Meine Entwicklung ist geprägt durch die Nachkriegszeit. Wir wurden bereits Ende 1943 evakuiert, und bis nach Kriegsende lebte ich bei meiner Großmutter in Bayern. Wir waren Flüchtlinge.1949 wurde die Familie nach Rheinland-Pfalz zu gewiesen, wo mein Vater als Arzt arbeitete und meine Mutter Praxis, Haushalt und Kinder versorgte. Flüchtling und protestantisch – das waren Merkmale, die bedeuteten „nicht dazu zu gehören“. Diese Erfahrung von Randständigkeit wiederholte sich als „Lesbe“ und als Professorin in den 70er Jahren, die Frauenforschung und -arbeit zum Thema machte.
Es gibt drei Erfahrungen, die mein feministisches Engagement mitbestimmen sollten:
Schon beim Sonntagsbraten in meiner Familie in den 50er Jahren hatte ich einen kindlichen Zorn, wenn mein Vater – er schnitt das Fleisch, das meine Mutter zubereitet hatte – die größten Scheiben an meinen Bruder und sich selbst verteilte mit den Worten: „Der Junge muss wachsen und ich arbeite!“
Mit dem Tomatenwurf der Frankfurter Kolleg*innen vom SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) am 13. Sept. 1968, die damit eine Diskussion der Frauenfrage erzwingen wollten, wurde mir deutlich, dass ich progressive politische Positionen mit der Frauenfrage koppeln wollte.
Das Bekenntnis der Frauen im Stern 1971: „Ich habe abgetrieben“ zur Debatte um die Abschaffung des § 218 festigte meine Position.
Nach dem Psychologiediplom 1967 promovierte ich 1970 über die Rückkehr von Frauen in den Beruf nach einer 5-jährigen Familienphase und die Faktoren, die die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit begünstigten. Ich sprach mit 100 Frauen und erlebte deren Spagat und Mut, familiäre Rollen aufzubrechen. Erst 1975 brauchte eine Frau nicht mehr die Einwilligung des Ehemannes zur Berufstätigkeit und zur Eröffnung eines Bankkontos.
Nach Abschluss der Promotion bewarb ich mich 1971 als Dozentin an der FH Köln, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften. 1973 erhielt ich nach meiner Bewerbung eine Professur, die ich mit je einem Sabbatical in den USA und Großbritannien und einer Gastprofessur an der Universität Wien (1991–96) bis 2008 versah. Die Professur war von da an inhaltlich durch Frauenthemen bestimmt.
Ich engagierte mich in der Frauenbewegung, zunächst im Frauenzentrum Geißelstraße, dann im Frauenzentrum Eifelstraße im Plenum und in Selbsterfahrungsgruppen. Nach der Öffnung des Frauenhauses Köln 1978 war ich dort beratend tätig, und gleichzeitig lehrte ich frauenspezifische Inhalte im Studium der sozialen Arbeit. Im Frauenzentrum gab es eine Arbeitsgruppe Psychologie und Frauen. Dies wurde mein Schwerpunkt, da es in der Psychologie wenig Wissen zu frauenspezifischen Themen gab.
1. Wir organisierten den ersten Frauentherapie Kongress 1978 in Köln. Weitere fanden im Frauenferienhaus Zülpich und bis 1999 in unterschiedlichen Städten deutschsprachiger Länder statt.
Für uns war es ein zentrales Anliegen, gesellschaftliche Machtverhältnisse und ihre psycho-sozialen Auswirkungen zu analysieren, Haltungen und Arbeitsweisen zu entwickeln, die die scheinbar geschlechtsneutralen Konzepte der Psychotherapie aufbrachen und kritisierten. Die Schriften von Simone de Beauvoir 1949, Ursula Scheu 1977, Juliet Mitchell 1976 und Susie Orbach 1975 halfen uns, Psychologie und Psychotherapie zu hinterfragen und die Einbettung des Wissens in soziale Herrschaftsstrukturen herauszuarbeiten, vor allem aber Frauen nicht mehr als Objekt von Forschung und Behandlung zu sehen. Das Misstrauen in männlich dominierte Institutionen forderte nicht nur forschendes Lernen im Austausch unter Gleichen, sondern führte auch zum Autonomiepostulat und den bekannten Projekten, Buchläden, Frauenhäuser, -beratungsstellen, -gesundheitszentren, -bildungszentren.
2. Meine Arbeit mit und für Frauen war verbunden mit meiner Lehr- und Forschungstätigkeit als Professorin an der TH Köln. Ich hielt Seminare zu Frauenthemen und zu dem Zusammenhang von Geschlecht als sozialer Ordnungskategorie (gender) und Gesellschaft.
Ein Arbeitssemester in Kalifornien 1980/81war Frauenthemen gewidmet: Ich arbeitete in einer ‚Low Fee Therapy Clinic‘ und in einem Suchtzentrum für Frauen.
Auch an der Hochschule rührten sich die Studentinnen und forderten ein eigenes Arbeitsfeld, das sich mit Frauen und Sozialarbeit beschäftigte. Ich leitete und organisierte dieses Arbeitsfeld bis 2005. Mit der Studienreform (B.A.) wurde es in ein Gender–Institut überführt, dessen Leitung ich bis 2008 im Wechsel mit Kolleg*innen führte.
2000/01 arbeitete ich im Rahmen eines EU-Projekts in London zu „Trafficing – Menschenhandel und Zwangsprostitution“.
Mein Engagement war bestimmt durch den scheinbaren Widerspruch zwischen der „autonomen Frauenbewegung“ und dem „mühsamen Gang durch die Institutionen“ mit männlicher Arbeitskultur in Universität und sozialer Arbeit.
3. Fortbildungen
1991 – 1996 nahm ich eine Gastprofessur in Wien an. Dort lehrte ich Frauen- und Geschlechterforschung am Psychologischen Institut der Universität Wien.
Mit meiner Partnerin, Mitarbeiterin der Frauenberatungsstelle Wien, entwickelte ich zusammen mit einem staatlichen österreichischen Bildungsinstitut ein Fortbildungsprogramm für frauenspezifische Beratungsmethoden. Ausgangspunkt waren die spezifischen Lebensbedingungen von Frauen, ihr daraus entwickeltes Selbstverständnis, ihre Belastungen, Krisen und Konflikte. Ich kann nur aufzählen: Armut, Gewalt und Missbrauch, Scheidung. Das Motto war: „Beratung ist nicht die kleine Schwester der Psychotherapie“, sondern eine Möglichkeit, Frauen vielfältig zu unterstützen und zu begleiten ohne ihr Ringen mit den Verhältnissen als „krank oder gestört“ zu klassifizieren.
Im Bosnienkrieg engagierten wir uns von Wien aus auch in der Unterstützung von Frauen in den Kriegsgebieten und bildeten im Umgang mit Traumatisierung aus.
Es war ein langer Weg, bis ich 2008 aus dem Hochschuldienst ausschied. Danach konzentrierte ich mich mehr als 10 Jahre lang auf therapeutisches Arbeiten.
Betrachte ich die vielfältigen Perspektiven zum Thema Gleichstellung von Frauen heute, zum Beispiel sexuelle Selbstbestimmung, Enttabuisierung von sexuellem und Machtmissbrauch, die wachsende Zahl von Frauen in MINT-Berufen und in sichtbaren, öffentlichen Ämtern, so weiß ich, dass ich einen Beitrag dazu leisten konnte, dass Frauen sich Spielraum in den Geschlechterordnungen verschaffen können. Für mich war die Arbeit erfolgreich und zufriedenstellend.
Autorin: Dr. Sabine Scheffler, Prof*in i.R.