Am Ende war es ganz ruhig geworden, sie war ganz bei sich. An ihrem Totenbett sang eine lesbische Pastorin und bei der Beerdigungsfeier sangen wir alle dieses Lied „So nimm denn meine Hände und führe mich“, ein geistliches Lied mit dem Text von Julie Hausmann – so wie Gisela es sich gewünscht hatte.

Am Anfang war es unruhig. Gisela, geboren am 10. Juni 1943 in Köln-Kalk, kam nur wenige Tage später zu Adoptiveltern, denn ihre ledige leibliche Mutter fühlte sich in Kriegszeiten nicht in der Lage, ein Kind allein großzuziehen.

So wuchs Gisela Gehm in kleinbürgerlichem Milieu im sauerländischen Lüdenscheid auf, wo sie nach der Mittleren Reife eine Ausbildung zur Arzthelferin absolvierte. In dieser Zeit wurde ihr klar, dass sie sich ausschließlich zu Frauen hingezogen fühlte. Doch als sich die 18-Jährige vor ihren Eltern „outete“, war deren Reaktion schockierend: „Das kannst Du nicht von uns haben! Denn wir haben Dich nur adoptiert.“

Daraufhin verließ Gisela ihre Heimatstadt und zog nach Frankfurt, auch um sich beruflich völlig neu zu orientieren. Zunächst verkaufte sie als Außendienst-Mitarbeiterin Bücher für den Bertelsmann-Verlag, dann arbeitete sie eine Zeitlang als Pharmareferentin. Damit begann ihr Leben als self-made-woman, in dem sie sich immer wieder wandelte und neu erfand.

In dieser Phase, als sie in Frankfurt, München und seit Anfang der 1970er Jahre in Köln lebte, lernte sie nicht nur die lesbische Subkultur kennen, sie begann auch, sich „besonders“ zu inszenieren und ein eher androgynes Outfit zu tragen. Niemals hätte sie lila Latzhosen angezogen. Stattdessen wurden hochwertige Schuhe, elegante Hosen, auch Hosenanzüge von Jil Sander zu ihrem typischen Kleidungsstil.

Gisela Koschig im Frauenbuchladen
Gisela Koschig im Frauenbuchladen, © Kölner Frauengeschichtsverein

Der scheinbare Gegensatz zwischen erfolgreicher Geschäftsfrau und Lesbe war nicht immer einfach zu leben. Problematisch wurde es auch, als ein Kollege drohte, sie als Lesbe zu denunzieren. Doch Gisela wusste Rat, heiratete kurzerhand den Juwelier und Uhrmacher Fritz Koschig, den sie aus der Kölner Schwulenszene kannte. Zwar bestand diese Ehe nur auf dem Papier, doch unter ihrem neuen Namen sollte „die Koschig“ schon bald in der Frauenbewegung bekannt werden.

In Köln fand sie rasch Kontakt zur Frauenszene, beteiligte sich auch an der Renovierung des 1976 gegründeten Frauenzentrums an der Eifelstraße und gehörte vorübergehend zum Team der Zeitschrift EMMA, bevor sie sich offenbar mit Alice Schwarzer überwarf.

Damals beschloss sie, angeregt durch Vorbilder in München, Berlin und Frankfurt, den ersten Kölner Frauenbuchladen zu gründen. Zusammen mit Ulla Böll (unterstützt von Eva Stegmann) eröffnete sie am 20. Januar 1977 an der Ecke Beethovenstraße/Engelbertstraße ihr Geschäft, das für viele Jahre Treffpunkt und Austauschort für die Kölner Frauen- und Lesbenbewegung wurde. 1979 zog der Laden in die Moltkestraße um.

Auch politisch war Gisela höchst aktiv, liebäugelte vorübergehend mit der linksradikalen Szene, beteiligte sich in der Anti-AKW-Bewegung, demonstrierte gegen die drohende Stationierung von Pershing II.- Raketen und die Nachrüstungsbeschlüsse der NATO. Sie war Mitorganisatorin der Aktion Gegenwind, einer mehrtätigen Fahrrad-Demo zu den US-Standorten am Niederrhein.

Nicht weniger bedrohlich aber erschien ihr die zunehmende Zerstörung der Umwelt. Sie engagierte sich für die Grünen, war zeitweilig Geschäftsführerin in Bonn beziehungsweise beim Ökofonds NRW.

