Faye Cukrowski, später nannte sie sich Cukier, wurde am 15.6.1922 in Köln-Höhenberg geboren. Die Eltern, Jakob und Sophie Cukier, waren Juden polnischer Abstammung. Faye wuchs in Köln als „Mülheimer Schönheit“ auf. Sie war verwurzelt in ihrem Stadtteil, eine gute Schülerin und liebte ihre Heimat. Ihre Kindheit erinnert sie als ausgesprochen glücklich, bis die Nazis in Köln an die Macht kamen. Faye wurde als einzige jüdische Schülerin ihrer Mülheimer Schule gezwungen, diese Schule zu verlassen. Schon früh bekam sie Ausgrenzung und Gewalt zu spüren.

Eine schlimme Erfahrung mit Antisemitismus in Köln machte ich … kurz vor unserer Abreise. Als ich zum Mülheimer Güterbahnhof musste, um Vatis Papiere abzugeben, war ich plötzlich von einer Gruppe großer Jungen umgeben, die denselben Judenhassreim wie in meiner Kindheit riefen. Sie warfen mit Steinen nach mir, und mir lief Blut vom Kopf. Weil es Samstagnachmittag war, war niemand in der Nähe. Allein und geschockt von diesem Angriff, erfüllten mich Grauen und Wut. Mit hämmerndem Herzen rannte ich um die Ecke zum Eingang des Güterbahnhofs, den ich nicht betreten durfte. Dann fuhren meine Mutter und ich zum Polizeirevier. Die Polizisten hatten Verständnis, konnten aber nichts tun, denn als Juden hatten wir keine Bürgerrechte.

Faye Cukier, Die Flucht vor dem Hakenkreuz, Emmons Verlag 2012

Die Eltern entschieden sich unmittelbar nach diesem Ereignis schweren Herzens, aber endgültig zur sofortigen Flucht aus Deutschland. Mit einem Touristenvisum reisten Faye und ihre Mutter nach Antwerpen. Sie war erst 16 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter im September 1938 noch vor der Reichspogromnacht dort ankam. Der Vater konnte wenig später nachreisen. Es war ihm noch gelungen, seinen gut laufenden Metallbetrieb illegal aufzulösen, womit er der drohenden Zwangsenteignung durch die Nazis gerade noch zuvorgekommen war. Euphorisch beschreibt Faye in ihren Lebenserinnerungen „Flucht vor dem Hakenkreuz“ ihre Ankunft dort.

In dieser Stadt war so viel Leben. Ich wusste nicht wohin ich zuerst schauen, hören, riechen sollte. Nur wenige Stunden von Köln entfernt, wo ich geboren war und das ich hatte verlassen müssen, vielleicht für immer, in Richtung dieser fesselnden Hafen- und Diamantenstadt Antwerpen.

Faye Cukier mit ihren Eltern 1945 in Brüssel, © NS-Dok-Zentrum

Die ersten Tage in Antwerpen waren noch von Hoffnung auf ein Visum für die USA oder England geprägt. In den Warteschlangen vor dem US-Konsulat, wo sie täglich für ein Visum in die USA anstand, knüpfte Faye Kontakte zu Menschen aus der großen jüdischen Gemeinde Antwerpens. Wichtige Beziehungen entstanden. Irgendwann nach endlosen Versuchen wurde allein für Faye, nicht für ihre Eltern, ein Visum für die USA in Aussicht gestellt. Sie galt als Deutsche, da sie in Köln geboren war. Das galt nicht für ihre Eltern, die aus Polen kamen. Sie hätte also allein ausreisen können, aber von ihrer Familie wollte sie sich nicht trennen.

Mit 16 Jahren trug Faye als Flüchtlingskind bereits entscheidend zum Unterhalt der Familie bei. Sie übersetzte Briefe, in denen Geflüchtete bei den Botschaften um Ausreiseerlaubnis nach England oder die USA bitten mussten. Außerdem erteilte sie Englischunterricht. Ihr Unterrichtsraum war ein Restaurant und sie entwickelte eine eigene Lehrmethode von Fragen und Antworten. Bestimmt war sie die jüngste Englischlehrerin und außerordentlich nachgefragt. Diese Anerkennung stärkte ihr Selbstbewusstsein und sie war stolz auf die Unterstützung, die sie damit für die eigene Familie erarbeiten konnte.

