„Ich bin die geborene Gastgeberin“. Dieses selbstbewusste Statement, mit dem Claudia Lenzen sich charakterisiert, können ungezählte Besucher*innen der Blue Lounge aus vollem Herzen unterschreiben. Als die legendäre Bar am Nikolaustag 2002 in der Kölner Innenstadt die Türen öffnete, wurde sie sofort zur Topadresse für Lesben & friends. Ein Ereignis, von langer Hand geplant.
Claudia Lenzen wurde am 21. Januar 1971 in Bochum geboren. Generation X, erster Wassermann. Einfallsreich, individuell, kontaktfreudig sind die Charakteristika, die dem Sternkreiszeichen zugeschrieben werden. Bei Claudia passt das gut, ebenso wie der mäandernde Lebensweg. Bochum hinterließ keine Spuren, die Familie zog früh nach Niederkassel, dort lebte Claudia, bis sie wegen ihrer Brieffreundin nach Bremerhaven zog. „Ich wusste nicht, dass sie lesbisch ist, ich war auch nicht lesbisch“. Ein ¾ Jahr später weiß sie es. Es bliebt ihr gar nichts anderes übrig, als sich zu outen, nachdem sie zuvor ihre Gefühle eher kaschiert hatte. Die Rede ihrer „Brieffreundin“, dramatisch in Szene gesetzt bei einem Spaziergang am Rhein, öffnet neue Welten: „Wofür lebst du eigentlich? Du verleugnest das, was du liebst. Du verschwendest Zeit, indem du nicht tust, was du willst“.
„Wenn ich ausgegangen bin, trug ich immer etwas Dramatisches“.
Nach drei sehr aufreibenden Beziehungsjahren im Norden, nach Schulabschluss und parallelen Jobs beginnt die mittlerweile 24jährige 1994 ein neues Lebenskapitel in Köln. Miniwohnung in der Thieboldsgasse, Jobsuche. Die Oma, von Beruf Schneiderin, hatte Claudia das Nähen beigebracht. Das kam jetzt gut: „Wenn ich ausgegangen bin, trug ich immer etwas Dramatisches, Selbstgebasteltes aus Samt und Seide“.
Gezielt steuerte Claudia eine der besten Designeradressen in Köln an. „Ich liebe Ihre Mode, Ihren Stil, ich möchte Ihre Sachen verkaufen“, empfahl sie sich der renommierten Modedesignerin Ilse Stammberger. Die Kölner Stilikone war begeistert von der
selbstbewussten jungen Frau, brauchte aber gerade niemanden und schlug vor, es um die Ecke bei Marcjana Gruhl in der Boutique 69 zu versuchen. Worauf Claudia sich einen großen Hut mit großer Krempe bastelte, einen Samtmantel überwarf und im Geschäft in der Pfeilstraße zum Befremden der Angestellten direkt nach der Chefin fragte. Sie wurde sofort eingestellt. Ein strenges Regiment herrschte in der Boutique 69, ein richtiger Drill. „Ich durfte nur niederste Aufgaben machen“, doch sie hielt durch und war bald die Umsatzqueen“. Spätestens jetzt merkte Claudia, dass sie sehr gut mit Menschen umgehen kann.
Der Schnelldurchlauf in der Modebranche hat sich bewährt für die künftige Laufbahn.
Parallel tauchte Claudia ins Nachtleben ein. Sie arbeitete im prominenten Tingeltangel in der Maastrichter Straße…Hier verkehrte die High Society, serviert wurden exquisite Drinks, es gab Chansonabende und großartige Tanzshows. Das savoir vivre auf hohem Niveau begeisterte die Mitzwanzigerin, die zusätzlich einen Thekenjob bei Walter Bockmeyer in der Filmdose hatte, das sehr kölsche Gegenteil des Tingeltangel.
