„Bleibe jung!“ so betitelt sie die Sammlung von „täglichen Körperübungen der Frau“, 1920 gemeinsam mit Luise Neyber herausgegeben[1]. Else Wirminghaus, die ausgebildete Klavierlehrerin, hat mit ihrer Vision der Verknüpfung von Körper und Geist, von Kraft und Muse, von disziplinierter Körperarbeit und freischwebender Harmonie tänzerischer Bewegungen die „Höherentwicklung“ der Frauen ihres Zeitalters im Sinn. Die „Kultur des eigenen Körpers“ sieht sie als Ausgangspunkt einer neuen Frauenbewegung.[2]  In vielen ihrer weiteren Veröffentlichungen und Vorträgen versieht sie, die umfassend gebildete Theoretikerin, die ambitionierten frauenpolitischen Thesen mit einem kaiserzeitlich wertkonservativen Deutschtumsüberbau, der uns nach der Nazizeit Geborene befremdet.

© Diderk Wirminghaus

Öffentlich bekannt wird sie vor allem durch ihr couragiertes Eintreten für die Abschaffung des Korsetts. Sie wirbt für eine freizügigere und damit gesündere und harmonischere Bekleidung für Frauen. Sie sieht dies auch als praktisches Symbol für die Selbstbefreiung der Frauen aus ihrer krassen gesellschaftlichen Ungleichbehandlung.

Nach der Erkämpfung des Frauenwahlrechts 1919 werden landesweit beherzt unzählige weitere Reformprojekte für den Lebensalltag von Frauen angepackt. In Köln bildet sich zu deren Koordination der „Verband Kölner Frauenvereine,“ an dem sich E. Wirminghaus aktiv beteiligt. Neben ihrer familiären Arbeit und unterstützt durch ihren Mann, Prof. Dr. Alexander Wirminghaus, entwickelt sie über Jahrzehnte intensive frauenpolitische Aktivitäten.

Im Overstolzenhaus, Rheingasse 8, das Alexander W. seit 1892 als Syndikus der Handelskammer mit seiner 5-köpfigen Familie bewohnen kann, entstehen über den Klavierunterricht die Kontakte zu Clara Sander und Margarete Buschhaus vom „Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“. Else wird Mitglied.

1905 veröffentlicht sie eine Biografie ihres Vaters und von ihr sachkundig und detailliert kommentierte Schriften von ihm.[3]

Im selben Jahr übernimmt sie den Vereinsvorsitz, den sie bis zu ihrem Rücktritt 1919 innehat.

1909 wird ihr Verein Gründungs- und Leitungsmitglied im „Verband Kölner Frauenvereine“, in dem sich viele Frauenvereine vernetzen.

Mit Clara Sander gibt sie die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Die neue Frauenkleidung“ heraus und verfasst dazu etliche eigenen Beiträge.

Else W. mit Tochter Bertha
Else W. mit Tochter Bertha, © Diderk Wirminghaus

Ab 1910 verändert sich deren Titel in „Neue Frauenkleidung und Frauenkultur“.

Ungefähr seit dieser Zeit lebt die Familie auch häufig in einem Landhaus in Nideggen, Eifel.

1911 erscheint ihr umfassendstes Werk „Die Frau und die Kultur des Körpers“ [4]. Hier reflektiert sie u.a. Themen zur „Frau als Trägerin der Volksgesundheit“ und macht darin überraschend den Vorschlag, jungen stillenden Mütter „in dieser Zeit persönlicher Entäußerung (das Alltagsleben) zu erleichtern“ und ihnen darüber hinaus „Anregungen geistiger Art zu verschaffen“.[5]

Sie betont die gesellschaftliche Bedeutung der „Frau als Trägerin der Volksgesundheit… weil das Wohl des Ganzen die volle Entfaltung weiblichen Einflusses nicht entbehren kann.“[6] Dabei wertet sie auch ihre eigene professionelle und überaus anstrengende[7] Organisations-, Wohlfahrts- und journalistische Arbeit nicht als Beruf und thematisiert so auch nicht – im Gegensatz zu anderen Frauen ihrer Zeit – den emanzipatorischen Stellenwert weiblicher Berufstätigkeit.

1914 beteiligt sich Else im Rahmen einer Frauenwoche während der großen Werkbund­ausstellung in Köln mit einem Vortrag „Der harmonische Mensch – die Grundlage kulturellen Fortschritts“.

