Um 1900 gab es einige begabte Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker oder Clara Westhoff, deren Talent im Elternhaus erkannt und gefördert wurde. Dieses Glück blieb der jungen Kölnerin Angelika Fick leider verwehrt. Das lag auch daran, dass sie am 20. November 1899 am Krefelder Wall 16 in keine wohlhabende Familie hineingeboren wurde. Wie damals üblich, musste der Vater, Möbelschreiner Richard Fick, allein für den Lebensunterhalt von Frau und vier Kindern sorgen. Dass Angelika als Jüngste „aus der Reihe tanzte“, hat den Eltern überhaupt nicht gepasst.

Angie Littlefield
© Angie Littlefield

Zunächst erwies sie sich jedoch als folgsame Tochter und begann nach der Schule 1915 eine Ausbildung zur Hutmacherin. Der Erste Weltkrieg veränderte jedoch ihren Blick auf die Welt, und sie begann, sich mit revolutionärem Gedankengut vertraut zu machen. Auch dafür zeigten die Eltern, wenngleich beide sozial engagiert und SPD-nah, keinerlei Verständnis. Durch ihre ältere Freundin, die Malerin Marta Hegemann (1894-1970), verheiratet mit dem Maler Anton Räderscheidt, fand Angelika Eingang in die progressive Kölner Künstlerszene. Dazu gehörten neben Max Ernst und Luise Strauss-Ernst auch Hans Arp, Franz Wilhelm Seiwert, Johannes Theodor Baargeld und Heinrich Hoerle, die sich zumindest vorübergehend der Dada-Bewegung zugehörig fühlten.

Dada war als revolutionäre künstlerische Ausdrucksform 1916 in der Schweiz entstanden und verstand sich als Antikriegskunst. Nach Aussage von Max Ernst war Dada das „Resultat der Absurdität der großen Schweinerei dieses blödsinnigen Krieges“. Jetzt sollte die neue Kunstrichtung dazu beitragen, einen völlig neuen Menschen zu schaffen. Alle bisherigen Stilrichtungen, auch Expressionismus, Futurismus und Kubismus, wurden abgelehnt. Stattdessen machten die Dada-Künstler mit teils grotesken Aktionen auf den Irrsinn des Krieges, die verlogene Bürgerlichkeit und die Absurdität des Lebens überhaupt aufmerksam. Gleichzeitig entstanden neue Bildformen wie die Collage, die der Grunderfahrung der Moderne entsprach, dass die Welt scheinbar nur in Bruchstücken zu erfassen ist.

In dieser Szene lernte Angelika 1916 den Maler Heinrich Hoerle (1895-1936) kennen und heiratete ihn 1919 gegen den Willen der Eltern. Für die war der junge Mann nichts weiter als ein brotloser Künstler, der der Tochter nichts bieten konnte. Das führte zum Bruch, und der Vater soll sogar gesagt haben: „Ich habe keine Tochter mehr.“ Die Geschwister hielten allerdings weiter zu Angelika, vor allem ihr sechs Jahre älterer Bruder Willy (1893-1967), der sich später als Maler selbst einen Namen machte. Willy absolvierte neben seiner Schreinerlehre Abendkurse an der Kölner Kunstgewerbeschule und hatte großes Verständnis für seine künstlerisch talentierte Schwester.

Anton, Angelika, Marta
Anton, Angelika, Marta © Nachlass Räderscheidt-Hegemann

Nach der Hochzeit bezogen Angelika und Heinrich Hoerle eine kleine Dachgeschosswohnung in der Bachemerstr. 243, wo das Künstlerpaar in bitterer Armut lebte. Gleichwohl wurde diese Adresse ein beliebter Treffpunkt der Kölner Dada-Szene, zu der Angelika Hoerle – neben Marta Hegemann und Lou Straus-Ernst – als eine der wenigen Frauen gehörte. 1919 war sie die Mitinitiatorin der ersten Kölner Dada-Ausstellung im Kölnischen Kunstverein. Ein Jahr später konstituierte sich die Gruppe STUPID, deren Name sich auf die vermeintliche Geistlosigkeit der Welt bezog. In der im November 1920 erschienen Publikation „Stupid 1“ war das einzige bis heute bekannte Ölgemälde von Angelika Hoerle zu sehen, eine in dunklen Tönen gehaltene Landschaft. Leider sind insgesamt nur 35 ihrer Werke – überwiegend Zeichnungen in sparsamer Linienführung sowie Linol- und Holzschnitte – erhalten geblieben.

Auf jeden Fall erregte die junge Künstlerin großes Aufsehen. In der Rheinischen Zeitung vom 20. Februar 1920 wurde sie als „deutsche Meisterin der Dadaisten“ gelobt. Als die amerikanische Kunstsammlerin Katherine Dreier (1877-1952) in Köln Station machte, war sie derart beeindruckt von Angelika Hoerles Arbeiten, dass sie drei ihrer Werke erwarb. Sie war es auch, die die Künstlerin als „Komet der Kölner Dada-Szene“ bezeichnete.

Im überlieferten Gesamtwerk befanden sich allerdings keineswegs nur dadaistische Arbeiten, sondern vor allem Bilder, die dem Prä-Surrealismus zuzurechnen sind. Dabei geht es vornehmlich um die Welt der Träume und des Unterbewussten wie bei der Zeichnung „Kopf mit Rad und Autohupe“, die Katherine Dreier 1922 gekauft hatte. Heinrich Hoerle neidete seiner Ehefrau den Erfolg und kommentierte ihre Arbeit gern mit sarkastischen Bemerkungen.

Angelika Hoerle
© Rhein Mosel Verlag

Trotz allem lebten Angelika und Heinrich Hoerle  nach wie vor in ihrer eiskalten Wohnung am Rande des Existenzminimums. Das war vermutlich auch der Grund, weshalb bei der Künstlerin 1922 Tuberkulose diagnostiziert wurde. Wie es heißt, soll Heinrich Hoerle seine Frau aus Angst vor Ansteckung „fluchtartig“ verlassen haben. Zum Glück erwies sich Marta Hegemann, die Angelika stets in allen künstlerischen Belangen unterstützt hatte, auch in der Not als treue Freundin. Während die Eltern auf Distanz blieben, kümmerte sich Marta Hegemann liebevoll um die Kranke. Doch auch sie konnte nicht verhindern, dass Angelika Hoerle am 9. September 1923 mit 23 Jahren starb. Sie wurde auf dem Kölner Westfriedhof beigesetzt. Ihr Grab existiert heute nicht mehr.

Lange galt ihr Werk als verschollen, bis ihr Bruder Willy Fick 1967 starb. Die aus Kanada angereiste Großnichte, Angie Littlefield, die sich um den Nachlass kümmerte, stieß beim Ausräumen seiner Gartenlaube in Köln-Vogelsang auf 35 Zeichnungen und Skizzen von Angelika Hoerle. Ihr Bruder hatte sie in der Nazizeit dort versteckt, denn anderenfalls wäre sie gewiss als „entarte Kunst“ vernichtet worden.

Autorin: Karin Feuerstein-Prasser

Quellen