Auch wer den Namen noch nie gehört hat, kennt doch ihr berühmtestes Produkt, das die frühere Nonne Maria Clementine Martin in Köln hergestellt hat: „Klosterfrau Melissengeist“. Seit 1989 beobachtet ihre von der Bildhauerin Elisabeth Perger geschaffene Skulptur vom Kölner Rathausturm aus das Geschäftsleben der Stadt.

Sie hieß noch Wilhelmine, als sie am 5. Mai 1775 in Brüssel das Licht der Welt erblickte. Hier lebte die Familie, weil ihr Vater als kaiserlich-königlicher Offizier vorübergehend dort stationiert war. Maria Clementine nannte sie sich erst, nachdem sie mit 16 Jahren in das Annunziatinnenkloster St. Anna in Coesfeld eingetreten war. Hier verbrachte sie elf ruhige Jahre, bevor die Nonnen wegen geplanter Baumaßnahmen 1803 nach Glane in der Nähe von Gronau umsiedeln mussten. Doch 1811 wurde auch dieses Kloster im Zuge der Säkularisation aufgelöst. Die Nonnen erhielten nun eine kleine Entschädigungsrente, die nicht zum Leben reichte.

Annonce der Firma Klosterfrau für 'Doppeltes Cölnisches Wasser' mit Herausstellung des ab 1861 bezogenen neuen Firmensitzes Domkloster 3
Annonce der Firma Klosterfrau für ‚Doppeltes Cölnisches Wasser‘ mit Herausstellung des ab 1861 bezogenen neuen Firmensitzes Domkloster 3, © Rheinische-Geschichte Landesverband Rheinland

Über Umwege gelangte Maria Clementine nach Tirlemont in Brabant, wo sie nachweislich bis 1815 blieb. Es ist möglich, aber nicht bewiesen, dass sie am 18. Juni 1815 als Krankenpflegerin in der Schlacht bei Waterloo im Einsatz war. Vielleicht hat sie die verwundeten Soldaten aber auch nur im Lazarett versorgt. Fest steht jedoch, dass Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. Maria Clementine mit einer jährlichen Leibrente von 160 Talern ehrte. Damit konnte die frühere Nonne endlich selbst für ihren Unterhalt sorgen.

Von 1815 bis 1821 lebte sie nach eigenen Angaben acht Jahre in Brüssel im Konvent der Karmeliterinnen. Doch das ist nicht belegt.

1821 zog sie nach Münster in ein Haus des Münsteraner Domkapitels. Dort scheint sie sich mit Heilmitteln befasst zu haben. Noch im gleichen Jahr jedenfalls wurde gegen sie wegen medizinischer Pfuscherei und Quacksalberei ermittelt. Sie hatte Heilbehandlungen gegen „fistulöse und krebsartige Erkrankungen“ angeboten. Für ihre Behauptung, die nötigen Kenntnisse habe sie im Kloster Coesfeld erworben, finden sich keine Belege. Nachdem ihr die weitere Anwendung des Heilverfahrens untersagt wurde, ist unklar, ob sie in den nächsten vier Jahren nur von ihrer Rente lebte oder weitere Einkünfte hatte.

1825 zog Maria Clementine Martin nach Köln. Vielleicht folgte sie Ferdinand August von Spiegel, dem vormaligen Bischof von Münster, der nun als neuer Erzbischof in Köln einzog. In der Nähe des Doms, im Haus Auf der Litsch 1, kam sie bei dem kranken 86-jährigen Domvikar Gumpertz unter. Auch wenn sie ihn sicherlich aufopfernd pflegte, fand sie dort die Gelegenheit für erste unternehmerische Schritte: Im Haus des Domvikars, also sozusagen im Schutz der Kirche, destillierte sie ein KÖLNISCH WASSER, das sie per Inserat in der Kölnischen Zeitung bewarb: „Ein sich selbst empfehlend ächtes Kölnisch Wasser ist zu haben Auf der Litsch Nro. 1, die große Flasche zu 6 Sgr., 3 Pf.“

Rathausturmskulptur Maria Clementine Martin  Bildhauerin: Elisabeth Perger
Rathausturmskulptur Maria Clementine Martin, Bildhauerin: Elisabeth Perger, © Raimond Spekking CC BY-SA 4.0

