Rita Schmutzler war eines von drei Kindern der Familie Seibert bei Montabaur im Westerwald. Der Vater hatte ein mittelständisches Unternehmen in der Maschinenbau-Branche, die Mutter war Hausfrau. Rita war ein aufgewecktes Mädchen mit einer Vorliebe für naturwissenschaftliche Fächer. Nach dem Abitur kamen Medizin und Informatik in die engere Berufsauswahl. Sie entschied sich für Medizin, studierte in Bonn und wurde dort 1984 promoviert.

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Da sie in die Forschung gehen wollte, beantragte sie anschließend ein DAAD-Stipendium in den USA. In Norfolk, Virginia forschte sie auf dem Gebiet der Gynäkologischen Endokrinologie und absolvierte danach in Bonn ihre Weiterbildung zur Frauenärztin. Der Chefarzt unterstützte ihre Karriere und sah sie schon als Leiterin der Abteilung für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. In einem zweiten USA-Stipendium in New York 1988/89 kam sie mit der Molekulargenetik in Berührung und war fasziniert, zumal in dieser Zeit Mutationen der Östrogen-Rezeptoren entdeckt wurden, sich also eine direkte Verbindung zu ihrem Fach ergab.

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Nach ihrer Rückkehr beendete sie zunächst die Facharztausbildung und bekam 1993 ein Kind. Während der Elternzeit stellte sie einen Antrag auf ein dreijähriges Habilitationsstipendiums der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), welches speziell zur Frauenförderung eingerichtet worden war. Mit dieser Förderung konnte sie beginnen, zu molekulargenetischen Veränderungen bei Brustkrebs zu forschen – ein topaktuelles Thema, da gerade in dieser Zeit die BRCA-1 (1994) und BRCA-2 (1995) Gene entdeckt wurden, also die Gene, deren Mutationen für einen Großteil der erblichen Brustkrebsarten verantwortlich sind. Im Rahmen des Stipendiums hatte sie flexible Arbeitszeiten und keine Nachdienste zu verrichten. So konnte sie Karriere und Familienleben verbinden. 1997 war sie die erste Frau, die sich in der Gynäkologie der Universität Bonn habilitierte.

