Vorbemerkung

Am Pfingstsamstag 1907 fand im Zoorestaurant in Köln die Feier zur Hochzeit der 26 Jahre alten Malerin Marta Schmitz mit dem gleichaltrigen Kunsthistoriker Wilhelm Worringer statt.

Warum fange ich mit der Hochzeit an? Die jüngste Tochter der beiden, Lucinde Sternberg-Worringer, begann mit diesem Ereignis die Erzählung ihrer Familiengeschichte. Die Lebensgefährtin Helga Grebing, die nach ihrem Tod die Geschichte der Worringers erforschte und publizierte, schloss sich dem Narrativ an [1]. Hier waren wahrscheinlich unter den Gästen:

  • die acht Jahre alte Nichte Else Court, Ende der 1920er Jahre Armenärztin in Köln-Ehrenfeld,
  • die Malerfreundinnen Emmy Worringer (1878-1961)
  • Olga Oppenheimer (1886-1941), die 1913 Adolf Worringer heiratete und zwei Söhne bekam,
  • und Agnes Oster, die wenig später den Münchner Kinderarzt Alfred Forell heiratete und drei Söhne großzog

Die vier Frauen verdienen es, dass ihrer in Köln als selbstbewusste Frauen, die ihren eigenen Weg suchten, erinnert wird.

Marta Worringer – Eine rheinische Malerin

Marta Worringer, Bonn 1920, © Archiv Museum August Macke Haus, Bonn

Marta Schmitz und Wilhelm Worringer waren im gleichen Jahr, 1881, geboren worden. Marta war die jüngste von drei Töchtern des Geheimen Justizrates und liberalen Stadtverordneten Emil Schmitz und seiner Frau Else Esser, einer Unternehmertochter. Sie wuchs in einem von den Eltern errichteten Haus Am Gereonsdriesch 11a, dann Nr. 15, auf. Das dreistöckige Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Ein Ferienhaus nutzte die Familie in Kreuzberg, heute Altenahr.

Nach ihrem Schulabschluss begann die künstlerische Ausbildung privat zunächst bei Wilhelm Spatz (1861-1931), der auch Professor für Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie war, und in Bern als Privatschülerin des Malers Cuno Amiet (1868-1961), Mitglied der Dresdner Künstlergruppe Brücke, die kunsthistorisch als Wegbereiter der Klassischen Moderne gilt. 1905 ging Marta mit Agnes Oster nach München, wo sie an der Damenakademie der 1882 gegründeten Münchner Künstlerinnenvereinigung studierten. Frauen wurde der freie Zugang zu den Kunstakademien erst nach dem Ersten Weltkrieg möglich. Zu den bekannteren Absolventinnen der Akademie zählen Erna Bossi, Käthe Kollwitz, Maria Marc und Gabriele Münter, um nur wenige zu nennen.

1906 schlossen sich die Kölner Freundinnen Emmy Worringer und Olga Oppenheimer der Schwabinger Wohngemeinschaft an, um ebenfalls die Damenakademie zu besuchen. 1907 zogen sie gemeinsam in die Künstlerkolonie Dachau.[2] Es war Wilhelm Worringer, zweitjüngster Sohn der verwitweten Gastwirtin Bertha Worringer, Student der Kunstgeschichte, der den Auftrag erhielt, bei den „Mädchen“ einmal „nach dem Rechten“ zu sehen (!).

Brigitte zu Besuch bei ihren Eltern in Königsberg, ca. 1932, © Archiv Museum August Macke Haus, Bonn

Nach der Hochzeit führte die erste Reise des jungen Paares nach Italien. Danach ließen sich Worringers in Schwabing nieder. 1908 kam Brigitte zur Welt, 1911 Renate. Neben der Familienarbeit war Marta Worringer auf verschiedenen Ausstellungen vertreten, u.a. 1910 im Kunstmuseum Bern und im Jahr darauf – wie ihre Studienkolleginnen – auf dem Pariser Herbstsalon. Sie trat der „Kölner Sezession“ bei und nahm gleich an der ersten Ausstellung 1911 teil. Sie beteiligte sich an dem Kölner Ausstellungs- und Diskussionsforum Gereonsklub, der 1910 von ihrer Schwägerin Emmy Worringer mitgegründet worden war. Wilhelm Worringer hielt hier den ersten Vortrag über seine bis heute beachtete Dissertation über „Abstraktion und Einfühlung“, die er vor seiner Heirat noch an der Universität Bern eingereicht hatte.[3] Mit Kriegsbeginn erfolgten keine Kunstpräsentationen mehr. 1918, ihr Mann war seit 1915 als Freiwilliger an der Front, gebar sie ihre jüngste Tochter Lucinde in Bonn, wo die Familie seit Sommer 1914 lebte.

