In den 1970er Jahren breitete sich die zweite Frauenbewegung von Berlin ausgehend auch in Westdeutschland aus. Die TV-Journalistin Inge von Bönninghausen, die schon bei der Gründung der EMMA mitgeholfen hatte, wollte die Themen, die die Feministinnen in Büchern zur Sprache brachten oder außerhalb der Institutionen an der Berliner Sommer-Uni, in den Frauenzentren, für ein breites Publikum im Fernsehen zugänglich machen. Die größte Schwierigkeit bestand dabei darin, den männlichen Fernseh-Oberen die Notwendigkeit eines solchen Formats plausibel zu machen. „Aber wir haben doch schon eine Frauensendung“, war ihre stereotype Reaktion.

Dr. Klaus Katz, Bruder der streitbaren Feministin Hannelore Mabry und von Bönninghausens direkter Vorgesetzter, war eine Ausnahme und stimmte zu, und so konnte dann 1980 die erste – und zehn Jahre lang einzige – feministische TV-Sendung der Bundesrepublik beim WDR an den Start gehen. Einmal monatlich wurde dem Fernsehpublikum eine Weltsicht jenseits des Malestream geboten, konnten Feministinnen sich 45 Minuten lang im deutschen Fernsehen wiederfinden und ihre Anliegen gespiegelt sehen. Wenn Inge von Bönninghausen in ihren bewusst leicht akademisch benannten Frauenstudien – wenig später „Frauen-Fragen“ – alle Themen, die die Feministinnen damals und heute noch beweg(t)en, aufgriff und engagiert verhandelte:

  • Frauenpolitik
  • Gewalt gegen Frauen und Mädchen
  • Prostitution
  • Abtreibungsverbot
  • Frauengesundheit
  • Männerherrschaft in sämtlichen Machtzentren
  • Gewalt in der Ehe
  • Lesben
  • Coming-out
  • Namensrecht
  • Männersprache
Portrait Inge von Bönninghausen
© Christel Becker-Rau

Neben der Regelsendung besondere Highlights: 1986 der Bericht über das Fest der 1000 Frauen in der Alten Oper Frankfurt; 1987 der Zwölfteiler Unerhört: Die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung von 1830 bis heute, gemeinsam mit dem NDR und dem HR.

1995 war Frauen-Fragen die einzige deutsche Redaktion, die 45 Minuten lang vom NGO-Forum bei der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking berichtete. Ab 1997 wurde das Magazin auf 30 Minuten gekürzt, dafür aber wöchentlich gesendet unter dem neuen Namen „Frau-TV“. Unter diesem Namen läuft es bis heute.

Inge von Bönninghausen wurde am 20. September 1938 in Uerdingen am Niederrhein geboren. Dieses besondere Datum sollte ihr später Ansporn und Verpflichtung werden: An einem 20. September wurde gut 100 Jahre zuvor (1831) auch Hedwig Dohm geboren, die wohl bedeutendste feministische Denkerin, die Deutschland hervorgebracht hat. Inge war das erste von vier Kindern des Volkswirts Dr. Rolf von Bönninghausen und seiner Frau Renate, geborene Laux. Als Erstgeborene genoss sie einige Privilegien und Freiheiten, die ihr wohl nicht zugestanden worden wären, wenn sie einen älteren Bruder gehabt hätte, glaubt sie – zum Beispiel das lange Studium einschließlich Promotion, das die Eltern klaglos finanzierten.

Der Vater war katholisch, die Mutter protestantisch, die Kinder wurden „selbstverständlich“ katholisch getauft. Die Mutter fühlte sich als Protestantin in der Familie ihres Mannes nie als vollgültiges Mitglied. Als Kind lernte Inge, dass Protestant*innen nicht in den Himmel kommen und weinte nächtelang um ihre Mutter, die sie dann im Himmel ja nicht wiedersehen würde. Als sie alt genug war, über ihre Religionszugehörigkeit selbst zu entscheiden, trat sie zornig aus der Kirche aus.

