„Das coellnische Gebieth bleibt wegen der glückseligen Geburth dieses Adelichen Frauenzimmers nun ewig geadelt, und das 1607 Jahr ist die güldene Nummer der ersten Kindheit dieses hellen Gestirns.“

So beginnt 1706 die Biografie von Anna Maria van Schurman in dem „Eröffneten Cabinet Dess Gelehrten Frauenzimmers, darinnen die Berühmtesten dieses Geschlechts umbständlich vorgestellt werden“.

In Köln wurde Anna Maria van Schurman am 5. November 1607 geboren, wohl im Haus De Cronenberg, „auf’m Kronenbüchel“, am Anfang vom Großen Griechenmarkt. Die protestantischen Großeltern mütterlicherseits, aus dem rheinischen Adelsgeschlecht von Harff, waren aufgrund religiöser Unruhen von Neuss nach Köln geflüchtet. Die protestantischen Großeltern väterlicherseits verlassen Antwerpen und wählen Köln als neue Heimat. Anna Marias Eltern, Frederik van Schurman und Eva von Harff heirateten dort am 5. November 1602.

Um diese Zeit lebten circa 4000 Protestanten in Köln. Sie konnten das Bürgerrecht erwerben. Ab 1609 jedoch wurden sie verfolgt. Auch die Familie van Schurman mit drei Söhnen und der Tochter Anna Maria verließ die Stadt. Um 1615 ließ sie sich im niederländischen Utrecht nieder.

Die Brüder büffeln Latein, Anna Maria lernt Französisch. Als der Vater merkt, dass sie den Brüdern „auf Latein zuflüsterte, was die gerade nicht wussten“, erhält auch sie Lateinunterricht. Eines Tages schneidet sie aus Papier „Umrisse und Figuren geschickt mit einer Schere aus“. Bei Magdalena, der Tochter des Kupferstechers Crispiaen van de Passe, lernt Anna Maria die Kunst des Kupferstechens. Bis ans Lebensende werden Selbstbildnisse und Porträts die Schurman als Künstlerin ausweisen.

Mit dem Theologen und Dichter Jacob Cats beginnt sie eine Korrespondenz auf Latein. In jedem Buch schwärmt er von seiner neuen Bekanntschaft. Briefwechsel mit weiteren berühmten Männern folgen. Die Schurman heiratet nicht und widmet sich privat dem Studium der Wissenschaften.

1636 verfasst Anna Maria das lateinische Gedicht zur Eröffnung der Utrechter Universität. Darin zieht Minerva, die römische Göttin der Wissenschaft, in Utrecht ein, aber ihrem jungfräulichen Gefolge bleibt die Universität verschlossen. Die Dichterin bekennt, es „bedränge ihr Herz“, dass Frauen nicht studieren dürfen.

Portrait Anna Maria van Schurman, gemalt von Jan_Lievens
Portrait Anna Maria van Schurman, gemalt von Jan Lievens, © Jan Lievens

In der Universität wird für sie eine hölzerne Loge gebaut. Hinter einem Vorhang hört die Schurman Vorlesungen in Theologie, Philosophie, Literatur und Medizin. Sie veröffentlicht eine „Abhandlung über die Befähigung des weiblichen Geistes zur Gelehrsamkeit und den höheren Wissenschaften“. Ihre These: „Der christlichen Frau steht ein Studium der Wissenschaften zu.“

Nach dieser Provokation bildet sich um die Schurman ein europaweites Frauennetzwerk. Sie beherrscht 14 Sprachen, schreibt ihre Briefe, Verse und Aufsätze auf Hebräisch, Griechisch, Latein und Französisch.

Im Frühjahr 1653 reist Anna Maria van Schurman mit zwei Tanten mütterlicherseits nach Köln, um dortigen Besitz der Familie von Harff, den die Stadt konfisziert hat, zurückzufordern.

Im Januar 1654 hat Anna Maria van Schurman in Köln „einige kleine Verse“ auf Niederländisch über die „Bewegungen ihres Gemüts“ verfasst: Die „Aenmerckinghe Over’t onderschijt tussen UITRECHT en CEULEN“. Die „Anmerkungen über den Unterschied zwischen Utrecht und Köln“ beginnen mit dem Heimweh nach Utrecht: O Utrecht, liebe Stadt, wie könnt ich Euch vergessen … das liebe Vaterland

Es folgt ein Lob auf Köln: Man lobt zurecht die größte aller Städte … Man lobt ihre schönen Gebäude, ihre Weingärten,/ die edle Früchte und ein berühmtes Getränk hervorbringen. Hier begann ihr Leben: So dass ich nicht verschweigen kann das Band,/ das mich verpflichtet der Stadt als meinem Vaterland … Doch sie fühlt sich hier nicht Zuhause: Es gibt zwar viele Kirchen, doch keine ist für uns./ Wir müssen über’n Rhein, bei Wind, bei Schnee, bei Regen. … Unsere Kirche, unser Haus, meinen Herd kann ich in Köln nicht finden

Im linksrheinischen Köln darf seit 1652 kein protestantischer Gottesdienst stattfinden. Protestanten müssen sich dafür ins rechtsrheinische Mülheim aufmachen. Deshalb ist Utrecht und seine protestantische Gemeinde für die Schurman Jerusalem, die Stadt Gottes; das katholische Köln verkörpert Babylon, die Stadt des Teufels.

