Lange galt das Gebiet der Ökonomie als reine Männerbastion. Carola Möller gehört zu den ersten Wissenschaftlerinnen, die sich solch sperrigen Themen wie ungeschützten nicht existenzsichernden Arbeitsverhältnissen, Armut von Frauen und alternativen Wirtschaftsformen widmeten. Ihre Herkunft als Tochter eines Bauunternehmers hätte eher Anderes erwarten lassen.

Am 9. Oktober 1929 in Bonn geboren, begann sie dort mit dem Studium der Betriebs- und Volkswirtschaft:

„Es gab außer mir nur noch eine Studentin, und sonst nur Männer, also genau das richtige Fach“

Barbara Böttger und Marlies W. Fröse: Wissenschaft und Politik – die Geschichte einer fruchtbaren Beziehung. Interview mit Carola Möller, in: Ökonomie und Arbeit – Frauenansichten, Festschrift für Carola Möller zum 70. Geburtstag, Frankfurt 1999, S. 31.
Carola Möller auf der Weltfrauenkonferenz
Carola Möller auf der Weltfrauenkonferenz, © Carola Möller

befand sie. Später kamen die Fächer Soziologie und Sozialpolitik in München und Köln hinzu. Nach dem Abschluss als Diplom-Kaufmann arbeitete sie zuerst als „mithelfende Familienangehörige“, nach dem Tod ihres Vaters als Geschäftsführerin in dessen Betrieb und nach ihrer Heirat 1954 auch in dem des Schwiegervaters. Aber eigentlich wollte sie neben journalistischen Beiträgen für Rundfunk und Zeitungen wissenschaftlich arbeiten. So führte sie an der Universität Köln die erste industriesoziologische Untersuchung über die Arbeits- und Lebensbedingungen ungelernter Fabrikarbeiterinnen durch und konstatierte eine systematische Unterforderung und Verdummung der jungen Frauen. 1965 promovierte Carola Möller zu diesem Thema, ließ sich kurz darauf scheiden und zog nach Köln um. Anschließend bearbeitete sie freiberuflich das ebenfalls neue Thema kritischer Verbraucherforschung, unterrichtete an der Universität und analysierte die Folgen von Rationalisierungsprozessen. Von 1966 bis 1973 war sie Mitglied der Gewerkschaft IG Druck und Papier, davon acht Jahre lang im Kölner Vorstand und beteiligte sich an einem bundesweiten Druckerstreik. 1967 gehörte sie zu den Mitbegründerinnen und später zum Vorstand des „Republikanischen Clubs“ (RCK) in Köln, einem Treffpunkt für diejenigen, die die rückwärtsgewandte doktrinäre Adenauer-Ära hart kritisierten. Innerhalb des Clubs rief sie den „Arbeitskreis Frau & Gesellschaft“ ins Leben.

1971 wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Land NRW neu gegründeten „Institut zur Erforschung sozialer Chancen“ (ISO), dessen Geschäftsführung sie später übernahm. Dort beschäftigte sie sich mit Erwerbslosigkeit und den finanziellen Folgen für die Existenzsicherung der Haushalte. Ein zweiter Schwerpunkt wurde die zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, zum Beispiel durch Leiharbeit. Schon 1982 berichtete sie auf dem Deutschen Soziologentag über „Ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse – verstärkte Spaltung der abhängig Beschäftigten“. Als die ISO-Leitung den ihr versprochenen Aufbau eines Bereichs Frauenforschung ablehnte, reagierte sie selbstbewusst mit Kündigung. Am Hamburger Institut für Sozialforschung konnte sie dieses Thema dann als Teil eines großangelegten europaweiten Projekts vertiefen. Ihr 1988 veröffentlichter Bericht „Flexibel in die Armut. Empirische Untersuchung und theoretische Verortung ungeschützter Arbeitsverhältnisse“ kommt zu einem skandalösen Ergebnis:

„Es zeigt sich schon 1985, dass die Hälfte aller Arbeitsverhältnisse von sozialversichert Beschäftigten als ´nicht existenzsichernd` eingestuft werden muss – drei Viertel davon auf Seiten der Frauen.“

