Henriette Ackermann hat es sich selbst nie leicht gemacht. Als Abgeordnete im Rat der Stadt Köln ertrug sie es lieber, zehn Jahre lang von allen Seiten angefeindet zu werden, als „faule“ Kompromisse einzugehen und von ihren Positionen und Forderungen abzurücken. Ihre männlichen Kollegen pflegten sie deshalb als „krabitziges Weib“, aber auch als „Hexe“ oder „Megäre“ zu beschimpfen.

Es ist daher keineswegs selbstverständlich, dass es ausgerechnet eine politische Gegnerin war, die für die streitbare Henriette Ackermann lobende Worte fand, selbst wenn es sich um eine Geschlechtsgenossin handelte. Die frühere Zentrums- und spätere CDU-Abgeordnete Sibille Hartmann (1890-1973) befand 1949: „Die war eine Frau mit absoluter Hingabe an die Menschen, an die Menschen insbesondere, die entrechtet sind, stets fähig, zu jedem persönlichen Verzicht. Dabei erlebte sie die bittersten Enttäuschungen, und sie hat viel Not gelitten wegen ihrer politischen Betätigung und ihres gerechten Strebens.“

Handschriftlicher Lebenslauf von Henriette Ackermann von 1954, S.1
Handschriftlicher Lebenslauf von Henriette Ackermann von 1954, S.1, © NS-Dokumentationszentrum Koeln

Geboren wurde Henriette Ackermann am 8. August 1887 im Arbeiterviertel Ehrenfeld, wo ihr Vater Josef einen Friseurladen betrieb. Nach dem Besuch der Volksschule wechselte sie auf die Handelsschule und arbeitete seit 1903 als Kontoristin oder Buchhalterin, wie wir heute sagen würden. Mit 18 Jahren trat sie in die SPD ein. Geweckt wurde ihr Interesse an Politik möglicherweise durch den Bruder ihrer Mutter Adelheid, den SPD-Reichstagsabgeordneten Georg Schumacher aus Solingen. Aber auch sie selbst hatte in Ehrenfeld soziale Not zur Genüge kennengelernt.

Die Sozialdemokratie wurde auch zu ihrer beruflichen Heimat, zumindest vorübergehend. Zwischen 1908 und 1921 arbeitete sie bei der Konsumgenossenschaft „Hoffnung“. Und doch hatte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs Henriette Ackermanns Einstellung zu ihrer Partei verändert. Die Tatsache, dass die SPD den Krieg, den sie zuvor noch strikt abgelehnt hatte, nunmehr befürwortete und zudem den Kriegsanleihen zustimmte, hat ihr Vertrauen bis in die Grundfesten erschüttert. 1916 wurde sie aus der Partei ausgeschlossen, weil sie für Karl Liebknecht als Kandidaten für das Kölner Reichstagsmandat aussprach. Mit anderen jungen Leuten hatte sie eine sogenannte Spartakus-Gruppe nach dem Vorbild von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet. Als sich im Jahr darauf die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) von der Mutterpartei abspaltete, trat Henriette Ackermann dieser linken Gruppierung bei und wurde Vorstandsmitglied der Kölner Ortsgruppe. Noch während des ersten Weltkrieges wurde sie wegen antimilitaristischer Propaganda für knapp ein Jahr in Berlin inhaftiert.

Erst nach Kriegsende garantierte die demokratische Verfassung der Weimarer Republik auch den Frauen das aktive und passive Wahlrecht.

Nach ihrer Rückkehr nach Köln im November 1918 bestimmte die Politik Henriette Ackermanns Leben. Sie kandidierte für den Kölner Stadtrat und wurde am 5. Oktober 1919 tatsächlich gewählt. Ihrer linken Überzeugung blieb sie treu, vertrat zunächst die USPD, schloss sich vorübergehend der KPD an, trat aber wegen deren militanter Ausrichtung wieder aus und kehrte zur SPD zurück. Die USPD löste sich zwischen 1920 und 1922 ohnehin auf.

