihnen eher unpolitisch war, waren sie dem NS-Regime ein Dorn im Auge, entzogen sie sich doch der staatlichen Kontrolle.  Am 1. Dezember 1936 trat schließlich ein Gesetz in Kraft, das allein die Hitlerjugend (HJ) und den Bund deutscher Mädel (BdM) als Jugendorganisationen zuließ.

Damit schlug die Geburtsstunde der sog. Edelweißpirat:innen. Es waren unangepasste Jugendliche, die sich weder mit der Ideologie der Nazis noch mit dem militärisch dominierten Gruppenleben in den Parteiorganisationen anfreunden konnten. Viele sahen sich in der Tradition der Jugendbewegung der Weimarer Republik. Sie trafen sich meist spontan, hatten kein klar umrissenes politisches Programm und waren nicht hierarchisch organisiert. Sie provozierten das Regime allein durch ihre ablehnende Haltung und ungewöhnliche Kleidung, die sich von der herrschenden Norm unterschied: Kordhosen, karierte Hemden, weiße Kniestrümpfe. Als Erkennungsmerkmal diente ein meist unter dem Revers verstecktes Edelweißabzeichen.

D der zunehmende Druck, den das NS-Regime auf die Menschen ausübte, die Repressionen gegen Andersdenkende und die zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung trieben viele Edelweißpirat:innen in den aktiven Widerstand, darunter auch Gertrud Koch.

Karl „Schicko“ Gilles und Gertrud „Mucki“ Kühlem am 16. Mai 1943 auf dem Weg von Ründerroth nach Engelskirchen, © NS-Dokumentationszentrum (N 1760,41)

Der zunehmende Druck, den das NS-Regime auf die Menschen ausübte, die Repressionen gegen Andersdenkende und die zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung trieben viele Edelweißpirat:innen in den aktiven Widerstand, darunter auch Gertrud Koch.

Als Gertrud Kühlem war sie am 1. Juni 1924 in Köln in einem kommunistischen Elternhaus zur Welt gekommen. Die Mutter war Apothekerin, der Vater Kesselschmied bei der Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD), es war eine Ehe über Standesgrenzen hinweg. Sie besuchte die Volksschule in der Lochnerstraße. Selbstverständlich‘ war Mucki Koch bei den Roten Jungpionieren, der Kinderorganisation der KPD, die 1933 verboten wurde. Mit dem Parteiverbot begannen auch die Repressalien gegen die Familie. Der Vater wurde mehrmals verhaftet, als ‚Moorsoldat‘ im KZ Esterwegen/Emsland inhaftiert und 1942 angeblich auf der Flucht erschossen. Gertrud Koch erlebte als Kind mehrfach Hausdurchsuchungen.

Von diesen belastenden Erlebnissen geprägt beschloss Gertrud, dem Hitler-Regime Widerstand zu leisten. Gemeinsam mit Freund:innen gründete sie eine informelle Gruppe, die sich den Edelweißpirat:innen zurechnete. Auch sie unternahmen Wanderfahrten in die nähere Umgebung, sangen abends am Lagerfeuer zur Gitarre, kleideten sich entsprechend und trugen ein Edelweißabzeichen: „Wir hatten echte Edelweiß und auch Edelweiß, die aus Metall gemacht waren“, erzählte Gertrud „Mucki“ später. „Mucki“ war ihr Deckname, den sie allerdings ein Leben lang beibehielt.

Im Laufe der Zeit wurden sie mehr und mehr zu Widerstandskämpfer:innen, erstellten Flugblätter, die sie zum Beispiel auf Kirchenbänken ablegten, klebten Plakate und schrieben Anti-Hitler-Parolen auf Hauswände und Eisenbahnwaggons.

Ihre wohl spektakulärste Aktion war der sogenannte „Flugblattregen“ im Sommer 1942: Von der Kuppel des Kölner Hauptbahnhofs warfen sie stapelweise Flugblätter herab und ließen sie zu Boden „regnen“. Inzwischen waren sie längst ins Visier der Gestapo geraten. Nur wenig später wurden Mucki und etliche ihrer Freund:innen verhaftet und zum Verhör ins EL-DE-Haus gebracht, die Kölner Gestapo-Zentrale. Wenig später kam Mucki ins Gefängnis nach Brauweiler, wo sie zwei Monate lang in Einzelhaft eingesperrt wurde. Bei den ständigen Verhören, denen sie sich unterziehen musste, wurde sie geschlagen und misshandelt, indem man sie mit brutaler Gewalt immer wieder vor den Kopf stieß. Bis zu ihrem Tod litt sie unter heftigen Kopfschmerzattacken und anderen gesundheitlichen Problemen.