Das muss ziemlich erfolgreich gewesen sein, denn am 28. Mai 1826 erfolgte die Unternehmensgründung: Eintragung im städtischen Handelsregister unter der Firma „Maria Clementine Martin Klosterfrau“. Als Gumpertz 1827 starb, mietete Maria Clementine Martin vom Kölner Domkapitel ein Haus an der Domhofgasse 19. Dort erweiterte sie ihr Angebot um ein Lavendelwasser und einen Essig de Quatre voleur, der angeblich vor ansteckenden Krankheiten schützen sollte. Das Geschäft lief und Maria Clementine Martin kam als Unternehmerin auf den Geschmack: Ein Melissenwasser würde sie noch erfolgreicher machen. Ganz gleich, ob sie die Rezepte bereits kannte oder nicht – sie wusste, was zu tun und was zu mischen war. Allerdings war die Rezeptur zu simpel, um von der königlichen Medizinalbehörde als Medikament anerkannt zu werden.

Aber die Klosterfrau gab nicht auf. Sie wandte sich 1828 demütig an König Friedrich Wilhelm III., den sie um nichts Geringeres bat als das Recht, auf ihren Produkten den preußischen Adler führen zu dürfen. Geschickt machte sie ihm klar, dass sie immerhin eine hochverdiente Veteranin im Einsatz nach der Schlacht von Waterloo war. Tatsächlich wurde ihr das Privileg mit Kabinetts-Ordre vom 28. November 1829 gewährt. Dadurch ermutigt hinterlegte sie ihr neues Fabrikzeichen zum Markenschutz beim Rat der Gewerbeverständigen in Köln. Es war raffiniert gestaltet und enthielt neben dem Preußenadler das Ordenszeichen der Carmeliter. Als „Carmeliter-Melissengeist“ wirkte das Produkt nämlich weitaus überzeugender. Der Rat nahm das Firmenzeichen anstandslos an, obwohl das richtige Ordenszeichen der Karmeliter einige Abweichungen enthielt.

In den folgenden Jahren schaffte es Maria Clementine Martin, ihre Kölnisch-Wasser-Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen. Die Bedenkenlosigkeit, ja auch Falschheit, die sie dabei an den Tag legte, ist einzigartig. Das „arme Nönnchen“ kannte keine fromme Rücksichtnahme, denunzierte und klagte an – nur ihr Geschäftserfolg zählte. Im Februar 1835 hatte sie kaum noch Konkurrenz und ihr Unternehmen gedieh prächtig.

Im gleichen Jahr starb ihr Protektor, der Kölner Erzbischof Ferdinand August von Spiegel, der in enger Verbindung zu den Preußen gestanden und ihr Wohlwollen genossen hatte. Sein konservativer Nachfolger Clemens August zu Droste-Vischering geriet hingegen schon bald in Konflikt mit der preußischen Regierung – und wurde dafür von Maria Clementine Martin sehr verehrt. Daraus kann man schließen, dass ihre unterwürfige Haltung gegenüber dem preußischen König nur vorgetäuscht war.

Am 9. August 1848 starb Maria Clementine Martin. Viele kamen zu ihrer Beisetzung auf dem Melaten-Friedhof. Wenige Monate vor ihrem Tod hatte sie ihren langjährigen Gehilfen Peter Gustav Schaeben, den sie als 14-Jährigen eingestellt hatte, zum Alleinerben eingesetzt. Er weitete die Firma beträchtlich aus, vertrieb die Produkte weltweit und erlangte in den kommenden Jahren zahlreiche Auszeichnungen.

Heute wird Klosterfrau Melissengeist von einem Zürcher Unternehmen, der healthcare group, produziert. Nach Angaben der Hersteller – und nach Meinung meiner Großmutter – ist das pflanzliche Arzneimittel so ziemlich gegen alles gut, was den menschlichen Körper quält:

  • Erkältung,
  • Hexenschuss,
  • Muskeln,
  • Magen,
  • Verdauung,
  • Beunruhigung,

nach dem Motto „Wenn’s oben zwickt und unten beißt – nimm Klosterfrau Melissengeist.“ Der große Alkoholanteil mag zur Beliebtheit des Mittels beigetragen haben…

Autorin: Gerda Laufenberg

Quellen