Die Berufssuche des Vaters in den Nachkriegsjahren zwang die Familie zu dauernden Umzügen. Schließlich ließ man sich aber in Wesel nieder, wo Inge von Bönninghausen bis zum Abitur das Mädchengymnasium besuchte. Die Schule gefiel ihr, vor allem Deutsch und Geschichte. Im Mittelpunkt ihrer Interessen stand allerdings die Musik, besonders der Gesang im Chor und auf der Bühne bei Jugendopern. Eigentlich hätte sie Gesangsstunden bekommen sollen und Sängerin werden können. Professionellen Gesangsunterricht gab es aber nur im weit entfernten Düsseldorf und so blieb uns Inge von Bönninghausen für ihren späteren Beruf der Journalistin zum Glück erhalten.

Mit 17 Jahren bekam sie die Chance eines USA-Austauschs und besuchte ein Jahr die High School in Hagerstown, Maryland. Von diesem Aufenthalt nahm sie den Eindruck mit, dass die USA einerseits toll und aufregend sind, andererseits auch erstaunlich spießig.

Nach dem Abitur studierte Inge von Bönninghausen zunächst drei Semester in Göttingen Germanistik und Anglistik, wollte aber eigentlich nach Berlin und schaffte es auch, einen Platz an der Freien Universität und im Studentendorf in Schlachtensee zu ergattern. Die Anglistik ließ sie fallen für das Fach Geschichte. Trotz der klassischen Kombi fürs höhere Lehramt – Deutsch und Geschichte – hatte sie aber keineswegs vor, in den Schuldienst zu gehen. Diese Vorstellung war ihr ein Gräuel: sich vor total gelangweilten Schüler*innen intellektuell und seelisch zu verausgaben! Vielmehr wusste sie bereits mit 16, dass sie Journalistin werden wollte, ohne jedoch von dem Beruf viel zu wissen. Natürlich hatte sie bei der Schülerzeitung mitgemacht, aber wohl weniger aus Leidenschaft als aus der Gewohnheit heraus, sich zu engagieren. Obwohl ihre schulischen Leistungen nach eigener Aussage „sehr mittelmäßig“ waren, wurde sie doch immer Klassensprecherin, weil sie es schon damals wagte, den Mund aufzumachen und sich einzusetzen.

Den Mauerbau (1961) erlebte Inge von Bönninghausen also schon vor Ort, in Berlin, desgleichen die Kubakrise (1962). 1968 war sie auch in Berlin, aber als es dort 68er-mäßig zur Sache ging, war sie, frisch promoviert, bereits wieder in Düsseldorf, wo ihre Eltern wohnten und wo sie in den Semesterferien immer ihr Zeitungsvolontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten absolviert hatte. Rundfunk- oder gar TV-Volontariate gab es damals noch nicht. Sie fand die Jahre vor 1968, etwa ab 1965, in denen der Umbruch vorbereitet wurde und sich abzeichnete, besonders aufregend. Sie hatte eine Hiwi-Stelle bei ihrem Doktorvater Eberhard Lämmert und arbeitete mit an der Untersuchung der erstmals wissenschaftlich gestellten Frage, warum die deutsche Germanistik sich so begeistert dem Nationalsozialismus angedient beziehungsweise unterworfen hatte.

Ihr erstes Berufsjahr verbrachte Inge von Bönninghausen 1969 als Assistentin des Fernsehprogrammdirektors beim Saarländischen Rundfunk. Der SR war angenehm überschaubar, sodass sie ihr Handwerk in allen Abteilungen von der Pike auf erlernen konnte. Es folgten einige Jahre als freie Autorin beim WDR und ZDF und schließlich wurde sie 1974 beim WDR als Redakteurin im Schulfernsehen fest angestellt. In den 1970er Jahren war alles en vogue, was mit Pädagogik und/oder Psychologie zu tun hatte. Inge von Bönninghausen betreute die Monats-Magazine Elternschule und danach Familienrat, letzteres zusammen mit einem männlichen Redakteur, mit dem sie sich dann in der Moderation abwechseln konnte. Redaktionelle Arbeit, so entscheidend sie auch ist, geschieht ja meist im Hintergrund, aber hier hatte sie die Gelegenheit, auch als Fernsehpersönlichkeit sichtbar zu werden.