Damals besaß Gisela zusammen mit ihrer ehemaligen Lebensgefährtin Cornelie Wollenhaupt ein Haus in der Eifel. Hier wurde sie ganz konkret mit den verheerenden Folgen des „sauren Regens“ konfrontiert, denn die Nadeln der Kiefern auf ihrem Grundstück verfärbten sich alle gelb. Giselas Blick in die Zukunft wurde äußerst pessimistisch. Weil ihr das Leben in einem dem Untergang geweihten Europa unmöglich erschien, erwog sie 1981 die Auswanderung nach Australien. In New South Wales war ein „Frauenland“ gegründet worden, wo auch Gisela gerne gelebt hätte. Im Mai 1982 wollte sie Deutschland eigentlich verlassen. Das Haus in der Eifel und der Frauenbuchladen waren bereits verkauft, ein Teil des Reisegepäcks schon auf dem Weg nach Australien.

Doch dazu kam es nicht, denn eine neue Liebe gab ihr nicht nur neue Hoffnung, sondern auch Mut, Kraft und Stärke, in Deutschland noch einmal völlig von vorne anzufangen – wie so oft schon zuvor. Gemeinsam mit ihrer neuen Lebensgefährtin bezog Gisela im August 1982 einen Bauernhof in der Eifel und fand ihre „wahre“ Berufung als Milchschafbäuerin.

Gisela Koschig mit Schaf
© Gabriele Schreiber

Im Januar 1983 stand „Agnes“, das erste Schaf im Stall, und innerhalb eines Jahres entwickelte sich ein florierender Betrieb der Käse- und Joghurt-Produktion mit etwa zwanzig Schafen, einem Traktor und weiteren Landmaschinen. Nach zwei, drei Jahren war Giselas Milchschafhof ein von „Bioland“ anerkannter ökologisch arbeitender Betrieb. Sie verkaufte ihre Produkte an Bioläden in Köln und Umgebung, wurde schon bald Geschäftsführerin im Ökofonds NRW und war nach langer Zeit wieder richtig glücklich.

Nach dem Tod ihrer Adoptivmutter gelang es Gisela, Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter aufzunehmen, und sie erfuhr so auch den Namen ihres Erzeugers, eines Münchner Kaufmanns, der nur eine kurze Affäre gewesen war. Dabei hörte sie aber auch, dass es in dessen Familie zahlreiche Fälle von Darmkrebs gegeben hatte, oft mit tödlichem Ende. Das war wie ein unheilvolles Omen.

Nachdem nur wenig später, im Herbst 1995, auch bei Gisela Darmkrebs diagnostiziert worden war, starb sie am 19. April 1997 an den Folgen dieser Erkrankung. Sie wurde auf dem Kölner Südfriedhof beigesetzt. Als Vorlage für ihren aus Eifelbasalt gefertigten Grabstein diente eine 6,4 cm große steinzeitliche Tonfigur aus Südwestanatolien (2600 v.u.Z.). Sie stellt ein Frauenpaar dar.

Zur Beerdigung kamen – wie es sich Gisela gewünscht hatte – viele: viele aus den Zusammenhängen der Frauenbewegung, viele, die sie als Milchschafbäuerin und -käserin kannten, viele von den „Grünen“, aber auch viele aus der Eifel, aus unserem Dorf und der Umgebung.

Bei der Beerdigungsfeier würdigte Maria Mies Gisela als eine „Pionierin der Kölner Frauenbewegung, ohne deren „Entschlossenheit, Spontaneität, Mut und Konsequenz“ es den Buchladen erst später gegeben hätte. Giselas Fähigkeiten, Einsichten unmittelbar umzusetzen, beschrieb sie als kostbare, seltene und für manche unbequeme Eigenschaft.

Giselas Direktheit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung machte manchmal atemlos.

Monika Mengel beschrieb dies in den Begriffen „Provokation“ und „Nähe“. Gisela bot über provozierende Direktheit intensiven Kontakt an. „Man konnte empört das Weite suchen oder sich einlassen.“

Viele haben sich auf sie eingelassen. Es war ein Geschenk.

Autorin: Gabriele Schreiber, Karin Feuerstein-Prasser