Sie gehört zu den ganz wenigen Frauen, die sich im frühen 20. Jahrhundert einen Namen als Komponistin gemacht haben. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war Maria Herz´ vielversprechende Karriere schlagartig vorbei. Als Jüdin sah sie sich gezwungen, zunächst nach England zu emigrieren, später in die Vereinigten Staaten. An ihre alten Erfolge konnte sie aber nie wieder anknüpfen und geriet schließlich in Vergessenheit.
Als Maria Bing am 19. August 1878 in Köln geboren wurde, schien eine sorgenfreie Zukunft vor ihr zu liegen. Das florierende Textilunternehmen ihres Vaters Sigmund Bing, der an der Ecke Neumarkt/Schildergasse ein alteingesessenes Geschäft „für Bänder, Mode und Seidenstoffe“, führte, ermöglichte der Familie ein Leben in solidem Wohlstand. Musik spielte im Elternhaus eine maßgebliche Rolle. Schon früh lernten sowohl Maria als auch ihre älteren Brüder Moritz und Hugo ein Instrument, wobei sich rasch herausstellte, dass das junge Mädchen das nötige Talent besaß, um später einmal eine ausgezeichnete Pianistin zu werden. Nachdem sie am Kölner Konservatorium Unterricht bei renommierten Lehrern erhalten hatte, begann sie, auch selbst zu komponieren.
Eine mögliche berufliche Karriere als Pianistin war für die „höhere Tochter“ jedoch nicht vorgesehen. Am 21. März 1901 heiratete die 22-Jährige den Chemiker Albert Herz (1872-1920), der aufgrund antisemitischer Anfeindungen schon vor einigen Jahren nach England emigriert war. Maria folgte ihrem Mann in die neue Heimat in der Nähe von Manchester und bekam mit ihm in rascher Folge vier Kinder.
Gleichwohl gelang es ihr, sich auch musikalisch zu etablieren und in der Grafschaft Yorkshire zahlreiche Konzerte zu geben. Dabei brachte die Pianistin auch ihre ersten eigenen Kompositionen zur Aufführung.
Im Jahr 1914 reiste die sechsköpfige Familie Herz noch einmal nach Köln, u. a. der Hochzeit von Alberts jüngerem Bruder teilzunehmen. Dabei hatte Maria erstmals die Gelegenheit, das neue, 1908/9 errichtete repräsentative Geschäftshaus ihres Vaters am Neumarkt kennenzulernen. Das damals als Bing-Haus bekannte Gebäude dient heute als Gesundheitsamt.
Weder Maria noch ihr Mann ahnten, dass der Besuch in Köln ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Nur wenig später brach nämlich der Erste Weltkrieg aus, der es der Familie unmöglich machte, nach England zurückzukehren. Während Albert Herz zum Militär eingezogen wurde, blieb Maria mit den vier Kindern bei ihrer Familie. Doch die vormals sorglose Zeit war vorbei. Das blühende Textilgeschäft brach ein, weil wichtige Importländer wie England und Frankreich wegbrachen. Und an Klavierkonzerte war in den Kriegsjahren ohnehin nicht zu denken.
Dann traf die Familie ein weiterer Schicksalsschlag. 1920 starb Albert Herz an den Folgen der Spanischen Grippe, die damals in ganz Europa grassierte und zahllose Todesopfer forderte. Im gleichen Jahr war auch die Ehefrau von Marias Bruder, des Juristen Dr. Moritz Bing gestorben und der Witwer blieb allein mit seinen beiden Töchtern zurück. Deshalb bot er Maria an, mit ihren Kindern in seine großzügige Villa am Oberländer Ufer 208 im Stadtteil Marienburg zu ziehen. Obwohl sie sich jetzt um sechs Kinder kümmern musste, gelang es Maria Herz dennoch, ihrer musikalischen Karriere neuen Auftrieb zu geben. Die Jahre zwischen 1920 und 1935 markieren ihre fruchtbarste Schaffensperiode, in der ein beachtliches kompositorisches Werk entstand, insgesamt rund dreißig Stücke – Lieder, Kammermusik und Orchesterwerke. Gleichzeitig pflegte sie einen regen Austausch mit führenden Musikern der Epoche. Vielleicht in Erinnerung an ihren verstorbenen Ehemann, vielleicht aber auch, um im männerdominierten Musikgeschäft besser Fuß fassen zu können, begann sie 1926, ihre Werke mit „Albert Maria Herz“ zu unterzeichnen. Tatsächlich hatte sie damit Erfolg. Von nun an wurden ihre Kompositionen nicht nur im Kölner Gürzenich regelmäßig aufgeführt, sondern auch in anderen deutschen Städten.
Anfang der 1930er Jahre bezog Maria Herz eine eigene Wohnung in der Einhardstr. 2 in Köln-Sülz. Als Pianistin und Komponistin hatte sie sich inzwischen fest etabliert – bis die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 alles zunichtemachte. Schon bald erhielten alle jüdischen Komponistinnen und Komponisten Aufführungsverbot. Doch die menschenverachtenden Bestimmungen des NS-Regimes trafen auch ihre ganze Familie. Sie wurde enteignet, das Bing-Haus ging gegen einen lächerlichen Aufpreis in den Besitz der Stadt Köln über, die hier zynischerweise die „Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege“ unterbrachte. Marias Bruder Moritz wurde in der Reichspogromnacht verhaftet, zunächst im Gestapo-Lager inhaftiert, dann im KZ Dachau. Nach seiner Entlassung gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Dorthin floh auch Marias älterer Sohn Herbert, während die beiden Töchter ins amerikanische Exil gingen.
Auch Maria selbst entschloss sich im Februar 1935, Deutschland zu verlassen. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Sohn Robert ging sie zurück nach England und lebte in den nächsten zehn Jahren in Birmingham. Doch es gelang ihr nicht, hier wirklich Wurzeln zu schlagen, sie fühlte sich rast- und heimatlos. Sie hörte auf, selbst zu komponieren und hielt stattdessen Vorträge über andere Komponisten aus verschiedenen Ländern und Zeitabschnitten.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entschloss sich Maria Herz, zusammen mit Robert zu ihren Töchtern in die USA auszuwandern. Hier in New York starb sie am 22. Oktober 1950 im Alter von 72 Jahren. Für lange Zeit geriet die Komponistin und Pianistin Maria Herz in Vergessenheit. Ihr Nachlass verblieb in den Vereinigten Staaten, bis ihn der in Zürich lebende Enkel Albert Herz 1995 in die Schweiz transferierte und 2015 der Zentralbibliothek Zürich schenkte. So kam es, dass Maria Herz´ Kompositionen wieder neu entdeckt und ihre Werke wieder aufgeführt wurden, u.a. auf dem Shalom-Musik-Festival 2024 in Köln. Dort, wo einmal ihr Wohnhaus in der Sülzer Einhardstr. 2 gestanden hatte, erinnert heute ein Stolperstein an die hochbegabte jüdische Pianistin und Komponistin.
Karin Feuerstein-Prasser
Quellen:
Materialsammlung Kölner Frauengeschichtsverein
Bildquellen: Der Enkel Albert Herz hat diese Bilder seiner Großmutter Maria Herz in seiner Privatsammlung.