Mein Credo
Auf die eigene Wahrnehmung, Kraft und Erfahrung vertrauen
Kindheit und Jugend
Meine frühesten Erinnerungen gehen zurück in das Haus der Großeltern an der Grenze zwischen Duisburg und Mülheim-Ruhr. Im Sommer brach die Kindergruppe auf zum Freibad jenseits der Ruhr; im Winter ging es zum Solbad Raffelberg, wo der Teich zugefroren war. Die Obstbäume im Garten durften beklettert werden.
Die väterlichen Wurzeln führten weiter an den Niederrhein. Bei den Großtanten in Geldern fuhr ich mit dem Fahrrad über die Grenze, kaufte dicke „Droste-Schokolade“ – Holland. Seitdem ist ein wohliges Gefühl eins mit diesem Namen; das kleine Land ein festes Reiseziel.
Die nächste Etappe war Düsseldorf, im Mittelpunkt die Luisenschule. So nannte sich unprätenziös das Mädchengymnasium. Keine heile Welt: Hier wurde diskutiert und gestritten.
Aufbruch in die Männerwelt
Mit zwölf Jahren wollte ich Geschichte studieren. Bald war auch der Berufswunsch klar: Journalistin. Die mütterlichen Wurzeln führten 1963 nach Köln an die Universität, in eine männliche Welt. Doch die Mädchenschule hatte mein Selbstbewusstsein gestärkt. Das Ziel, die Doktorarbeit, wurde 1969 erreicht, ebenso das Volontariat beim Kölner Stadt-Anzeiger – drei Männer, eine Frau. Nach zwei Jahren ein Angebot: Ich sollte als erste Frau in der Nachrichtenredaktion arbeiten. Nein danke, mich zog es in die Presse-Stadt Hamburg. Ich begann als Redakteurin beim STERN, wo es zwei Kolleginnen gab – unter gut siebzig Männern: eine für die Mode, die andere betreute „Frau und Gesellschaft“. Dass nun eine dritte Frau zu Reportagen nach Paris flog und die Hintergrund-Recherchen über die RAF übernahm – eine Premiere. Es lief gut.
Doppelleben: Autorin nach der Tagesschau
Doch ich wollte wieder in die Vergangenheit eintauchen. 1979 erschien bei Rowohlt mein erstes Buch – eine Biografie über den Großen Kurfürsten, erarbeitet vom Ende der 20 Uhr-Tagesschau bis Mitternacht. 1980 folgte „Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der deutschen Vergangenheit“, ein Bestseller. Der nächtliche Nebenjob wurde mein ständiger Begleiter. Tagsüber tat sich etwas in der Gegenwart. Courage erschien 1976, dann Emma – Zeitschriften von Frauen für Frauen gemacht.
Hatte ich gestern den Theologen Küng interviewt, schrieb ich jetzt über Frauen, die als Geliebte katholischer Priester an die Öffentlichkeit gingen. 1989 ein Anruf: Ob ich Textchefin vom ZEITmagazin werden möchte? Keine Frage. 1993 – sieben historische Sachbücher waren seitdem „nebenher“ entstanden – begann die nächste Epoche als freie Autorin mit einer besonderen Herausforderung: 1996 erschien „Heimat und Hölle. Jüdisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende“. Die Mörder, die mit den Menschen die Erinnerung auslöschen wollten, sollten nicht triumphieren.
Frauen sind Teil der Geschichte
Immer stärker wurde der Gedanke nach Köln zurückzukehren. Mit dem neuen Jahrtausend war eine Wohnung gefunden – und die Fokussierung auf eine weitere Herausforderung. Bis 2021 schrieb ich zehn Biografien über Frauen, darunter Hildegard von Bingen, Paula Modersohn-Becker, Asta Nielsen. Überrascht bemerkten die Kritiker*Innen, dass da völlig neue Facetten zum Vorschein kamen. Auch gänzlich Unbekannte wie die finnische Malerin Helene Schjerfbeck und die Komponistin Emilie Mayer lockten die Autorin. Alles eindrucksvolle, hoch talentierte Frauen, für die es bisher in der Männer-Geschichte weder Raum noch angemessene Würdigung gab.
Was ist ein Zufall?
Im Sommer 2003 wachte ich morgens auf und dachte: Es reicht. Am gleichen Tag war meine Mitgliedschaft in der römisch-katholischen Kirche beendet. Im Januar 2004 unterschrieb ich im Pfarrhaus der zuständigen Gemeinde meinen Eintritt in die evangelische Kirche. Im Sommer trat eine neue Pfarrerin ihren Dienst an. Im Winter bot sie einen biblischen Gesprächskreis an. Das interessierte mich und hatte ungeahnte Folgen. Eine neue Lebens-Alternative tat sich auf – zu zweit. Der Verpartnerung 2006 im Kölner Rathaus folgte eine Feier in einer evangelischen Kirche, für eine Pfarrerin in Köln selbstverständlich.
Der andere Teil, der mein Leben füllte, ging weiter: 2010 waren die Experten*Innen sich einig: In meiner Biografie über Sophie Scholl kam aufgrund „akribischer Recherche“ erstmals der Mensch hinter dem Mythos zum Vorschein.
Die Vergangenheit führt ins eigene Leben
Die Idee, die Zeit der NS-Herrschaft in den Niederlanden aus dem Vergessen zu holen, kam wie von selbst. 2012 erschien „Leben mit dem Feind. Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945“. Eine niederländische Ausgabe folgte: „Leven met de vijand“. In Amsterdam gab ich viele Interviews. Dann ging ich durch die Stadt – und stand plötzlich vor einer großen Buchhandlung. Ein Schaufenster war total mit meinem Buch dekoriert. Ich bekam eine Gänsehaut.
Schon 1987 hatte ich mich für die NS-Zeit entschieden: „Vergesst uns nicht! Menschen im Widerstand 1933 – 1945“. Neben „Heimat und Hölle“ gehören Sophie Scholl und die Besatzungszeit in Amsterdam in die gleiche Reihe. Hatte mich die Faszination für die Vergangenheit in meine eigene Geschichte geführt? Jahrgang 1943, Kind einer Generation, die sich in Hitlers „Wohlfühldiktatur“ behaglich einrichtete, wollte ich dem Schweigen nach 1945 lange Verdrängtes entgegensetzen, Bekanntes in neues Licht stellen.
Die richtigen Lehren ziehen
Was viele Jahre meines Lebens undenkbar schien, ist heute Realität: dass diese gewalttätige, menschenverachtende Vergangenheit gepriesen und mit unsäglichen Lügen umgedeutet wird. Der Antisemitismus ist wieder salonfähig. Und die Geschichte zeigt uns, dass der verzerrte Blick auf die Vergangenheit und die Verächtlichmachung von Minderheiten sich paart mit schlimmstem Frauenhass. Doch wir können aus ihr lernen: Wehret den Anfängen.

Meine bisher 23 Bücher sind bei wikipedia aufgelistet. Die letzten Bücher sind:
- Emilie Mayer. Europas größte Komponistin. Eine Spurensuche. Dittrich Verlag, Weilerswist 2021
- Die Heldin von Ausschwitz. Leben und Widerstand der Mama Zimetbaum. Insel, Berlin 2023
2017 bekam ich den Luise Büchner-Preis für Publizistik.
Autorin: Barbara Beuys