Sie erkannte früh die Bedeutung ihrer Forschungsergebnisse für die gesamte weibliche Bevölkerung und nahm die daraus resultierende Verantwortung an. Sie überzeugte ihren Chef von ihrem Plan, an der Universitätsfrauenklinik in Bonn ein Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs aufzubauen. Dort rekrutierte sie zügig viele betroffene Frauen. Diese waren gesund, hatten aber ein hohes Erkrankungsrisiko. Nach dem Motto: „Wissen gegen die Angst“ waren viele von ihnen hoch motiviert, sich gründlich zu informieren. Schmutzler initiierte Selbsthilfegruppen, förderte und schulte sie. Damit schuf sie die Basis für die Mitarbeit von Betroffenen in Leitlinien und in dem späteren BRCA-Netzwerk. Kundige Selbsthilfegruppen sind ein wichtiges Korrektiv für wissenschaftliche Gremien. Denn gerade bei einem sich neu entwickelnden Forschungsgebiet sind Irrwege vorprogrammiert. In manchen Ländern wurden beispielsweise unreguliert Gen-Analysen durchgeführt mit der Folge, dass zahlreiche Frauen dastanden mit einer Diagnose, jedoch ohne jegliche Wissensbasis für Empfehlungen, wie damit umzugehen war. Die Folge waren aus Angst durchgeführte Brustamputationen oder die Verweigerung jeder weiteren Diagnostik.
Dank Schmutzler wurde diese Art von Überdiagnostik in Deutschland in den Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs verhindert. Stattdessen entwickelte sie zunächst anhand der Familienanamnese einen Risiko-Score. Nur den Frauen mit sehr hohen Risiken wurde eine Genanalyse angeboten. Wenn BRCA-Mutationen nachweisbar waren, wurden die Frauen in ein Früherkennungsprogramm aufgenommen mit dem Ziel, eine Krebserkrankung früh zu erkennen, damit sie heilbar ist. Je mehr Forschungsergebnisse erzielt wurden, umso spezifischer konnten die Programme auf einzelne Gruppen zugeschnitten werden (Risiko-adaptierte Früherkennung). Heute gäbe es sogar die wissenschaftliche Basis, allen Frauen, denen ein Mammografie-Screening angeboten wird, dieses nicht nach Altersgruppe, sondern spezifisch nach dem Testergebnis von Biomarkern auszurichten. Zielgerichtete Therapien bei an Brust und Eierstockkrebs Erkrankten werden bereits auf der Grundlage von Testergebnissen von Biomarkern durchgeführt. Für den Biomarker ‚HRD-Assay‘ hält Schmutzler ein Patent.
Ein weiterer Irrweg war die unreflektierte Kommerzialisierung von Genomanalysen. Jede Forschungsgruppe, die eine neue Genmutation entdeckte, meldete dafür ein Patent an. Dem schoben das Europäische Patentamt 2005 und schließlich das US-Verfassungsgericht 2010 einen Riegel vor. Das Urteil lautete: „Gene sind eine Entdeckung, keine Erfindung“.
Die besondere Leistung von Schmutzler besteht in der stetigen Weiterentwicklung ihrer Arbeit zum familiären Brust- und Eierstockkrebs. Nach ihrem Erfolgsrezept befragt, antwortet sie: „Am Ball bleiben und weitermachen, egal welche Hürden sich stellen“. Die kontinuierliche Forschungsarbeit von Beginn ihrer ärztlichen Tätigkeit bis heute – das heißt mehr als 30 Jahre – sind das eine. Die Verbindung von Forschung mit klinischer Tätigkeit das andere. Denn der Kontakt mit Patientinnen führt immer wieder auf die spezifischen Bedarfe Betroffener zurück. Schmutzler ließ es eben nicht bei der Forschung bewenden. Sie setzte sich dafür ein, dass die daraus folgenden Empfehlungen in die Versorgung betroffener Frauen aus der gesamten weiblichen Bevölkerung aufgenommen wurden.
Dafür waren Vernetzungen und Verhandlungen mit den verschiedenen Playern im Gesundheitswesen erforderlich. Sie beantragte eine Stiftungsprofessur bei der Deutschen Krebshilfe für Molekulare Onkologie, um sich zu legitimieren. Dazu wechselte sie an die Universitätsklinik Köln und wurde dort Leiterin, später Direktorin des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs sowie die Koordinatorin aller 23 universitären Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs in Deutschland. Diese Position sicherte ihr eine solide Verhandlungsbasis, um die Kostenübernahme der speziellen universitären Versorgungsleistungen durch die Krankenkassen zu ermöglichen. Grundlage waren die Erhebungen wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse und damit gute Argumente sowie ein ausgeprägtes Verhandlungsgeschick – auch dank Selbstreflexionstraining als junge Ärztin. Damit erreichte sie die Kostenübernahme der Krankenkassen für Beratung und Früherkennungsprogramme für Risikopatientinnen.
Schmutzler baute auch Strukturen auf, um die Behandlungsqualität zu sichern. Es gelang ihr, Fördergelder in Millionenhöhe einzuwerben. Damit können sich inzwischen 23 Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs in Deutschland vor Ort um Forschung, Prävention und Versorgung kümmern, die zwischenzeitlich auch zertifiziert wurden. Auch kooperierende Brust- und gynäkologische Zentren sowie niedergelassene Arztpraxen können sich zum Thema Familiärer Brust- und Eierstockkrebs qualifizieren und zertifizieren lassen.
Für ihr kontinuierliches Engagement wurde Schmutzler mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Über den Deutschen Krebspreis der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebsstiftung 2020 sowie den Innovationspreis des Landes NRW 2021 hat sie sich besonders gefreut.
Schmutzler ist DIE international anerkannte Expertin zum Thema Familiärer Brust- und Eierstockkrebs in Deutschland. Sie hat die Forschungs- und Versorgungslandschaft in Deutschland maßgeblich aufgebaut und geprägt. Dadurch nimmt Deutschland in vielen Bereichen, insbesondere aber der klinischen Umsetzung genetischer Befunde, eine führende Stellung ein. Als Mitglied zahlreicher Fachgremien und Ehrenämter trägt sie zur Verstetigung der entwickelten Strukturen bei.
Die Zukunft der molekulargenetischen Tumorforschung und Diagnostik sieht Schmutzler in der Nutzung dieser Erkenntnisse für eine zielgerichtete Krebsprävention in interdisziplinärer Zusammenarbeit der Fachbereiche. Denn nicht nur Brust- und Eierstockkrebs, sondern auch vielen Darm-, Prostata- und weiteren Krebsarten liegen vererbte Genmutationen zugrunde.
Maria Beckermann
Preise und Auszeichnungen
1998 Walther-Hohlweg-Preis der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
1999 Ingrid-zu-Solms-Preis des Deutschen Ärztinnenbundes
2010 Gunther-Bastert-Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
2020 Deutscher Krebspreis 2020 (translationaler Teil) der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebsstiftung
2021 Universitätspreis 2020 in der Kategorie Forschung der Universität zu Köln
2021 Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen
2023 Deutscher Preis für Krebspräventionsforschung
2024 Wilhelm-Warner-Preis
Ausgewählte Mitarbeit in Gremien und Ehrenämtern
Seit 2009 Mitglied des Expertengremiums zum Nationalen Krebsplan und verantwortlich für das Papier zur risiko-adaptierten Früherkennung im Handlungsfeld 1
2009-2024 Sachverständige der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in der Gendiagnostikkommission beim Robert-Koch-Institut Berlin für die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Seit 2010 Gründungsmitglied des BRCA-Netzwerkes e.V. (Hilfe bei familiären Krebserkrankungen) (http://www.brca-netzwerk.de/)
Seit 2012 Gründungsmitglied der Adolphe-Monkiedje-Stiftung zur Förderung von Studierenden an der Universität Yaounde, Kamerun
Seit 2013 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Krebsinformationsdienstes (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ)
Seit 2015 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG)
Seit 2016 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Landeskrebsregisters Nordrhein-Westfalens