Handschriftlicher Lebenslauf von Henriette Ackermann von 1954, S. 5
Handschriftlicher Lebenslauf von Henriette Ackermann von 1954, S. 5, © NS-Dokumentationszentrum Koeln

Henriette Ackermann, die zur Minderheit der weiblichen Abgeordneten gehörte, vertrat ihre politischen Überzeugungen mit glühendem Eifer. Sie scheute keine Auseinandersetzung, weder mit ihren männlichen Kollegen noch mit Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der für Frauen in der Politik ohnehin nur ein müdes Lächeln übrighatte. Zehn Jahre lang forderte sie unermüdlich höhere Löhne für städtische Arbeiterinnen und Arbeiter, bessere Unterstützung für Arbeitslose, Wohlfahrtsempfänger und Kriegsbeschädigte sowie mehr Engagement im Wohnungsbau. Auffallend war, dass ihr Ton keineswegs freundlich und verbindlich gewesen ist, vielmehr vertrat sie ihre Überzeugungen mit Leidenschaft und bisweilen auch Aggressivität. So wurde Henriette Ackermann zur Zielscheibe für Spott und Kritik: „Schnatternde Gans“ war wohl noch die harmloseste Beleidigung. Besonders übel gerieten sexistische Anfeindungen, die auf sie als unverheiratete Frau abzielten.  So wurde ihr empfohlen, am besten eine Heiratsanzeige aufzugeben. 1921 bezeichnete sie ein Zentrums-Abgeordneter als „krabitziges Weib“ und fügte zynisch hinzu: „Es steht zu hoffen, dass, wenn Fräulein Ackermann einmal bemannt sein wird, sie vielleicht auch zu den liebenswürdigen Frauen gehört.“ Doch Henriette Ackermann entschloss sich, ein Leben lang „unbemannt“ zu bleiben.

Das bedeutete jedoch keineswegs, dass sich die Politikerin mit anderen Frauen solidarisierte. Sie war und blieb eine couragierte Einzelkämpferin, unfähig zum Kompromiss, eine linientreue Sozialistin. Die Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung lehnte sie ab, wie auch das Bürgertum an sich für sie als „Klassenfeind“ galt. Einzige Voraussetzung zur Lösung der Frauenfrage war für Henriette Ackermann die Überwindung des kapitalistischen Systems. Nur dann wäre die Gleichberechtigung der Frau möglich. Diese Überzeugung entsprach ganz der sozialistischen Emanzipationstheorie. Henriette Ackermann verstand sich als Vertreterin der Interessen aller „kleinen Leute“, ganz unabhängig vom Geschlecht.

Mit ihrem Ausscheiden aus dem Kölner Stadtrat 1929 endete die politische Karriere von Henriette Ackermann. Selbst wenn sie sich weiter engagierte, erhielt sie doch kein Mandat mehr. Gleichwohl wurde sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 8. März 1933 verhaftet und saß bis Anfang Mai im „Klingelpütz“ in „Schutzhaft“. Auch weiterhin stand sie im Fokus des NS-Regimes und war zwischen 1939 und 1945 zweimal Frauen-KZ Ravensbrück inhaftiert. Nach der Befreiung durch die Rote Armee lebte sie kurz in Berlin, kehrte dann aber nach Köln zurück, wo sie bis 1952 bei der Stadtverwaltung arbeitete. Politisch betätigt hat sie sich seit 1945 nicht mehr. Ansonsten weiß man kaum etwas über die Zeit ihres Ruhestands. Sie lebte zusammen mit ihrer Schwester in einem von den Großeltern geerbten Haus in Ehrenfeld, zuletzt in einer Senioreneinrichtung in Brühl, wo sie am 31. August 1977 kurz nach ihrem 90. Geburtstag gestorben ist.

Straßenschild Henriette-Ackermann-Straße
Straßenschild Henriette-Ackermann-Straße 12-18, Köln Ossendorf, © Elke Wetzig

1993 beschloss der Kölner Stadtrat, in einem Neubaugebiet in Ossendorf eine Straße nach Henriette Ackermann zu benennen. Die erinnert inzwischen an die streitbare Politikerin, von der heute niemand mehr weiß, wie sie ausgesehen hat. Ein Foto von Henriette Ackermann gibt es leider nicht.

Quellen