Unveröffentlichte Notiz

Nach der Anstellung in Hamburg betrieb sie weiter engagierte Armutsforschung. Im Auftrag des Landes Hessen analysierte sie auf der Basis amtlicher Statistiken die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen in Hessen sowie die Arbeitsmarktentwicklungen in Ostdeutschland für die Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nach dem niederschmetternden Befund zunehmender ungeschützter Erwerbsarbeit von Frauen interessierte sie sich nun für konkrete Utopien als Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung. Sie verfasste Artikel, hielt Vorträge und organisierte Tagungen zum Thema eines anderen gerechteren Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens. Aber wie kommt man

„vom Wahrnehmen zum Sprechen und dann zum Handeln…neue Gedanken brauchen in der Regel mindestens fünf Jahre, um überhaupt irgendwo in den Köpfen anzukommen“

Carola Möller. Eine feministisch-ökonomische Vordenkerin. Ausgewählte Schriften und Vorträge 1966-1999, hrsg. von der Stiftung Fraueninitiative, Marlies W. Fröse, Rita Seppelfricke und Annekathrin Link, Ulrike Helmer Verlag 2018, S. 33.

sagte sie in einem Interview. Der nächste Schritt, die Umsetzung derartig radikaler theoretischer Ergebnisse in die politische Praxis, ist sicherlich der schwerste.

„Wir müssen uns davon verabschieden zu denken und zu hoffen, die Erwerbsarbeit sichere der Masse der Bevölkerung ihre Existenz. Bedürfnisorientiertes Wirtschaften, der Austausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitsleistung statt Geld, kann den anderen Teil der Existenz sichern.“

Dies hat Carola Möller gemeinsam mit der Sozialistischen Selbsthilfe in Köln Mülheim (SSM) bei der Planung der dortigen Industriebranche, der Gründung eines „Instituts für Theorie und Praxis der Neuen Arbeit (INA)“ und beim Aufbau eines Umsonstladens versucht. Um solche und ähnliche Erfahrungen unbezahlter Versorgungsarbeit auch in anderen Teilen der Welt – beispielsweise ´urban gardening` in New York – einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und theoretisch zu durchdringen, gründete sie 1996 ihre eigene „Stiftung Fraueninitiative“, die im Rahmen von Jahresstipendien „Arbeiten für das gemeinsame Eigene und nicht für den heute dominanten Markt“ fördern sollte.

Portrait Carola Möller
© Usche Mields

Carola Möllers wissenschaftliche und politische Arbeit ist eng mit der Frauenbewegung verbunden, sie war auch hier eine Pionierin. 1975/76 beteiligte sie sich zunächst an der Gründung des bundesweit ersten autonomen Frauenhauses in Köln und übernahm selbst die Organisation der alltäglichen Arbeit, zu der auch Nachtwachen gehörten. Drei Jahre später war sie an der Gründung des „Kölner Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis“ beteiligt und gehörte bis 1994 dem Redaktionsteam der Vereinszeitschrift „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ an. 1989 rief sie zusammen mit anderen das „Forum Ökonomie & Arbeit“ ins Leben, in dem sich Wissenschaftlerinnen aus Ost- und Westdeutschland mit alternativen Wirtschaftsformen befassten. 1994 war sie Mitinitiatorin des bundesweiten Frauenstreiks mit dem Slogan „Wenn Frau will, steht alles still“. Damit aktive Frauen sich besser austauschen, vernetzen und auch erholen können, stellte sie ihnen ein schönes Haus mit einem großen Garten im Oberbergischen zur Verfügung. Dass gesellschaftliche Verhältnisse veränderbar sind, davon war Carola Möller zutiefst überzeugt, aber: „Wenn man etwas will, muss man es selbst tun.“

Textbearbeitung: Karin Feuerstein-Prasser und Dr. Barbara Böttger

Quellen

Verfasst auf der Basis des Textes von Irene Franken (2019): Carola Möller, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/carola-moeller