1940 besetzten die Deutschen Belgien. Die Cukiers flohen an die belgische Küste in der Hoffnung mit einem Schiff von Oostende nach England zu entkommen – vergebens, die letzte Fähre war überfüllt. Sie zogen mit einem Strom von Flüchtlingen weiter an der Küste entlang in Richtung Frankreich. Dort erlebten sie schutzlos auf freier Straße die Luftangriffe der Deutschen in Dünkirchen. Wie durch ein Wunder überlebten Faye und ihre Eltern, während die Stadt in Schutt und Asche gebombt wurde.

Die Cukiers gingen zurück nach Antwerpen und konnten in der alten Wohnung unterkommen. Auf dem Tisch stand noch ihre alte Zuckerdose – ein Hoffnungsschimmer. Faye konnte mit Diamantenhandel wiederum der Familie den Lebensunterhalt sichern. Kurz vor Sylvester 1940/41 erhielten alle Juden den Befehl der Nazis, sich zu stellen. Die Mutter, die das ständige Verstecken nicht mehr aushielt, erzwang gegen den entsetzten Widerspruch von Faye die Meldung der Familie.

Faye Cukier 2010 im Domforum mit Dr. Werner Jung, Direktor des NS-DokZentrums, © NS-Dok-Zentrum

Die Cukiers landeten in Hoeselt. Die Bewohner des Städtchens, ermutigt durch ihren engagierten Bürgermeister, brachten alle 120 Juden in Familien unter, die Cukiers sogar bei der Schwester des Bürgermeisters. Der Ort war für Faye ein Glücksfall. Sie erlebte dort fast ein halbes Jahr lang eine fast unbelastete Zeit. Als erneut die Deportation in ein Lager drohte, wurden sie rechtzeitig gewarnt. Die Cukiers verließen Hoeselt und gelangten nach Brüssel.

Der Druck auf die Juden wurde aber auch dort immer größer. Erneut wurde die Familie aufgefordert, sich zu stellen und wiederum wollte die Mutter die Familie den Nazibehörden ausliefern. Aber diesmal brachte Faye die Kraft zum Widerstand gegen die Mutter auf.

Nein! Niemand, wirklich niemand wird mich von meinem Weg abbringen! Ich muss meinem eigenen Willen und Gewissen folgen… Ich bin darauf vorbereitet, ein spartanisches Leben zu führen, aber nicht als deren Gefangene. Sag mir, was du willst, Mutti, aber erwähne nie wieder, dass ich mich stellen soll.

Wahrscheinlich rettete Faye mit dieser Entscheidung nicht nur das eigene Leben, sondern auch das ihrer Eltern! In Brüssel erlebte sie mit Vater und Mutter das Kriegsende:

Endlich, am 3. September 1944, hieß es „Brüssel von den Alliierten befreit“. Wir gingen siegreich hervor aus der Flucht vor dem Hakenkreuz.

Sie ist seit 1956 amerikanische Staatsbürgerin durch Heirat. Sie hat zwei Kinder und zwei Enkel in den Staaten. Sie lebte abwechselnd dort und in Köln. Lange Jahre war sie aktiv bei der Aufklärung über Antisemitismus, Krieg und auch Widerstand.

Am 22. 6.2022 wurde sie 100 Jahre alt. Aus diesem Anlass gab sie dem Kölner Stadtanzeiger im Elternheim der Synagogen-Gemeinde in der Ottostraße, wo sie heute lebt, noch ein Interview.

Ihre Lebensweisheiten

  • „Wenn du Angst hast, vielleicht sogar vor dem Tod, dann muss man eben mehr leben. Nimm dein Schicksal in die eigenen Hände! Be the Captain of your own Fate!”
  • „Mir wurde bewusst, dass ein wundervoller Tag, eine interessante Stunde, ja, auch nur ein flüchtiger Augenblick ein Geschenk des Lebens ist.“

Autorin: Beate Gröschel

Quellen

  • Zitate aus: Faye Cukier, Die Flucht vor dem Hakenkreuz, Emmons Verlag 2012
  • Fotografien unter : Arbeiterfotografie – Portraits zum Anfordern
  • KStA vom 15.6.2022 „Kölner Holocaust-Überlebende Faye Cukier wird heute 100 Jahre alt“ Von Uli Kreikebaum