Ich bin am 03.02.1970 in Corum geboren, damals war es noch eine Kleinstadt an der Schwarzmeeküste in der Türkei. Mein Vater kam 1973 als Gastarbeiter nach Deutschland. Ein Jahr später holte er mich, meinen jüngeren Bruder und meine Mutter im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland. Ein Jahr später kam mein anderer Bruder zur Welt. In der Grundschule war ich in einer Klasse mit türkischen Schülern und türkischen Lehrern. Es wurde kein Wort Deutsch gesprochen und es wurde auch inhaltlich türkischer Unterricht vermittelt.

Da ich kein Deutsch konnte, wurde ich nach der Grundschule in einer Hauptschule angemeldet. Zunächst hatte ich aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Ich begann, Deutsch zu lernen und Bücher zu lesen. Das Lesen wurde für mich zu einem Hobby. So oft wie möglich verbrachte ich meine Freizeit mit Lesen. Ab der achten Klasse verbesserten sich meine Noten. Gegen Ende der Hauptschule wurde mir geraten, die Oberstufe auf einem Gymnasium zu besuchen. Mein Vater meldete mich auf der Kaiserin Theophanu Schule, einem Gymnasium in Köln Kalk, an. Auch da hatte ich anfänglich große Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen, da ich große Lücken hatte. Schließlich machte ich mein Abitur und begann mein Studium der Rechtswissenschaften.
Während des Studiums erkrankte mein Vater an Krebs und war zunächst arbeitsunfähig. Er war Schneider und hatte ein Geschäft mit Herrenbekleidung. Er war in der Familie Einzelverdiener. Ich und mein Bruder beschlossen, das Geschäft fortzuführen und der Familie damit finanzielle Unterstützung zu leisten. Unter diesen schwierigen Umständen führte ich mein Studium zu Ende. Da mein Vater sich lange Zeit von seiner Erkrankung nicht erholte, führte ich auch nach Abschluss des Studiums das Geschäft erst mal weiter. Ende 1999 sprach mich mein Vater darauf an, dass ich in meinen Beruf einsteigen sollte. Über dem Geschäft befand sich eine Wohnung, die wir zu einer Anwaltskanzlei einrichteten.
Nach meiner Zulassung zur Rechtsanwältin fing ich dort an, als selbständige Anwältin zu arbeiten. Die Nachfrage war groß, da es seinerzeit kaum türkischsprachige Anwälte gab. Insbesondere die Nachfrage auf dem Gebiet des Familienrechts war groß, so dass ich mit der Zeit hauptsächlich auf diesem Gebiet arbeitete.

Am 01.01.2002 trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Ich wurde von Frauenberatungsstellen angesprochen, ob ich auf diesem Gebiet arbeite und ob man mir Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind vermitteln könne. Da ich sowieso im Familienrecht tätig war und auch zuvor in diesem Bereich tätig war, begann ab dem Zeitpunkt eine gute Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen und meiner Kanzlei. Ich setze mich für Frauenrechte ein und zwangsläufig auch für den Schutz von Kindern. Die Arbeit entwickelte sich für mich zu einer Berufung. Seit Anfang 2023 arbeite ich auch als Verfahrensbeiständin in Kindschaftssachen. Ich fungiere bei Gericht als Sprachrohr der Kinder. Ich bin glücklich darüber, dass ich auf gesellschaftliche Probleme Einfluss nehmen kann, soweit es in meiner Macht steht. Ich trage mit meiner Arbeit dazu bei, Frauen und Kindern zu helfen, die Unterstützung benötigen. Nach wie vor arbeite ich in meiner Kanzlei in Köln Kalk als Rechtsanwältin im Bereich des Familienrechts und als Verfahrensbeiständin mit großer Motivation. Ich bin sehr glücklich mit meiner Arbeit.
Ich wünsche mir für die Zukunft die Gleichstellung von Mann und Frau und mehr Schutz für Frauen und Kinder.
Güler Akca Can, Rechtsanwältin