Else Court (1899-1946) – Ravensbrücker Häftlingsärztin (1)                                       

Im Herbst 1943 war die Kölnerin Else Court eine der 35-40 Häftlingsärztinnen und -krankenschwestern im KZ Ravensbrück: „… natürlich hat man als Häftlingsarzt nur sehr beschränkte Möglichkeiten, zu helfen,“ so ihr Rückblick in einem Brief am 23. November 1945 an ihre Tante in Köln.

Else Court wurde 1899 als Tochter einer Kölner Justizratsfamilie geboren, der Großvater, Emil Schmitz, war 1898-1910 Stadtverordneter gewesen. Sie studierte Medizin. Politisch engagierte sie sich in der „Roten Studentengruppe“ und wandte sich vom Katholizismus ab. Ihr Vater nannte sie „meine Tochter, der Bolschewik“. 1926 promoviert, absolvierte sie das letzte Jahr als Assistenzärztin in einer Armenpraxis in Köln-Ehrenfeld. So war sie in der Nähe des Elternhauses am Hansaring 7, um ihrer kranken Mutter beizustehen. Diese starb am 9. März 1930.

Deren Schwester Marta Worringer (1) lebte mit ihrer Familie in Königsberg und unterstützte ihre Nichte schon lange. Else wollte in Ostpreußen Landärztin werden. Sie übernahm 1930 in der abgelegen Ortschaft Benkheim im Kreis Angerburg (heute: Węgorzewo, Polen) eine Praxis.

Königsberger Professoren und Bürger, so auch Martha und ihr Mann Wilhelm Worringer, die sich bereits 1932 in eine Innere Emigration zurückzogen, sammelten sich in der „Gesellschaft der Freunde Kants“ zum politischen Austausch. Hier schlossen Else Court und Maria Agnes Gräfin zu Dohna Freundschaft. Else Court war so auf Gut Tolksdorf bei ihrer Freundin und deren Mann Heinrich zu Gast. Die Frauen suchten die Zeit miteinander und diskutierten unter Gleichgesinnten.

Else Court
Else Court, Köln vermutlich um 1930, Fotografin: unbekannt. Familienchronik Court, Privatbesitz Ulrich Court (Köln)

Court verlor 1936 ihre Kassenzulassung, weil sie sich weigerte, den geforderten Eid auf Hitler zu schwören. 1939 übernahm sie per „Notdienstpflicht“ eine Hausarztpraxis in Aulenbach/Kreis Insterburg (heute: russische Oblast Kaliningrad). Dort wurde sie am 29. Juni 1940 verhaftet und wegen „Heimtücke“ zu zwei Jahren Haft in Königsberg verurteilt. Sie hatte die Rechtmäßigkeit des Überfalls auf Polen angezweifelt.

Am 23. November 1945 schrieb sie ihrer Tante Hedwig in Köln: „Ja es ist richtig, daß ich nach langer Zeit wieder gläubig katholisch bin. Es lagen 24 Jahre dazwischen, bis ich im Gefängnis zum ersten Male wieder die Sakramente nahm. Ich hatte Einzelhaft.“

Nach Haftende wurde sie am 1. August 1942 ins KZ Ravensbrück geschickt, wo sie als Näherin in der Schneiderei der Texled arbeitete. Marta Worringer organisierte Paketsendungen mit Nahrungsmitteln und Literatur.

Im September 1942 konnte Else Court erstmals an Worringer schreiben: „Beunruhigt Euch nicht meinetwegen; ich lebe und bin gesund […]. Für meine Tätigkeit wird weder Intelligenz noch Verantwortungsgefühl verlangt.“ Über das Weihnachtsfest in Ravensbrück 1942 schrieb sie nach der Befreiung: „Weihnachten war […] bei uns sehr feierlich. Alles weinte vor Heimweh […]. Alle Nationen sangen ihre Lieder.“

Am 20. Januar 1943 kam Court in das Außenlager Neurohlau (heute: Tschechische Republik). Hier erkrankte sie an Typhus und benötigte zwei Monate zur Genesung. Ihre Therapie: regelmäßig salzhaltiges Wasser trinken und Wadenwickel. Medikamente gab es nicht. Sie wurde zurückgeschickt ins KZ-Ravensbrück und dort als Häftlingsärztin eingesetzt.

Marta Worringer schrieb ihrer Nichte im August 1943 von dem Bombenangriff auf Köln am 29. Juni d.J., der das Elternhaus zerstörte. Das kommentierte Court im Oktober 1943: „Alle Erinnerung ist zerstört; Bücher, Briefe, Photos. Berufslos und heimatlos muß man Mitte der 40 Jahre das Leben nochmals anfangen.“ Ein Tagebucheintrag Marta Worringers von Februar 1944 dokumentiert den Einsatz der Nichte als Häftlingsärztin im KZ Ravensbrück: „Sehr gute Nachrichten von Else; es scheint, daß sie das Lager ärztlich betreut; das würde sie (von innen her) retten.“

Sie war für die Infektionsabteilung verantwortlich. Am 17. November 1944 traf Maria Agnes Gräfin zu Dohna in Ravensbrück ein. Sie war am 21. Juli zusammen mit ihrem Mann und dem jüngsten Sohn auf Gut Tolksdorf verhaftet worden (2). Es gelang ihr, mit Else Court Kontakt aufzunehmen: Auf Grund ihres Einsatzes als Krankenschwester im Ersten Weltkrieg konnte Court den SS-Arzt Treite überzeugen, ihr Dohna als Häftlingsschwester zuzuteilen. Die Arbeit war anstrengend, aber „sie brachte doch große Befriedigung“. Die Freundinnen teilten sich einen Schlafplatz im Revier. Für beide Frauen, so wird im letzten Brief von Else Court an ihre Freundin am 3. Februar 1946 deutlich, war das Zusammensein in Ravensbrück zentrale Überlebenshilfe. Auch Gräfin zu Dohna stellte dies noch 1981 als „ein großes Glück“ heraus.

