„Ich bin erstaunlich jung, ich kam erst 1951 auf die Welt…verwaist und vertrieben, da stand ich auf und ging heim ins Wort.“

Hilde Domin

Hildegard Dina Löwenstein wird am 27. Juli 1909 als erstes Kind einer Sängerin und eines Rechtsanwalts in Köln geboren. Sie erfährt Geborgenheit und Respekt in einer gutbürgerlichen assimilierten jüdischen Familie.

„Meine Eltern haben mich mit dem Vertrauen versorgt, das unzerstörbar scheint, aus dem ich die Kraft des „dennoch“ nehme“.

Hilde Domin

Mit zehn Jahren besucht Hilde die Städtische Merlo-Mevissen-Schule, Lyzeum mit Studienanstalt der gymnasialen Richtung. Die unangepasste, begabte Schülerin wird Klassensprecherin und hält eine frech-ironische Abiturrede.

Ab 1929 studiert Hilde Löwenstein zunächst Jura, dann Nationalökonomie, Soziologie und Philosophie in Heidelberg, Köln, Bonn und Berlin. In einer sozialistischen Gruppe liest sie Marx und lernt dialektisches Denken.

Exilium vita est

Portrait Hilda Löwenstein (Geburtsname)
© Mathias Michaelis Deutsches
Literatur-Archiv (DLA) Marbach

Mit ihrem Freund Erwin Walter Palm, Student der Altphilologie und Archäologie, geht sie 1932 nach Rom. Ihre Verbindung, „Lebensgespräch“ genannt, währt 56 Jahre. Beide schließen ihr Studium mit einer Promotion ab. Fortan widmet Hilde sich der Mitarbeit an Palms archäologischen und philologischen Studien und schlägt eine Dozentur in Florenz aus. Nach der Heirat 1936 in Rom verdient Hilde Palm den Lebensunterhalt für beide als Übersetzerin und Sprachlehrerin. Als Italien jüdische Emigranten ausweist, fliehen die Palms über Paris nach England ins zweite Exil. Sie leben in London, in steter Angst vor Hitler und dem drohenden Blitzkrieg. 1940 gelingt dem Paar die Flucht auf einem Frachter in die Dominikanische Republik. Auf der Reise lernen sie anhand von Gedichten Spanisch. Während der Überfahrt wird Hilde Palm schwanger. Sie bleibt kinderlos, ihre Gedichte werden Ersatz „für das Kind, das ich nicht haben durfte“ schreibt sie Jahre später.

In Santo Domingo begleitet Hilde Palm als Übersetzerin, Fotografin, Sekretärin und Hausfrau über 12 Jahre lang weiterhin die wissenschaftliche Arbeit ihres Mannes. Sie leidet an Verlassenheit und Entfremdung in der konfliktreichen Beziehung, davon zeugen zahlreiche Briefe.Der Tod ihrer Mutter 1951 ist Anlass für eine schwere Krise, Schreiben ist ihre Rettung.

Hand in Hand mit der Sprache

Hilde Domin (der Name „ihrer“ Insel)macht nun das Schreiben zu ihrem zweiten Leben. Ihre neue Existenz als Dichterin beginnt. Sie tritt aus dem Schatten ihres Mannes, bald wird SIE literarische Geltung als berühmter „Schriftsteller“(!) erreichen. Zeitlebens wird Domin im generischen Masculinum schreiben und sich gegen „Frauenlyrik“ verwahren. Für sie hat „Sprache kein Geschlecht. Wir sind alle Hermaphroditen, wir sind alle gemischt!“. 1954 kehrt Domin mit Palm nach 22 Jahren Exil nach Deutschland zurück, es folgen Reisen durch die BRD und lange Aufenthalte in Spanien. Erst 1961 zieht sie mit ihrem Mann nach Heidelberg, für immer – endlich ein Zuhause!