Bis Mai 1943 blieb Mucki in Brauweiler. Offiziell hieß es, sie sei entlassen worden. Sie selbst erinnert sich allerdings an ihre Flucht: Als die männlichen Jugendlichen, die zur Zwangsarbeit auf einem Bauernhof verpflichtet worden waren, darauf warteten, abgeholt zu werden, mischte sich Mucki unter die Gefangenen: „Die sind dann rausmarschiert. Und wie wir draußen im Dorf waren, bin ich rechts ab ins Feld. Fort war ich. Ich bin nur noch gelaufen. Ich bin zu Fuß nach Köln zu meiner Mutter.“ Das zumindest erzählte sie 2011 in einem Interview.

Weil es für Mutter und Tochter in Köln zu gefährlich geworden war, beschlossen sie, in die sichere Schweiz zu fliehen, stellten jedoch fest, dass die Grenzen geschlossen waren. Mit etwas Glück kamen sie bei einem Bergbauern im Allgäu unter. Hier arbeiteten sie bis zum Ende des Krieges im Haushalt.

Von Elke Wetzig (Elya) – Eigenes Werk, © CC BY-SA 3.0

Zurück in Köln zogen sie in die Ruine des Hauses, in dem sie früher einmal gelebt hatten, und versuchten, sich irgendwie durchzuschlagen. Aber es kamen auch wieder bessere Zeiten, wie sich Mucki erinnerte: „Kurze Zeit darauf habe ich meinen Mann kennengelernt, den Willy.“ Mit ihrer Hochzeit wurde aus Gertrud Kühlem Gertrud Koch.

Nach dem Krieg wurde Gertrud Koch als Mitglied der KPD weiterhin politisch verfolgt.

Über ihre Erlebnisse während der Zeit des Nationalsozialismus sprach sie höchstens im Freundes- und Bekanntenkreis. Das änderte sich im Jahr 2000, als sie durch Zufall am EL-DE-Haus, (damals auch) Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum, einen Aushang erblickte: „Wir suchen Edelweißpiraten.“ Als sich Gertrud und Willy Koch daraufhin meldeten, erfuhren sie von Werner Jung, dem späteren Direktor, dass man eine Ausstellung über Edelweißpirat:innen plane. Sofort fing Mucki wieder Feuer: „Seit dieser Zeit habe ich da mitgearbeitet. In Schulen, in Klassen, ich wurde überall angefordert und habe über diese Zeit berichtet. Mein Gott, was hab´ ich gesprochen.“

Bis in die 1990er Jahre wurden die Mitglieder von Edelweiß-Gruppen als Kriminelle verurteilt.

Als 2005 die Edelweißpirat:innen offiziell als Widerstandskämpfer:innen anerkannt wurden, gehörte Gertrud Koch zu den Mitbegründer:innen des Edelweißpiraten-Musikfestivals, das seitdem alljährlich stattfindet. Für ihren Einsatz noch im hohen Alter wurde sie 2007 mit dem Rheinlandtaler und 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Sie starb am 21. Juni 2016 und wurde auf eigenen Wunsch anonym auf dem Kölner Ostfriedhof beigesetzt.

Anfang 2019 wurde erstmals eine Gesamtschule in Troisdorf nach ihr benannt, eine Initiative fordert eine baldige Schulbenennung auch in Köln.

Autorin: Karin Feuerstein-Prasser

Quellen

  • Gertrud Koch, Regina Carstensen, Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandskämpferin, Reinbek bei Hamburg 2006
  • Simone Dittmar, „Wir wollten frei von Hitler sein“. Jugendwiderstand im Dritten Reich am Beispiel von drei Kölner Edelweißpiraten, Frankfurt am Main 2011
  • Interview: https://eg.nsdok.de/rechts_biographie.asp?pid=26