Ein Club in Samt und Seide
Donnerstags abends war Ladies Night im Tingeltangel. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich daraus ein Lesbenabend entwickelt. Die Betreiber zeigten sich wenig angetan, für Claudia war es ein Wink des Schicksals, denn hier lernte sie Jutta Kropp kennen, ihre nächste große Liebe. Zwei Unternehmerinnen-Talente, die den gemeinsamen Schritt mit einer eigenen Location wagen wollten. Sie schrieben Pro- und Contralisten, entwarfen ein Konzepte, klapperten Brauereien ab und eröffneten mit einem Darlehen von 50.000 Mark eine Bar am Rathenau Platz. Das Vampire war geboren! Das Konzept lesbisch- schwul mit Freunden wurde zu einemneuen Zuhause für die Community. Claudia bleibt ihrem Stil treu: Anspruchsvolle Cocktails, die sie selbst kreierte, selbst entworfene Dekoration, den ganzen Laden in Samt ausgeschlagen. Ralf König stellte aus, bald legte Claudia auch auf – zuerst mit Cassetten, dann mit CDs. Später gab es ein DJ Pult, Ralf Rosenbaum und Ina Wolf sorgten für die Musik. Ein Stück Zeitgeschichte!
Die Gastgeberin aus Leidenschaft weiß, was ihre Besucher*innen wünschen. Die kamen immer wieder, aus ganz Deutschland. Jutta brachte die Kölsche Note ein. Beide waren immer präsent, das schätzten die Gäste. Nach sechs Jahren verabschiedete sich Claudia und steuerte ihre nächste Station an. Und sie lernte Ursula kennen.
Brücken bauen und Wellen schlagen
Ursula Iseken veranstaltete schon seit vielen Jahren einmal monatlich die legendäre Women Pleasure Party im Bürgerhaus Stollwerck. Es dauerte nicht lange und beide planten eine gemeinsame Bar. Sie gründeten die Blue Lounge Party und etablierten sie als mixed Party einen Tag vor der Womens Pleasure Party im Stollwerk. Eine geniale Marketingstrategie, denn als sie endlich zwei Jahre später in der Matthiasstraße eine passende Location fanden, war der Name gut eingeführt. „Wir hatten schon unser Publikum!“
Die Blue Lounge bot viele specials. Sängerinnen sammelten hier ihre ersten Bühnenerfahrungen, es gab Tanz-Workshops mit Claudia Reger, Karaoke Abende, Berühmtheiten wie Ellie gehörten zu den Gästen, Hella von Sinnen legte ihre Lieblingsmusik auf, der Janus-Stammtisch fand in der Lounge sein Domizil. Und mitten in diesen bewegten Jahren, 2008, bringt Claudia ihren Sohn Joshua zur Welt – auch so ein zielstrebiger Schritt der einfallsreichen, individuellen Wasserfrau.
Die Kölner Szene-Wirt*innen pflegten Kontakt untereinander und besuchten sich gegenseitig. Claudia leitete gelegentlich im My Way in der Friesenstraße „Arm-Drück-Wettbewerbe“ an und legte im Schulz auf. Es war immer was los, „eine wilde Zeit!“
Die ersten zehn Jahre der Blue Lounge waren eine einzige Erfolgsstory. Es bildeten sich Schlangen vor den Türen, bevor die Bar überhaupt öffnete. Das Rauchverbot veränderte die Situation, und ab 2010 veränderte sich das Publikum. Junge Lesben entdeckten den Raum für sich, agierten teilweise eher ausgrenzend als open minded. Gäste blieben fern. Das entsprach nicht mehr Claudias Konzept. Sie hatte immer auf Offenheit und Zusammenhalt gesetzt.
Die Blue Lounge schließt 2012 und Claudia zieht weiter. Als Geschäftsführerin des Janus, Europas größtem queeren Sportverein, und als deutschlandweit gefragte D-Jane bleibt sie ihrer Lebenseinstellung treu: Brücken bauen und Wellen schlagen. Mit einer klaren lesbischen, Menschen zugewandten Haltung verbindet und bewegt sie die unterschiedlichen Generationen von den Boomern bis zur Generation Z.
Carolina Brauckmann