Inge von Bönninghausen bei Demonstration zum Paragraph 218 am Kölner Dom, 1990. Sie trägt ein Schild mit der Aufschrift: „Herr Dyba! Wo setzt der Bischof ein deutliches Zeichen zum Schutz des Lebens der Kinder, die täglich Gewalt erleide?“.
© Inge von Bönninghausen

1979 lernte Inge von Bönninghausen die zehn Jahre jüngere Henny Taraschewski kennen, damals Gründerin und zuständig für die Finanzen des Frauenbildungshauses Zülpich, mit der sie bis heute zusammenlebt. Später eine weitere Neugründung, die LOBBY FÜR MÄDCHEN, die Taraschewski zur Lebensaufgabe wurde, ähnlich wie die Frauen-Fragen für ihre Partnerin. Ein Dream Team oder Power Couple der anderen, feministischen Art mit enormer Wirkkraft und Ausstrahlung, lokal und bundesweit. Heute arbeitet Taraschewski für den Kölner Frauengeschichtsverein im Archiv bei dem Projekt Digitalisierung. Von 1989 bis 2009 lebten sie in Bergisch-Gladbach, seit 2009 in einer schönen Parterre-Wohnung in der Kölner Innenstadt.

1987 gründete von Bönninghausen mit Kolleginnen den deutschen Journalistinnenbund, war von 1991 bis 1999 dessen Vorsitzende und vertrat ihn als Delegierte im Deutschen Frauenrat, der Dachorganisation aller Frauenverbände und Frauenvereine.

Ein Jahr nach ihrer Pensionierung 1999 wurde von Bönninghausen vom Deutschen Frauenrat zur Vorsitzenden gewählt. Es folgten vier intensive und spannende Jahre, wieder im Berliner Getriebe wie zu ihrer Studienzeit, in einer ehrenamtlichen Spitzenposition mit ausgedehnter Vortragstätigkeit im Dienst der organisierten Frauenbewegung. In ihre Amtszeit fiel unter anderem das 100-jährige Jubiläum des Internationalen Frauenkongresses in Berlin (1904), das im Auswärtigen Amt glanzvoll gefeiert wurde.

2005 kehrte Bönninghausen noch weiter zu ihren Anfängen zurück, nämlich zum Schreiben. In der Zeitschrift des Deutschen Frauenrats veröffentlichte sie bis 2015 politische Kommentare und Artikel zur Frauengeschichte. Sie erlebte die Rückkehr von der Bildsprache zur Wortsprache als interessante Herausforderung. Hatte sie ihre Filmemacherinnen jahrzehntelang angehalten, sparsamer mit dem Text zu sein und die Bilder sprechen zu lassen, so wurde sie nun ihrerseits von der Redaktion gebeten, ihre Texte nicht so knapp zu halten und zum besseren Verständnis etwas wortreicher zu gestalten.

Inge von Bönninghausen ist entschieden frauenzentriert, aber nur wenig „autozentriert“. Wohl nicht zuletzt deshalb erhielt sie zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, darunter die Hedwig-Dohm-Urkunde, den Augspurg-Heymann-Preis zur Förderung der Sichtbarkeit von lesbischen Frauen und das Bundesverdienstkreuz. Jüngste Ehrung: Der Adolf-Grimme Preis 2018.

Inge von Bönninghausen hat für Emanzipation gestritten, als dies noch mit Missachtung und Unverständnis quittiert wurde. Sie hat gegen Widerstände neue Maßstäbe für die Darstellung der Lebenswirklichkeit von Frauen in den Medien gesetzt. Inge von Bönninghausen begann damit in einer Zeit, als es hieß, dass man Frauen nicht zumuten könne, Nachrichten im Fernsehen zu verlesen und sie allenfalls als Ansagerinnen eingesetzt wurden. Sie forderte Zeit ihres Wirkens den gleichen Einfluss für Frauen in den Medien, als Journalistinnen, Redakteurinnen, in allen Führungspositionen und den Aufsichtsgremien der Sender ein.

Aus der Begründung für die Verleihung des 54. Grimme-Preises 2018 an Inge von Bönninghausen

Autorin: Luise Pusch (fembio.org)

Inge von Bönninghausen 2 – YouTube