Dorothee Sölle wurde am 30.09.1929 in Köln geboren. Sie entstammte einer bildungsbürgerlichen Familie. Der Vater Hans Carl Nipperdey war ein berühmter Arbeitsrechtler.  In diesen Jahren wirkte er an der Gründung des Instituts u.a. für Arbeitsrecht mit und arbeitete auch an dem Entwurf eines Volksgesetzbuchs im Nationalsozialismus mit. Die Mutter Hildegard war liberal und weltoffen und lehnte den Nationalsozialismus von Anfang an ab. Hans Carl Nipperdey war dann von 1954 bis 1963 der erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts.

Was mögen diese Widersprüche im Privaten und im Beruflichen bei ihr ausgelöst haben?

Dorothee Sölle (Dorothee Soelle) - evangelische Theologin - 20.9.1974
© Brigitte Friedrich

Einer ihrer Brüder war der Historiker Thomas Nipperdey. Von 1954 bis 1964 war sie mit dem Maler Dietrich Sölle verheiratet. Mit ihm hatte sie drei Kinder: den Buchhändler Martin Sölle, geb. 1956, die Malerin Michaela Sölle, geb. 1957, und die in Bolivien tätige Ärztin Caroline Sölle, geb. 1960. 1969 heiratete sie den zunächst katholischen Theologen Fulbert Steffensky, mit dem sie eine Tochter hatte, Miriam Steffensky, geb. 1970, Professorin für Chemiedidaktik in Hamburg.

Von 1949 bis zum Staatsexamen 1954 studierte sie klassische Philologie, Philosophie, evangelische Theologie und Germanistik in Köln, Freiburg (Br.) und Göttingen. In Göttingen wurde sie zu Dr.in. phil. promoviert. 

Von 1954 bis 1960 unterrichtete sie Deutsch und Religion am Genoveva-Mädchen-Gymnasium in Köln-Mülheim. 1962 wurde sie Assistentin am Philologischen Institut der TH Aachen. 1964 ging sie als Studienrätin in den Hochschuldienst am Germanistischen Institut der Universität Köln und habilitierte sich 1971 an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln zum Thema: Realisation – Studien zum Verhältnis von Theologie und Dichtung.
Von 1975 bis 1987 war sie ordentliche Professorin für Systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York. Lehraufträge hatte sie in Mainz, Kassel und Köln. 

Von Oktober 1968 bis 1972 fand in der Kölner Antoniterkirche ab 23 Uhr das “Politische Nachtgebet” statt.  Dieses ökumenische Treffen hatte Dorothee Sölle zuvor auf einem Kirchentag zusammen mit Heinrich Böll, Fulbert Steffensky, Maria Mies, Mechthild Höflich und vielen anderen ins Leben gerufen. Aktuelle Themen wie der Vietnamkrieg, aber auch Obdachlosigkeit sowie die Dritte Welt waren Gegenstand dieser Nachtgebete, die immer Information, Meditation und Aktionsvorschläge enthielten

Dorothee Sölle 1998
© fotoburo de Boer Noord Hollands Archief NL

„Mein Glaube kommt aus der deutschen Erschütterung, aus Auschwitz“. Ihre Theologie der Schöpfung, gekennzeichnet durch eine sinnerfüllte Tätigkeit des Menschen und der Versöhnung mit der Natur wurde – nach Begegnungen mit Gemeinden in Lateinamerika und durch die Freundschaft mit Ernesto Cardenal – sowohl von der Befreiungstheologie geprägt als auch von der Feministischen Theologie.

Dorothee Sölle gilt bis heute als streitbare Theologin. Für ihre Überzeugungen kämpfte sie selbst gegen ihre eigene Kirche; vielleicht einer der Gründe, dass sie in Deutschland keine ordentliche Professur hatte.  Die Teilnahme an Sitzblockaden u.a. gegen Massenvernichtungswaffen in Mutlangen brachte ihr eine Verurteilung wegen versuchter Nötigung ein. 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet mehr als 380 Titel, die sie allein oder zusammen mit anderen verfasst bzw. herausgegeben hat; darunter befinden sich zahlreiche Lyrikbände. Seit 2006 erschien ihr theologisches Werk in einer auf zwölf Bände angelegten Werkausgabe (hg. v. U. Baltz-Otto u. F. Steffensky).

1974 erhielt sie die Theodor-Heuss-Medaille. Es folgten: 1977: Dr. theol. doctor theologiae h. c. honoris causa der Faculté Protestante, Paris; 1982 (zusammen mit Maria Menz): Droste-Preis der Stadt Meersburg für Lyrik; 1990: belgischer Orden Ridder van Sint Joris (Motto „In diesem Zeichen wirst du siegen“); 1994: Ehrenprofessur der Universität Hamburg; 1996: Salzburger Landespreis für Zukunftsforschung; 1997: Episcopal Divinity School Cambridge/Mass.

Dorothee Sölle, um 1969, Köln - Politisches Nachtgebet in der Antoniterkirche
Dorothee Sölle, um 1969, Köln – Politisches Nachtgebet in der Antoniterkirche, © Greven-Archiv-Digital

Eine ihrer Studentinnen, Bettina Hertel, die bei ihr in Hamburg studierte und auch in ihrem Haus gelebt hat, gab in einem Online-Vortrag am 28.02.2023 Einblicke in Sölles Leben: Sie saß an einem großen Tisch, schrieb und schrieb und es wurde viel gesungen. Den Rotwein kredenzte Fulbert Steffensky. 

Am 27.04.2003, einem Sonntag, ist sie nach einem Herzinfarkt in Göppingen verstorben. Am Abend zuvor hatte sie auf einem Seminar über “Gott und das Glück” in der Evangelischen Akademie in Bad Boll noch aus ihren Gedichten vorgelesen. In Hamburg, wo sie lange Zeit gelebt und gewirkt hat, wurde das Zentrum für Kirche und Diakonie der Evangelisch-Lutherischen Kirche Norddeutschlands, in Köln der Platz vor der Christuskirche am Stadtgarten nach ihr benannt.

Autor*innen: Hannelore Kruppa, bearbeitet von Martin Sölle