Emanzipatorische Errungenschaften haben keine Ewigkeitsgarantie. Was erkämpft wurde, kann wieder verspielt werden. Dagegen arbeiten JournalistInnen an – indem sie recherchieren, aufklären und Zusammenhänge aufzeigen.

Petra Gerster in ihrer Dankesrede auf die Verleihung der Hedwig Dohm-Urkunde durch den jb 2020

Werdegang

Nach einem Lehramtsstudium 1972 Redaktionsvolontariat beim Westdeutschen Rundfunk. Stationen dort: „Radiothek“ (1973 -1980), „Thema heute“ (1980 – 1990), „Kritisches Tagebuch“ (1990 – 2000), Mitentwicklung des Radioprogramms für die Einwanderungsgesellschaft, „Funkhaus Europa“ (seit 1998), der „Funkhausgespräche“ (seit 1995). Moderatorin im „Morgenmagazin“ und später im „Mittagsmagazin“ auf WDR 2. Ab 1988 Tagesthemenkommentatorin.

Helga Kirchner am Schreibtisch
1982, © WDR

Im Jahr 2000, als zweite Frau in dieser Funktion, von Intendant Fritz Pleitgen zur Chefredakteurin des Hörfunks und zur Leiterin des Programmbereichs Politik berufen. 2009 Pensionierung.

2010 wurde ihr vom Journalistinnenbund die Hedwig-Dohm-Urkunde für ihre journalistische Lebensleistung verliehen.

Helga Kirchner ist verheiratet und hat einen Sohn.

Engagement

Im Journalistinnenbund JB e.V. engagiert sie sich für gleichberechtigte Präsenz von Frauen in den Medien und gendersensible Berichterstattung.

Sie sitzt in der Jury des Couragepreises für herausragende aktuelle Berichterstattung und konzipiert medienpolitische Veranstaltungen der Reihe „Medienlabor“.

Im DOMiD-Förderverein unterstützte sie von 2007 bis 2016 die Entwicklung des Dokumentationszentrums für die Erinnerungskultur der Migrationsgesellschaft und den Aufbau eines Museums für die Geschichte der Migration.

Im Paula e.V. macht sie sich dafür stark, dass Frauen ab 60, die in der Vergangenheit traumatisierende Ereignisse erlebt haben, Beratung und therapeutische Begleitung bekommen.

In der Karl Rahner Akademie, dem Dialogforum für den Kritischen Katholizismus in Köln, moderiert sie Podien und die biographische Gesprächsreihe „Lebensromane“. Sie gehört dem Vorstand des Trägervereins der Akademie an. 

Wichtige Themen

Helga Kirchner bei einer Moderation
1990, © WDR/Gabriele Winkler

Nach dem Lehramtsstudium – „nicht aus Neigung, sondern mangels anderer Spielräume“ – absolvierte Helga Kirchner ab 1972 ein Redaktionsvolontariat beim Westdeutschen Rundfunk und fand dort ihren Lebensberuf. 27-jährig begann sie als Redakteurin zunächst bei der WDR 2-Sendung „Radiothek“. Der Hörfunk blieb das Medium ihrer Wahl. Geprägt von Willy Brandts Parole „Mehr Demokratie wagen“ und inspiriert von der 68er Bewegung, nahm sie gemeinsam mit ihrer Redaktion die soziale Benachteiligung in Bildung und Ausbildung junger Leute in den Blick und unterstützte deren Forderung nach Selbstbestimmung. Es wurde zum Markenzeichen der Sendung, dass ihre Zielgruppe darin selbst zu Wort kam, live und ungeschnitten. Das war damals noch ungewöhnlich und umstritten.

Weder Kritik noch Anfeindungen brachten sie davon ab, die wichtigen Themen der Zeit aufzugreifen und sie schreibend, kommentierend zu den HörerInnen zu vermitteln – in fairer Zusammenarbeit mit AutorInnen und KollegInnen, loyal gegenüber dem Sender und respektvoll gegenüber dem Publikum.

Themen, die sie in ihrer 37-jährigen Laufbahn im WDR besonders beschäftigten, waren die vielfältigen Aspekte gesellschaftlicher Diskriminierung. Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem den Gruppen, die davon besonders betroffen waren: Frauen und EinwanderInnen. Dies spiegelt sich auch in ihren Kommentaren für die Tagesthemen, zum Beispiel zum § 218, zur Gewalt gegen MigrantInnen und zur verfehlten Asylpolitik. Über die unmittelbare Programmarbeit hinaus war sie an der Entwicklung des interkulturellen Radioprogramms „Funkhaus Europa“ beteiligt und wirkte in der Civis – Medienstiftung für kulturelle Vielfalt als Jurorin und in deren Programmbeirat mit.

1992, © WDR/Gabriele Winkler

Sie brachte die Themen der erstarkenden Frauenbewegung nicht nur ins Programm, sondern zusammen mit Kolleginnen auch in den Sender, beide in den 1970er Jahren noch männerdominiert. Müttern wurde die Berufstätigkeit nicht leicht gemacht, und Frauen wurde der Aufstieg nicht zugetraut. Die Redakteurin, Mutter eines Sohnes, setzte sich für familienfreundliche Arbeitsbedingungen ein und trug gemeinsam mit anderen frauenpolitisch engagierten Kolleginnen dazu bei, dass der WDR in den 80er Jahren Frauenförderpläne erstellte und eine Frauenbeauftragte berief. Sie trat dem Journalistinnenbund bei, förderte Frauen und ermutigte sie, Führungsaufgaben zu übernehmen.

Als eine der ersten Moderatorinnen des WDR 2-Mittagsmagazins, als Tagesthemenkommentatorin und seit dem Jahr 2000 als Chefredakteurin Hörfunk zählte sie zu den Wegbereiterinnen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an einflussreichen Positionen und wurde Vorbild für viele junge Kolleginnen.

Dabei pochte sie immer auf einen gründlichen, souveränen Journalismus, der für eine starke, lebendige Demokratie unabdingbar sei.

Dieses Verständnis begründete auch ihr Engagement für die Rechte der Beschäftigten und besonders für die inhaltliche Souveränität der RedakteurInnen. So verhandelte sie etwa 1987 das neue Redakteursstatut mit, in dem die Rechte der RedakteurInnen geregelt sind.

Für ihre Lebensleistung wurde Helga Kirchner 2010 vom Journalistinnenbund die Hedwig-Dohm-Urkunde verliehen. In ihrer Laudatio auf Helga Kirchner sagte Gerda Hollunder, langjährige Programmdirektorin des „Deutschlandradio Kultur“:

© Guido Schiefer

„Wir können sehen, dass die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten aufgeschlossener und toleranter geworden ist. Das hat viele Gründe. Einer davon liegt in der Leistung der Journalistinnen und Journalistinnen allgemein, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Besonderen, und, wer genau hinschaut, sieht die Menschen, die diesen Fortschritt mit bewirkt haben. Also auch die Journalistin, Redakteurin, Chefredakteurin Helga Kirchner – und zwar ganz vorne.“

Ein filmisches Portrait ist online abrufbar unter: https://www.ardmediathek.de/video/wdr-geschichte-n/helga-kirchner/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTI2MjkyOWFmLThlMzUtNDAwMC05YjNiLTc2ODg5NGY0MzM4Mw

Autorin: Cornelia Schäfer