Nach einem Köln-Besuch schreibt sie ihr einziges Gedicht über ihre Heimatstadt. Domin publiziert Gedichte einzeln in Zeitungen und Anthologien. 1959 erscheint ihr erster Gedichtband: „Nur eine Rose als Stütze“. Es folgen weitere Lyrikbände, umfangreiche autobiografische Texte, der Roman „Das zweite Paradies“ sowie poetologische, literaturtheoretische und soziologische Essays. Mit intellektueller Verve beteiligt sie sich auch an politischen Diskursen.

In ihrer Lyrik sind Heimatverlust und Exil, Liebe und Hoffnung zentrale Themen. Domin beeindruckt mit klarer Sprache, ihre Gedichte sind „magische Gebrauchsgegenstände“, tief aus dem Leben geschöpfte, berührende Kunstwerke, die sich jeglicher Kategorisierung entziehen.

Bis zum letzten Lebensjahr hält die für ihr Publikum unvergessliche Dichterin Lesungen und Vorträge vor vollen Sälen im In – und Ausland.

Portrait Hilde Domin
© Mathias Michaelis Deutsches Literatur-Archiv (DLA) Marbach

Hilde Domin stirbt am 22.2. 2006 im Alter von 96 Jahren in Heidelberg. Auf ihrem Grabstein auf ihren Wunsch eine Gedichtzeile: „Wir setzten den Fuß in die Luft und sie trug.“

Rezeption und Erinnerung

Hilde Domin ist mit ihrem umfangreichen Werk weltweit bekannt, ihre Gedichte sind in 26 Sprachen übersetzt. Sie wurde mit vielen Preisen und Auszeichnungen geehrt.

Anna Ditges schuf mit dem Dokumentarfilm „Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin“ (2007) ein berührendes Porträt der Dichterin. Ilka Scheidgen (2006) und Marion Tauschwitz (2009) haben Biografien vorgelegt.

Domins schriftstellerische Nachlässe und ihre Bibliothek befinden sich im Deutschen Literatur Archiv (DLA) Marbach. 

Die Schule für Kranke in der Uniklinik Köln ist nach Domin benannt, ebenso der Rosengarten-Park am Fort X in der Neustadt-Nord. Günter Demnig verlegte zur Erinnerung an Paula, Eugen, Hildegard und Hans Löwenstein vier Stolpersteine vor dem Geburtshaus.

Autorin: Ina Hoerner-Theodor

Quellen

  • Hilde Domin, Gesammelte autobiografische Schriften, 2005, S.21
  • Hilde Domin, Aber die Hoffnung, Autobiografisches aus und über Deutschland, 1982, S.23
  • Mathilde von Mevissen (1848-1924), erreichte 1903 die Gründung des ersten humanistischen Mädchengymnasiums in Köln und in Preußen.
  • Brief an E.W. Palm, 19.8. 1952
  • Hilde Domin, Die Liebe im Exil, Briefe an E.W. Palm 1931-1959, S. Fischer, 2009
  • Hilde Domin, Von der Natur nicht vorgesehen, Autobiografisches, Piper, 1974
  • „Wortwechsel“, Literatursendung des BR, Interview Christa Schulze -Rohr mit Hilde Domin, 1991
  • Köln / Die versunkene Stadt/für mich allein versunken/Ich schwimme in diesen Straßen/Andere gehen… 2.1.1963, Heinrich Böll gewidmet, in: Sämtliche Gedichte, Fischer TB, 2009, S. 119
  • Der Fischer Verlag mogelte sie drei Jahre jünger, erst vor ihrem 90. Geburtstag gab sie ihr Alter preis.
  • Hilde Domin empfing mehr als 20 Würdigungen: vom Ida-Dehmel-Literaturpreis der GEDOK 1968 bis zum Großen Verdienstorden der Dominikanischen Republik 2005. –
  • Den Kölner Literaturpreis, heute Heinrich Böll-Preis, hat die Weltbürgerin nie erhalten.