Am Domhof organisiert sie im 1. Weltkrieg mit anderen prominenten Frauen der „Nationalen Frauengemeinschaft“ eine Beratungs- und Auskunftsstelle ins Leben, die vielen akut Notleidenden aus der Zivilgesellschaft hilft.

Else W. mit Töchtern Bertha und Sophie
Else W. mit Töchtern Sophie und Bertha, © Diderk Wirminghaus

1916 zieht die Familie in eine Wohnung am Ubierring 7, nahe der Handelshochschule, die 1919 als „Neue Universität Köln“ wieder neu gegründet wird.[8] Später – 1932 – in die Mainzer Str.25.

1920 veröffentlicht sie gleich drei Werke: „Bleibe jung“, „Einfache Kleidung: Unterkleidung, Wäsche und Handarbeit,“ und in der 4.Auflage „Für unsere Kinder: 131 Vorbilder für deutsche Kleider, Wäsche und Handarbeit“, diese mit Clara Sander. Auch ab diesem Jahr gibt sie – zunächst mit Elisabeth Kirschmann-Röhl (SPD) und Clara Sander – die Zeitschrift „Die Frau und ihr Haus“ heraus.

In der Teutoburger Str. 15 richtet sie ab 1928 ein eigenes Büro ein,[9] Träger ist die „Werbestelle für deutsche Frauenkultur“. Hier hält sie donnerstags von 15.30 bis 19.00 Uhr Sprechstunden ab, und hier tauschen sich regelmäßig Frauen verschiedenster Herkunft und Anschauungen offen aus.

Das 1928 von Emmy Wolff – anlässlich der Internationalen Presseausstellung in den Messehallen in Köln – herausgegebene Kompendium „Frauengenerationen in Bildern“ ist eine wunderbar breitgefächerte Sammlung von Artikeln zu „Frau und Presse“. Neben Mary Wigman (Tanz) und Ina Seidel (Literatur), neben Helene Weber und Gertrud Bäumer, neben Beiträgen zur jüdisch-religiösen Frauenkultur und christlichen Frauengestalten kommen damals aktuelle Frauenthemen zu Wort. So auch Else W. mit ihrem Beitrag zur Wohnkultur, harmonisch gestaltet durch die Frau des Hauses.

1932 ruft sie mit anderen Frauen dazu auf, Hindenburg zum Reichspräsidenten zu wählen – um Hitler zu verhindern.[10]

Münze Else Wirminghaus
© Diderk Wirminghaus

Gleichwohl zeigen die Themen und Inhalte im Jahr 1933 der von ihr als „Schriftleiterin“ verantworteten Zeitschrift „Die Frau und ihr Haus“ Affinitäten zu manchen NS-Ideologemen, wie etwa die mythische Beschwörung der Frau als Mutter im Dienst des Volkes, auch einer Bevölkerungspolitik im Sinne von Eugenik. Andererseits ist zu bemerken, dass noch in der Juli-Ausgabe 1933 die innenarchitektonische Arbeit von Bertha Sander, Tochter der jüdischen inzwischen emigrierten Clara Sander, gewürdigt wird – und das nach dem Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933. 1936 wird das Erscheinen der Zeitschrift eingestellt.

In der Robert-Blum-Str. 11 findet ab 1937 das Ehepaar seinen letzten Wohnort. Else stirbt im August 1939, kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs.

Autor*innen: Maria und Diderk Wirminghaus (Urenkel von Else Wirminghaus)

Quellen

[1] „Bleibe jung! Tägliche Körperübungen der Frau“, Karlsruhe 1920, Vorlage: Gymnastik nach Peer Henrik Ling, Schweden

[2] 3.Auflage 1926

[3] „Karl Strackerjan. Aus dem Leben und Wirken eines deutschen Schulmanns.“  Oldenburg i.O. 1905

[4] „Die Frau und die Kultur des Körpers“, Leipzig 1911

[5] Ebd. S. 96

[6] Ebd. S.123

[7] Brief an eine Freundin vom 12.Mai 1910: sie beschreibt ihre große Erschöpfung

[8] Prof. Dr. Alexander Wirminghaus hat die Handelskammer verlassen und ist weiterhin Dozent an der Handelshochschule. Sein Spezialwissen z.B. über Steuerrecht gibt er auch in offenen Kursen für Frauen weiter.

[9] Brief v. 23.7.28 an Else Anschütz-Kämpfe, eine gute Freundin

[10] Das entsprechende Plakat ist im El-De-Haus Köln ausgestellt.