Wie kamen Sie zu dem Berufswunsch Hebamme?

Eigentlich eher durch Zufall. Nach meinem Abitur habe ich ein einjähriges Praktikum auf einer psycho-geriatrischen Station in einem Altenpflegeheim absolviert, da ich einen Einblick in den pflegerisch-medizinischen Bereich bekommen wollte. Dieses Jahr war für mich eine intensive Erfahrung: Ich bin mit Alter, Demenz und Tod sowie überforderten Pflegefachpersonen und einem herausfordernden Gesundheitssystem konfrontiert worden. Ich habe sicherlich viel gelernt, bin aber dabei nicht adäquat unterstützt worden und habe gemerkt, dass ich nicht in diesem speziellen Bereich weiterarbeiten möchte.

Zu dieser Zeit hat eine Freundin von mir die Ausbildung zur Hebamme in Tübingen begonnen, und ich war von ihren Erzählungen ganz begeistert. Ich habe mich bundesweit an sehr vielen Hebammenschulen beworben – zu dieser Zeit kamen oft mehr als 1.000 Bewerber*innen auf 20 Ausbildungsplätze.

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Ich wurde schwanger und habe meine Pläne erst einmal zurückgestellt. Als mein Sohn drei Monate alt war, habe ich wieder angefangen, mich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Mein Partner hat mich dabei unterstützt, aber bei den Bewerbungsgesprächen an zwei Hebammenschulen wurde mir gesagt, dass es wichtig sei, dass Kinder die ersten drei Jahre von ihren Müttern betreut werden sollten und sie deshalb keine Auszubildenden mit kleinen Kindern aufnehmen.

Wir entschieden uns, nach Berlin zu ziehen, und im Jahr 1985 konnte ich die Ausbildung zur Hebamme an der Hebammenschule Berlin-Neukölln starten. Unser Sohn war da 22 Monate alt. Die drei Jahre waren wirklich herausfordernd, aber ich habe es geschafft!

Was haben Sie bisher als Hebamme gemacht?

Nach meiner Hebammenausbildung habe ich 3 ½ Jahre in einer großen Berliner Klinik im Kreißsaal gearbeitet und viele Erfahrungen (gute und anstrengende) sammeln können. Nebenher habe ich als freiberufliche Hebamme Schwangerschaftsbetreuungen, Kurse und Wochenbettbetreuungen angeboten.

Ich war sehr glücklich, dass ich dann als freiberufliche Hebamme in das Team im Geburtshaus am Klausenerplatz in Berlin-Charlottenburg aufgenommen wurde. Von den erfahrenen Kolleginnen dort habe ich viel gelernt. In diesem engagierten Team habe ich acht Jahre gearbeitet. Wir haben die Frauen* und Paare in der Schwangerschaft, während der Geburt im Geburtshaus oder zu Hause und im Wochenbett betreut. Ehrlich gesagt, waren wir Pionierinnen auf diesem Gebiet – das erste Geburtshaus in Deutschland!

Aber irgendwann wollte ich noch mehr lernen und habe studiert. In Ermangelung eines hebammenwissenschaftlichen Studiengangs habe ich Pflege/Pflegemanagement studiert. Wir waren zwei Hebammen und 38 Pflegefachpersonen, aber ich fand es großartig. Ein Blick über den Tellerrand, und ich konnte meine Hebammenthemen unterbringen. Nach meinem Abschluss 2001 war ich unsicher, wie es für mich weitergehen könnte. Ich habe für den Deutschen Hebammenverband die Weiterbildung für leitende Hebammen entwickelt und umgesetzt. Zudem habe ich an meiner „alten“ Hebammenschule als Lehrerin für Hebammenwesen gearbeitet.

2004 bin ich nach 20 Jahren aus Berlin nach Osnabrück gezogen und habe an der Hochschule Osnabrück sechs Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Professorin Dr. Friederike zu Sayn-Wittgenstein in Forschungsprojekten zum Hebammenkreißsaal gearbeitet und 2010 an der Universität Osnabrück promoviert.

Und da die Hebammenwissenschaft so ein dynamisches Feld ist und 2009 beschlossen wurde, dass es Modellstudiengänge zur Erprobung der hochschulischen Hebammenausbildung geben soll, wurde die Hochschule für Gesundheit Bochum gegründet. Im April 2010 wurde ich auf die Professur für Hebammenwissenschaft berufen, und – gemeinsam mit vielen Kolleginnen – haben wir den ersten Hebammenstudiengang aufgebaut.

Im April 2022 bin ich auf die Professur Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln berufen worden. Hier leite ich das Institut für Hebammenwissenschaft und den Studiengang Angewandte Hebammenwissenschaft B.Sc.

Wie haben Sie gemerkt, dass bei der Berufsausübung einer Hebamme etwas falsch läuft?

© HS Gesundheit Bochum

Schwer zu sagen. Es sind doch viele Punkte: Es geht um die Anerkennung als wichtiger Beruf, um die adäquate Bezahlung, aber auch um das leidige Thema der Haftpflichtversicherung für außerklinische Geburtshilfe, den forensischen Druck, um die zum Teil sehr hohen Kaiserschnittraten, den Hebammenmangel bzw. den Ausstieg von vielen Hebammen aus der klinischen Geburtshilfe, Gewalt in der Geburtshilfe und vieles mehr.

Was sollte anders laufen, und wie könnte das gehen? Visionen?

Das ist eine ganz schön lange „Wunschliste“. Aber kurz gesagt: Eine gute, evidenzbasierte, interprofessionelle Hebammenarbeit, die den Frauen*, ihren Kindern und Familien zugutekommt sowie glückliche und gesunde Hebammen, die gerne in ihrem Beruf arbeiten.

Was hat Sie bewogen, in die Lehre zu gehen (Professorin zu werden)?

Die Vielfalt von Lehre und Forschung. Neue Ideen umsetzen zu können, etwas zu bewegen. Spaß daran, Wissen zu vermitteln und werdende Hebammen auf ihrem Weg zu unterstützen.

Welche Hürden und Hindernisse mussten Sie überwinden?

Da die Akademisierung der Hebammen und die Disziplin Hebammenwissenschaft noch sehr jung ist, mussten und müssen erst einmal Strukturen aufgebaut werden. Wir sind noch zu wenige Personen und manchmal kommt es mir vor, dass wir von den Ereignissen „überholt“ werden.

Ich selbst habe das Gefühl, dass es sich für mich immer ganz gut gefügt hat und ich scheinbar meist zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Aber natürlich habe ich meinen Doktormüttern – Friederike zu Sayn-Wittgenstein und Beate Schücking – viel zu verdanken.

Was haben Sie hierarchischen, patriarchalen Strukturen entgegenzusetzen?

Wissen, Expertise, Geduld, Selbstbewusstsein und die Freude an der interprofessionellen Zusammenarbeit. Zudem haben wir ein tolles Professorinnen-Netzwerk und unterstützen und tauschen uns aus. 

Wie läuft es für Sie in Köln?

Ich bin seit April 2022 an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen baue ich das Institut für Hebammenwissenschaft und den Studiengang Angewandte Hebammenwissenschaft B.Sc. auf und fühle mich sehr wohl. Wir sind ein engagiertes Team mit vielen Ideen und versuchen, diese kreativ umzusetzen. Und wir haben tolle Studierende.

Was ist Ihnen noch wichtig zu sagen?

Ich würde jederzeit wieder Hebamme werden und dieses Mal dann gerne Hebammenwissenschaft studieren.


Nicola Bauer