Wenn Marta jemanden als ganz besonders unappetitlichen, uninteressanten und ungebildeten Menschen charakterisieren wollte, gab es nur ein fürchterliches Urteil: „Er liest nicht.“ Damit ist schon sehr viel über den Charakter einer ganz besonderen Künstler:innen-Persönlichkeit erzählt. Bildung, Literatur, Geschichte, Politik: All das waren die Wegweiser ihres Schaffens. 

In Düsseldorf wurde die Wahl-Kölnerin am 14. Februar 1894 als älteste Tochter von Friedrich Hegemann und seiner Ehefrau Wilhelmine, geborene Weisel, geboren. Eine Familie, in der sehr viel gestaltet wurde, gelesen und diskutiert. Oben auf dem Dach gab es einen Taubenschlag. Hier hat die kleine Marta oft gesessen, gezeichnet und, vor allem, beobachtet. Es sollte ihr späteres Leben als Malerin immer wieder beflügeln, der Flug der Taube, ihre stille Würde und ihre Kampfbereitschaft- von wegen Friedenstaube. 

August Sander, Martha Hegemann vor dem Wandbildentwurf „Kinderzimmer mit Jungen“ 1929, © Maf Raederscheidt

Später setzte sich Marta tatsächlich durch, um in Köln an der Kunstgewerbeschule – später war in demGebäude die Cäcilia Wolkenburg untergebracht – ein Studium zu beginnen. Hier lernte sie auch den Maler Anton Räderscheidt kennen. Dieser durfte, als Mann, damals zur Kunstakademie nach Düsseldorf wechseln, während Marta ihr Examen als Zeichen- und Sportlehrerin bestand. Eine feste Anstellung zugunsten der freien Kunst war für sie keine Option. Sehr früh suchte sie den Austausch mit Malerinnen, tauschte sich mit der jungen Angelika Hoerle aus und ließ ihre langen Zöpfe fallen. Dekorative Lieblichkeit lag ihr fern, die Natur, als Knüppel zwischen die Siebenmeilenstiefel ihrer Arbeit, verwarf sie. Es begann eine Zeit der Freiheit und der Umsetzung in ihre eigene Ikonographie, die leider vom Ersten Weltkrieg unterbrochen wurde. Eine bittere Zeit, die ihren Mann, Anton, Seele und Gesundheit kostete, aber dennoch ungebrochen nach dem Krieg in Köln am Hildeboldplatz Nummer 9 fortgesetzt und auf die künstlerische Spitze getrieben wurde. 

Ein Treffpunkt der Szene, Schauplatz von Ausstellungen und Skandalen, etablierte sich neben der Wohnung von Luise Strauss Ernst und ihrem Mann Max. Der erstgeborene Sohn, Johann, wurde in die Obhut seiner Tanten gegeben, und die Gruppe Stupid entwuchs aus der Neukölnischen Malschule, einer Variante des Kölner Dadaismus. Es sollte geistreich statt geschwätzig gemalt werden, kleinbürgerliches Handeln und Denken verwarf man,  mit Schabau und Frauentausch, immer politisch aktiv im Dienste der Ausgebeuteten. Man trennte sich vom Dadaismus, entwarf große Gedanken; die Mappe mit Holzschnitten Lebendige mag ein Zeugnis dessen ablegen. Auch die Armut in dieser Zeit belegt Marta mit den Sätzen: „Von unserer Armut damals kann man sich keine Vorstellung machen, von unserem Reichtum auch nicht. Wenn es zu toll wurde, nahmen die Männer eine Mappe unter den Arm, und wir wurden in einem Lokal untergebracht, in dem es warm und hell war. Zu Hause bleiben war unmöglich, weil Miete, Gasmännchen und andere sich Einlass verschafften.“

Dennoch avancierte Marta zu einer femme fatale der Kölner Szene. Sie wurde von der Galerie Kasimir Hagen vertreten und zog nachts mit Anton durch die Kneipen, mit Akkordeon und Gitarre, „Paloma“ genannt, wie das Lied, eine Habanera, die bei ihrem Auftauchen erklang. Noch heute erinnert man sich an die Lumpenbälle, bei denen alte Teppiche und Fetzen bemalt, grundiert aufgehängt wurden, reiche Sammler mit Billetts eingeladen wurden und arme Teufel den Eintritt kostenlos bekamen. Es wurde ihnen Schabau oder ein Butterbrot aufgezwungen (zu einem horrenden Preis) und das erwirtschaftete Geld an arme Künstler:innen-Familien bis nach Berlin verteilt. Zunächst Em decke Tommes, später in der Flora, als elegante Kopie ein gesellschaftliches Kunstereignis in Köln. 

Hannes Flach, 9 Photographien aus der Serie: Marta Hegemann bei der Arbeit in ihrem Atelier in Köln-Bickendorf, um 1930, Hans Flach-Archiv Köln, © Maf Räderscheidt

1933 setzte die Machtergreifung der Nationalsozialisten dem Schaffen zu, ja, sie konnten sogar unter Polizeieinsatz an der Ausübung ihres Berufes gehindert werden und waren von jeglicher Ausstellungsmöglichkeit abgeschnitten. Die Maler galten als Prototyp des marxistischen Künstlers, und Andreas Becker, der die Einzelausstellung Hegemanns eingerichtet hatte, kam zu dem Schluss: „Die Marta können wir nicht mehr ausstellen, die ist entartet.“

Inzwischen hatte Marta ihr zweites Kind geboren, den kleinen Karl, der an Jugenddiabetes litt. So begann eine Flucht um das Überleben des Kindes und um die eigene Existenz zu retten, über Rom, Neapel, und letztlich für alle der einzige Augenblick eines gesunden Familienlebens, auf Procida, der vorgelagerten Insel zwischen Neapel und Ischia. Hier wurde gearbeitet und gehofft, bis es kein Geld mehr gab. Während Anton sich noch eine Weile in eine Beziehung zu der wohlhabenden Ilse Salberg retten konnte, kehrte Marta mit den Kindern nach Köln zurück, um von dort bald die Verfolgung von Anton und Ilse aufzunehmen. Ilse Salberg, selbst Jüdin, war ein schweres Schicksal beschieden und sie starb jung, während Anton über die USA nach Frankreich gelangte, wo er nach dem Krieg eine neue Familie gründete. 

Marta, die nie Wert auf eine treue bürgerliche Beziehung gelegt hatte, war das unverständlich. Sie versuchte, um ihre Ehe zu kämpfen, fertigte Batiken, Buchumschläge, kunstvolle Kacheln oder ganz besondere Objekte an, um zu überleben. Ihre Ehe war nicht mehr zu retten, nach 10 Jahren des Prozessierens und Streitens verlor sie Anton, aber nicht ihre künstlerische Kraft. In der Fleischmengergasse in Köln arbeitete sie weiter bis zu ihrem Tod im Jahr 1970. Ihr Werk fand 1983 in einer Retrospektive im Kölner Allianzhaus und bei einer Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum Beachtung. 

Autorin: MAF Räderscheidt