Seit Januar 1945 leitete Else Court mit Schwester Maria Agnes das Revier der Zwangsarbeiterinnen in der Siemens-Fertigungsstelle Ravensbrück. 2.300 Frauen lebten in sechs Wohnbaracken. Als Toilette diente ein Graben mit „Donnerbalken“. Court und Dohna wussten, dass die Verletzten und Kranken nicht lange gepflegt werden durften, sonst bestand Siemens gegenüber der SS darauf, sie gegen arbeitsfähige Häftlinge auszutauschen. Mithäftlinge beurteilten ihren Einsatz im Rückblick unterschiedlich: ihr werden eine zu enge Kooperation mit SS-Arzt Dr. Treite, ignorantes Verhalten gegenüber Kranken und ein brutaler Umgang beim alltäglichen Organisieren des Krankenreviers vorgeworfen. Andere loben ihre Hilfsbereitschaft, ihr beherztes Auftreten gegenüber der SS sowie ihr Geschick, Verbesserungen für die Inhaftierten zu erreichen.

Als die SS am 29. April 1945 das Lager fluchtartig verließ, blieben etwa 3.000 Personen zurück. Der SS-Arzt Treite übertrug Court als der Ärztin mit der längsten Berufserfahrung, die Verantwortung für das gesamte Revier. Mit dem Eintreffen der Roten Armee am 30. April 1945 übernahm Antonia Nikiforowa, eine Leningrader Militärärztin, die Leitung.

Else Court wurde von der sowjetischen Kommandantur als Leiterin des Krankenhauses in Fürstenberg eingesetzt, sie schlug sich aber nach Berlin durch.

Am 2. Juli 1945 traf Else Court in Berlin-Frohnau bei der Familie ihrer Tante Marta Worringer ein. Am 14. Juli 1945 stellte sie beim Magistrat der Stadt Berlin einen Antrag auf Anerkennung als Opfer des Faschismus.

Seit dem 1. September betreute sie im Krankenhaus Berlin-Kaulsdorf Flüchtlinge und Vertriebene. Sie war für an Typhus und Fleckfieber erkrankte Patienten zuständig. In Güstrow wurde sie am 1. März mit der Vertretung einer Hausarztpraxis betraut und sollte auch das Flüchtlingslager ärztlich betreuen. Eine Woche später musste sie ins Krankenhaus eingewiesen werden. Fleckfieber wurde erst diagnostiziert, als sie bereits ohne Bewusstsein war. Am 12. März 1946 verstarb sie in Quarantäne an den Folgen einer Ansteckung im Krankenhaus Kaulsdorf.

Da ihre Taufkirche St. Gereon in der Kölner Nordstadt im Krieg zerstört war, wurden die Exequien in Lindlar abgehalten.

Else Court überlebte ihre Befreiung nur knapp elf Monate. Bis dahin hatte sie keinen Weg zurück in den Alltag gefunden. Für sie stand im Zentrum, als Ärztin Menschen zu helfen. In ihrem letzten Brief an Maria Agnes führte sie aus: „Typisch ist die Erinnerung an Ravensbrück. […] Es ist ein ‚Heimat‘-Gefühl geblieben, vor allem zu den Kameraden dort. Eine andere Heimat haben wir ja auch nicht vorgefunden. Dann ist die KZ Vergangenheit wie ein Geheimbund, alle nicht KZ Leute kommen einem nicht ganz in Ordnung vor. Es ist ganz merkwürdig, als wenn man ein Stigma trüge.“

Autorin: Christl Wickert

Fußnoten

  • (1) Ausführlicher zum Nachlesen bei Christl Wickert: Else Court (1899 – 1946) – Ravensbrücker Häftlingsärztin, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte, 61 (2014), S. 207–240. Zum Familienhintergrund siehe Helga Grebing: Die Worringers. Bildungsbürgerlichkeit als Lebenssinn – Wilhelm und Marta Worringer (1881-1965), Berlin 2004.
  • (2) Heinrich Graf zu Dohna war bereits am 14. September 1944 als Verschwörer des 20. Juli hingerichtet worden. Siehe dazu: Maria Agnes Gräfin zu Dohna: Konsequent gegen Hitler, in: Gerda Szepansky (Hg.), Frauen leisten Widerstand 1933-1945, Frankfurt/Main 1983, S. 50-56; vgl. auch Lothar Graf zu Dohna: Die Frauen des Hauses Dohna, in: Ders., Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie, Göttingen 2013, Band. 1, S. 300.