1919 stellte sie wieder aus: in der gerade wiedereröffneten Galerie des Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1871-1926) in Düsseldorf. 1920 wurde sie daraufhin zur Großen Düsseldorfer Kunstausstellung und ins Folkwang Museum in Hagen eingeladen. Bis 1928 war sie im Rheinland als Mitglied der avantgardistischen Ausstellungsgemeinschaft „Das Junge Rheinland“, beruflich gut vernetzt, auch wenn ihr ein eigenes Atelier fehlte. Zum Familienunterhalt trug sie erfolgreich durch den Verkauf ihrer Bilder und als Buchillustratorin bei.

Beispiel einer Illustration: Marta Worringer in: Heinrich von Kleist, Marquise von O., München 1920, S. 67. 15,5, x 12 cm. Nachlass Lucinde Sternberg-Worringer, © Archiv Museum August Macke Haus, Bonn.

Marta Worringer zeigt in ihren Bildern überwiegend Menschen mit großen und gestreckten Armen und Händen und mit überdimensionierten Augen, die Hoffnungslosigkeit, Angst ,Trauer ausstrahlen. Sie erinnern an Käthe Kollwitz (1867-1945), die dem sozialkritischen Realismus zugeordnet wird. Das verdeutlicht auch die Abbildung:

Marta Worringer, Mutter, 1926.
47,5 x 35,7 cm, Tempera auf Papier.
Zusammen mit drei weiteren Werken Erwerb direkt von der Künstlerin 1929.
Kunstmuseum Bonn.

1928 folgten Marta Worringer und ihre beiden jüngeren Töchter dem Ehemann und Vater, der in Königsberg einen Ruf auf die Professur für Kunstgeschichte annahm. Brigitte hatte bereits das Studium der Medizin in Berlin begonnen. Erstmals stand der Malerin ein eigenes Atelier an der Kunsthochschule zur Verfügung. Bis Mitte der 1930er Jahre beteiligte sie sich an allen Kunstausstellungen in der ostpreußischen Hauptstadt.

Marta Worringer mit ihrer Tochter Lucinde, wahrscheinlich in Nidden auf der Kurischen Nehrung, 1934, © Archiv Museum August Macke Haus, Bonn

Der Beginn des NS-Regimes 1933 bedeutete für Worringers einen Einschnitt. Freunde und Kollegen wurden wegen ihrer jüdischen Herkunft angefeindet und teils bereits beurlaubt. Dem Neuhistoriker Hans Rothfels (1891-1976) z.B. wurde 1934 der Lehrstuhl an der Universität entzogen; bei Kriegsbeginn gelang ihm noch die Flucht nach Großbritannien.

Am 15. Mai 1934 verstarb Brigitte, inzwischen Assistenzärztin in Berlin, an Scharlach. Sie hatte sich im Krankenhaus angesteckt. Damit begannen für Marta Worringer Jahre der Depression, in denen sie wenig malte. Schwachen Trost gaben ihr ihre Töchter, die beim Theater ihre beruflichen Aufgaben fanden: Renate als Direktionsassistentin der Schauspielschule von Lily Ackermann (1891 – 1976) in Berlin und Lucinde als Schauspielerin, nachdem sie die Ausbildung in der von ihrer Patentante Louise Dumont (1869-1932) gegründeten Düsseldorfer Schauspielschule absolviert hatte.

Königsberger Professoren und Bürger, so auch Worringers und die Nichte Else Court [4], sammelten sich in der „Gesellschaft der Freunde Kants“, die zur Tarnung für ihren kritischen Austausch und ihren inneren Widerstand gegen den Nationalsozialismus diente. Sie organisierten Vorträge und Diskussionen und pflegten intensive private Kontakte. Hinweise aus verschiedenen Berichten weisen darauf hin, dass auch Hilfe für Verfolgte und deren Familien im Kreis der „Freunde Kants“, in dem Wilhelm Worringer zu den entscheidenden Persönlichkeiten gezählt werden muss, selbstverständlich war. Der Gestapo dürfte das nicht entgangen sein. Aus dem Zirkel wurden neben Else Court und Marie Agnes Gräfin zu Dohna (1895-1983) auch deren Ehemann, Heinrich Graf zu Dohna (1882-1944) inhaftiert. Er wurde nach dem gescheiterten Attentat des 20. Juli zum Tode verurteilt und hingerichtet.[5]

