Dass sie im Kölner Karneval zu einer „festen Größe“ werden würde, war zunächst keineswegs abzusehen. Marie-Luise Nikuta selbst sagte dazu in einem Interview: „Ich war ja eine der ganz wenigen Frauen im von Männern dominierten Karneval. Manche haben uns belächelt. Es gab sogar ein paar Machos, die tönten, dass sie so etwas in ihrer Ehe nicht tolerieren würden.“ Willi, ihr eigener Ehemann, hat das Engagement seiner Frau nicht nur toleriert, sondern ihr stets den Rücken gestärkt. So konnte sie „durchstarten“. Fast ein halbes Jahrhundert lang hat Marie-Luise Nikuta alljährlich die jeweiligen „Mottolieder“ komponiert und getextet. Mehr als 160 Karnevalslieder gehörten zu ihrem Repertoire, darunter der Klassiker „Weiste wat, mer fahre mit d´r Stroßebahn noh Hus“, den noch heute alle „Jecken“ mitsingen können. Weniger bekannt ist hingegen, dass Marie-Luise Nikuta regelmäßig in der Schwulen- und Lesbenszene auftrat und sich ehrenamtlich in der Aidshilfe engagierte. Das stieß bei ihren Karnevalskollegen nicht nur auf Wohlwollen.

© Raimond Spekking: Marie Luise Nikuta auf dem Straßenfest/Bühne Heumarkt in Köln zum ColognePride 2006.

Sie war ein echtes „kölsches Mädchen“. Als Marie-Luise Oberbrinkmann kam sie am 25. Juli 1938 in Köln Nippes zur Welt und wuchs zusammen mit ihrer Schwester in der Florastraße auf. Von den Kindern, mit denen sie damals auf der Straße spielte, lernte sie die kölsche Sprache, die, wie sie einmal erzählt hat, im Elternhaus nicht gesprochen wurde.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieb die Familie zunächst in Köln. Als der Bombenkrieg die Stadt jedoch zunehmend in Schutt und Asche legte, beschlossen die Oberbrinkmanns, sich im bergischen Overath in Sicherheit zu bringen. Nachdem sie dort ziemlich beengt mit einer neunköpfigen Familie zusammengelebt hatten, kehrten sie gleich nach Kriegsende zurück nach Köln.

Allmählich normalisierte sich das Leben. Marie-Luise, die ausgesprochen musikalisch war, erhielt Klavierunterricht und sang in einem Kinderchor. Mit dreizehn Jahren hatte sie ihren ersten „großen Auftritt“. Auf der Bühne des Williamsbaus, damals ein legendärer Veranstaltungsort am Aachener Weiher, trug sie auf einer Karnevalssitzung unter großem Jubel das Lied „M´r fiere Fastelovend“ vor.

Spätestens jetzt war sie mit dem „Karnevalsvirus“ infiziert. Das Singen machte ihr großen Spaß, doch Schule und Ausbildung hatten zunächst noch Vorrang. Marie-Luise erlernte den Beruf der Versicherungskauffrau und arbeitete beim Gerlingkonzern. Dann trat ihr späterer Ehemann Willi Nikuta in ihr Leben, der sich gleich in die sangesfreudige junge Dame verliebte. Er ermunterte sie, weiter im Kölner Karneval zu singen, auch wenn es schwierig war, nach der Geburt von Tochter Andrea 1968 Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Willi stärkte seiner Frau den Rücken: „Immer und immer war er für mich und unsere kleine Tochter da“, erzählte Marie-Luise Nikuta in einem Interview. Er fuhr sie zu allen Auftritten und kümmerte sich liebevoll um das Baby, während sie auf der Bühne stand.

Nur so war es zu schaffen, dass sie schon ein Jahr später vor dem Literarischen Komitee auftreten konnte. Dabei handelt es sich um eine Einrichtung des Festkomitees des Kölner Karnevals, die nach talentiertem Nachwuchs sucht und ihn entsprechend fördert. Und Marie-Luise Nikuta schaffte es tatsächlich, die Herren zu überzeugen!

