Alice Schwarzer wurde 1942 – mitten in Zweiten Weltkrieg – in Wuppertal Elberfeld geboren und lebte in den ersten Jahren bei ihren Großeltern. Die Mutter war berufstätig, der Großvater war emotional und geistig ihre wichtigste Bezugsperson.

Schon früh wusste Alice, dass sie Journalistin werden wollte. Von 1963 bis 1965 lebte sie in Paris und lernte die französische Sprache. Sie machte ein Volontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten und arbeitete danach als Reporterin bei der Zeitschrift Pardon.  Von 1970 – 1974 arbeitete sie als freie Korrespondentin in Paris für Zeitung, Funk und Fernsehen.

Demonstration gegen §218 1986 in Aachen. Links neben Alice Schwarzer Melitta Walter und Jakub Moneta, © Bettina Flitner

Dort kam sie mit der französischen Frauenbewegung in Kontakt und lernte Simone de Beauvoir und Monique Wittig kennen. Sie war Mitinitiatorin des Mouvement pour la libération des femmes (MLF). 1971 bekannten 343 Frauen, darunter viele Prominente wie Catherine Deneuve und Simone de Beauvoir, in dem Wochenmagazin Le Nouvel Observateur, dass sie abgetrieben hatten. Sie forderten eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.

Wenige Monate später stellte Alice Schwarzer eine vergleichbare Aktion in Deutschland auf die Beine. 374 Frauen erklärten im Rahmen einer Titelgeschichte im Stern „Wir haben abgetrieben“.  Sie prangerten damit die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in West-Deutschland an (die bis heute nicht beendet ist).

Mit ihren Buchveröffentlichungen in den 1970er Jahren (Frauen gegen den §218, Frauenarbeit und Frauenbefreiung, Der kleine Unterschied und seine großen Folgen) legte Schwarzer die Finger in viele Wunden, die den Status von Frauen in dieser Zeit kennzeichneten: Frauen wurden unmündig und in finanzieller Abhängigkeit vom Ehemann gehalten. Ihnen wurde eine eigene aktive Sexualität abgesprochen. Schwarzer demaskierte und bekämpfte patriarchale Machtstrukturen. 1975 bewies sie in ihrem vom WDR ausgestrahlten Streitgespräch mit Esther Vilar ihre Eloquenz, aber auch ihre ungezähmte Angriffslust.

In diesen Jahren wurde Alice Schwarzer in der ganzen Republik und darüber hinaus bekannt. Sie wurde die „Vorzeigefeministin“, an der sich die Geister schieden. Für viele Frauen waren ihre Texte eine Offenbarung. Aber sie wurde auch zur Projektionsfigur aller Ängste vor dem Feminismus und vor starken Frauen. So erntete sie neben Anerkennung und Bewunderung auch Neid, Diffamierung und inakzeptable Angriffe – bis heute.  Schwarzer ließ sich nicht beirren. Für sie gab es nur eine Option: Weitermachen.

Alice Schwarzer, 2021, © Bettina Flitner

1977 gründete sie die Zeitschrift EMMA und ihren eigenen Verlag. Bis heute ist sie Chefredakteurin. In dem biografischen Film zu ihrem 80. Geburtstag („Alice Schwarzer“ von Sabine Derflinger) klingt eine gewisse Wehmut an. Hatte Schwarzer anfangs wohl gehofft, die EMMA könnte aus der Frauenbewegung und zusammen mit frauenbewegten Frauen entstehen? Aber Alice Schwarzer ist eine Geschäftsfrau, eine Macherin und keine Team-Playerin. So sind manche Gräben entstanden zwischen Alice und der (Kölner) Frauenszene.  

Immer wieder meldet Schwarzer sich in der Öffentlichkeit mit provokanten Thesen zu Wort:  zur Pornografie, zum Kopftuch muslimischer Frauen, zum Islamismus, zur ‚Transsexualität‘ oder zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Schwarzer verleiht ihren Statements und Positionen Gewicht durch ihre Präsenz und Wortgewalt. Ihre Argumentation ist häufig apodiktisch und persuasiv. Seit jeher holt sie unliebsame und verdrängte frauenpolitische Themen ans Licht und fördert so gesellschaftliche Diskurse, wie kontrovers sie auch geführt werden mögen UND MÜSSEN, wie bedenklich auch manche Positionen sein mögen – vor allem, weil sie einigen Gruppierungen zu nahetritt und sie verletzt. Von Schwarzer zu verlangen, dass sie Verständigung suchen und Brücken bauen sollte, wäre eine Verkennung ihrer Person. Für gemeinsame Reflexionen, zum Aushalten von Ambivalenzen und für die Anerkennung differenter Standpunkte müssen andere bereitstehen. Alice Schwarzers Sache ist die Provokation, und darin ist sie richtig gut. Und damit hat sie sehr viel beigetragen zur ‚Befreiung‘ der Frauen. Chapeau und danke!

Publikationsliste (Auswahl)

  • 1971 Frauen gegen den § 218
  • 1973 Frauenarbeit und Frauenbefreiung
  • 1975: »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen«.
  • 1994: »Eine tödliche Liebe – Petra Kelly und Gert Bastian«
  • 1996 »Marion Dönhoff – ein widerständiges Leben«,
  • 1998: »Romy Schneider – Mythos und Leben«,
  • 2011: »Lebenslauf« (Teil 1 ihrer Autobiografie),
  • 2016: »Der Schock – die Silvesternacht von Köln«,
  • 2018: »Meine algerische Familie«,
  • 2020: »Lebenswerk« (Teil 2 ihrer Autobiografie)
  • 2022: mit Chantal Louis »Transsexualität«
  • 2022: Der Dokumentarfilm „Alice Schwarzer“ in deutschen Kinos
  • 2022 Zweiteiliger ARD-Spielfilm über ihr Leben: „Alice“ 

Autorin: Maria Beckermann