Von Marta Worringer sind nur wenige Werke aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, meist mit biblischen Themen wie der Jakobslegende, bekannt. Sie trug neben der Betreuung ihrer seit 1940 inhaftierten Nichte Else schwer daran, dass 1941 ihre Schwiegermutter starb und ihre Jugendfreundin und Malerkollegin Olga Oppenheimer im KZ Majdaneck ermordet wurde. Zwei der Brüder ihres Mannes zählten ebenfalls zu den Verfolgten: Robert war wegen „Rassenschande“ im KZ Buchenwald, Ulrich musste in das Strafbataillon 999, einem 1942 aufgestellten Sonderverband für als „wehrunwürdig“ eingestufte Männer, die an besonders gefährlichen Fronten eingesetzt wurden. Marta Worringers Malerkollegin Emmy war zunächst in Düsseldorf, dann in Berlin ausgebombt worden und lebte 1943/44 in Königsberg.[6] All dies erfahren wir in ihrem Tagebuch, das sie ab 1940 regelmäßig führte und bei ihrer Flucht aus Königsberg zusammen mit ihrem Mann rettete. Ihr Atelier ließ Marta Worringer im August 1944 unberührt zurück. So entgingen Worringers den ersten Bombenangriffen auf die Stadt nur drei Wochen später.

Grab von Marta und Wilhelm Worringer, ihrem Schwiegersohn, den Marxismustheoretiker und Faschismusanalytiker Fritz Sternberg, der jüngsten Tochter Lucinde und ihrer Lebensgefährtin, der Bochumer Historikerin Helga Grebing, © Christl Wickert

In Berlin kamen sie in Frohnau bei der Tochter Renate und den beiden Enkeln unter. Hier erlebten sie das Kriegsende, Lucinde wohnte bei ihrer Freundin Susanne Kerckhoff (1918-1950) in Berlin-Karolinenhof. Im Juli kam Else Court für einige Wochen als Mitbewohnerin dazu. Marta Worringer stürzte sich in Arbeit, ihre neuen Stickereien wurden bereits zu Weihnachten 1945 in Reinickendorf ausgestellt. Ihr Mann führte mit verschiedenen Universitäten Verhandlungen für eine Professur. So lebte das Paar 1946 bis 1950 in Halle. Marta Worringer hatte dort wieder ein eigenes Atelier.

Wilhelm Worringers Renommee schützte ihn nicht davor, dass sein Name für politische Aufrufe zur – seiner Meinung nach – kritiklosen Unterstützung einer Kulturpolitik genutzt wurde, die sich streng an Vorgaben der Regierung zu richten hatte. Über seine Unterschrift hatte ihn zuvor niemand informiert. Im Alter von knapp 70 Jahren quittierte er seine Professur in Halle. Worringers zogen gemeinsam nach München, wo die jüngste Tochter als Verlagslektorin arbeitete und langjährige Freunde untergekommen waren. Marta Worringer arbeitete intensiv und konnte zahlreiche Werke verkaufen.

Sie starb am 27. Oktober 1965 in München, nur sieben Monate nach ihrem Mann. Sie wurden auf dem Münchener Nordfriedhof beigesetzt.

Autorin: Christl Wickert

Quellen

  • [1] Helga Grebing: Die Worringers: Bildungsbürgerlichkeit als Lebenssinn – Wilhelm und Marta Worringer (1881–1965), Berlin 2004; Stefanie Schüler-Springorum / Christl Wickert: „Man darf sich nur nicht entmutigen lassen. Lucinde Sternberg 1918-1998”, 50 S. Ms., Berlin/Göttingen (Eigendruck) 1998. Helga Grebing: Lucinde Sternberg geb. Worringer. »Man darf sich nur nicht entmutigen lassen« , in: Christiane Freudenstein (Hg.): Göttinger Stadtgespräche, Göttingen 2016, S. 245- 251.
  • [2] Künstlerkolonie Dachau. Blütezeit von 1880 bis 1920. Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 2013.
  • [3] Neu herausgegeben 2007 von Helga Grebing.
  • [4] Biografie von Else Court – Kölner Frauen*Stadtplan (frauenstadtplan.koeln)
  • [5] Lothar Graf zu Dohna: Erlebte Geschichte. Erinnerungen an die Jahre vor und nach Kriegsende, Göttingen 2018.
  • [6] Die Worringers, S. 188.