Portrait Anna Maria van Schurman
© Kölner Frauengeschichtsverein

Im Sommer 1654 kehrt Anna Maria van Schurman nach Utrecht zurück. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist sie auf der Suche nach einer gelebten Frömmigkeit. Als sie von der radikalen christlichen Botschaft des Jean de Labadie erfährt, ein Jesuit, der mit der katholischen Kirche brach und in Genf reformierter Prediger ist, überzeugt sie ihn, eine Pfarrstelle in den Niederlanden anzunehmen. 1666 kommt er nach Utrecht. Die Gläubigen strömen zu seinen Predigten, auch Anna Maria van Schurman. Sie sieht in Labadie „ein von Gott selbst geschaffenes Werkzeug“, um ein „reineres Christentum“ zu verwirklichen.

Als die reformierten Gemeinden Labadie verstoßen, gründet er seine eigene Kirche nach dem Vorbild der ersten Christen, zieht mit seinen Anhänger*innen nach Amsterdam. Anna Maria van Schurman folgt ihm. 1675 wird den christlichen Außenseitern Schloß Waltha im holländischen Friesland geschenkt. Hier gründen die Labadisten eine christliche Kommune.

Mittendrin Anna Maria van Schurman, die im Schloss die Fortsetzung ihrer Autobiografie schreibt; der erste Teil ist 1673 erschienen: „Eukleria“ – Die gute Entscheidung oder die Wahl des besseren Teils“. Sie ist auf Latein geschrieben, um die alten Freunde zu erreichen, die ihre neues Leben „zutiefst missbilligten“.

In der „Eukleria“ heißt es selbstkritisch, sie habe sich einst als „gelehrte Dame“ auf die „Theaterbühne glänzender Berühmtheit“ führen lassen. Die Schurman widerruft   ihre Schriften, weil sie in einem „eitlen und weltlichen Geist verfasst sind …“ Aber generell plädiert sie für weltliche Gelehrsamkeit.

Am 14. Mai 1678 ist Anna Maria van Schurman auf Schloss Waltha gestorben, überzeugt, „dass mein gegenwärtiger Zustand der glücklichste ist“.  Ihrem Wunsch gemäß markierte kein Stein, kein religiöses Zeichen ihr Grab. Eine gebürtige Kölnerin, die als Gelehrte, Dichterin, Künstlerin und Theologin europäische Geschichte geschrieben hat.

Autorin: Dr. Barbara Beuys

Quellen

Ausgewählte Literatur zu Anna Maria van Schurman

  • Der Anna Maria von Schurman EUKLERIA oder Erwählung des besten Theils. Eine Schrift, die zugleich einen kurzen Abriß ihres Lebens enthält. Aus dem Lateinischen übersetzt. Dessau und Leipzig 1783. Übersetzer: Paul Hachenberg
  • Mirjam de Baar u.a. (Hg.): Choosing the better part. Anna Maria van Schurman (1607-1678), Dordrecht 1996
  • Mirjam de Baar: Anna Maria van Schurman, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland, 13.1.2014
  • Pieta van Beek (Hg.): Verbastert Christendom. Nederlandse gedichten von Anna Maria van Schurman (1607-1678), Den Hertog B.V. 1992
  • Pieta van Beek (Hg.): „Uw lieftalige brief“. En onbekende brief van Anna Maria van Schurman aan Johannes Vollenhove (1668), Ridderkerk 2014
  • Barbara Beuys: Maria Sibylla Merian. Künstlerin, Forscherin, Geschäftsfrau, Berlin 2016
  • Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, Frankfurt/M 1979
  • Sylvia Brown (Hg.): Women, Gender and Radical Religion in Early Modern Europe, Leiden 2007
  • Severine Delhougne: Anna Maria van Schurman, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen 2.5.2021
  • Irene Franken: „Was aber bleibt von den Spuren ihres Namens“. Eine Rede zum Gedenken an Anna Maria van Schürmann, in: Irene Franken, Christiane Kling-Mathey (Hg.): Köln der Frauen. Ein Stadtwanderungs- und Lesebuch, Köln 1992, Seite 214-253
  • Irene Franken: Frauen in Köln. Der historische Stadtführer, Köln 2008
  • Michael Spang: Wenn sie ein Mann wäre. Leben und Werk der Anna Maria van Schurman 1607-1678, Darmstadt 2009

Zur Geschichte Kölns

  • Hans-Wolfgang Bergerhausen: Köln in einem eisernen Zeitalter 1610 – 1686, Köln 2010
  • Joachim Deeters, Johannes Helmrath (Hg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Bd II: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit, Köln 1996
  • Barbara und Christoph Driessen: Köln. Eine Geschichte vom Urwald zur Millionenstadt, Köln 2015