Natürlich brauchte sie Geduld, der Erfolg stellte sich nicht über Nacht ein. Von ihren ersten Gagen kaufte sie sich ein Klavier, an dem sie fortan ihre Lieder komponierte. Dabei gelang ihr ein geschickter Schachzug. Das Festkomitee pflegt bis heute traditionell am Karnevalsdienstag das nächste Motto zu verkünden. Das nutzte sie blitzschnell aus, textete und komponierte das entsprechende Lied dazu, zum Beispiel 1975/76 „Wenn die Engelscher ens Fastelovend fiere…“. Die Mottolieder des Kölner Karnevals, die fast ein halbes Jahrhundert lang aus Marie-Luise Nikutas Feder stammten, machten sie zur allseits bekannten „Motto-Queen“, ein Ausdruck, von dem sie selbst nicht sonderlich begeistert war.

Eine weitere Strategie trug zu ihrer Popularität bei, und das war ihr äußeres Erscheinungsbild: zu ihrem Markenzeichen wurden die toupierten roten Haare und das Köbes-Kostüm, in dem sie viele Jahre lang auftrat.

© Nikuta/Repro: Thilo Schmülgen: Eine starke Frau: Marie-Luise Nikuta in ihrem Köbes-Kostüm.     

Ihre Nähe zur Schwulen- und Lesbenszene in Köln, heute LGBT+-Community genannt, entstand eher zufällig. In einem Interview erinnerte sich Marie-Luise Nikuta, dass sie seinerzeit eine Buchung für eine Veranstaltung in der Altstadt hatte: „Als ich ankam, waren nur Männer da. Ich hab mir erstmal gar nichts dabei gedacht. Und dann fragte mich jemand, ob ich ein Problem damit hätte, hier aufzutreten – warum sollte ich? Erst da hab ich verstanden, wo ich damals war.“ Auch wenn manche ihrer Karnevalskollegen entsetzt waren, blieb Marie-Luise Nikuta ihrer neuen Fangemeinde treu: „Natürlich bin ich da weiter aufgetreten. Die Stimmung war immer sensationell.“

2003 komponierte sie das Mottolied für den Kölner Christopher Street Day/ColognePride „Liebe deine Nächsten“ und fuhr 2009 auf einem Paradewagen des CSD mit, inzwischen ohne Köbes-Kostüm. Seit 2005 war sie Ehrenmitglied der StattGarde Colonia Ahoj, deren Vereinslied sie komponiert hatte.

Doch in Marie-Luise Nikutas Leben gab es auch dunkle Zeiten. Im Mai 2008 starb ihr Mann Willi nach längerer Krankheit im Alter von 78 Jahren. Auch ihr selbst machten gesundheitliche Probleme zu schaffen, die letztlich dazu führten, dass sie sich am 11.11.2014 offiziell von der Bühne verabschieden musste. Im Jahr zuvor hatte sie eine Hirnblutung erlitten, die zwar rechtzeitig operiert werden konnte, sie aber auch zwang, mit ihren Kräften zu haushalten. Marie-Luise Nikuta verkaufte ihr Haus in Köln-Mauenheim und zog in die Residenz am Dom, in der sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte. Sie starb am 25. Februar 2020 mit 81 Jahren und wurde auf dem Kölner Melatenfriedhof beigesetzt.

Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn würdigte die Verstorbene: „Sie hat den Karneval – in einer Zeit, als das noch lange nicht selbstverständlich war – weiblicher gemacht. Sie hat die Bühnen der Stadt gegen manch damalige männliche Widerstände erobert.“

Neben zahlreichen Auszeichnungen erhielt Marie-Luise Nikuta für ihr musikalisches Werk als einzige Frau die Goldene Ostermann-Medaille.

Karin Feuerstein-Prasser

Quellen:

Marie-Luise Nikuta – Wikipedia aufgerufen 30.4.2024.