Ganz Deutschland jubelte, als die junge Tennisspielerin Steffi Graf 1987 das legendäre Turnier von Wimbledon gewann. Zu diesem Zeitpunkt hatte man längst vergessen, dass es bereits 1931 eine andere, die erste deutsche Wimbledon-Siegerin gegeben hatte: die Kölnerin Cilly Aussem, deren Karriere aufgrund gesundheitlicher Probleme ein vorzeitiges Ende fand.


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Vor hundert Jahren war Tennis noch ein sehr exklusiver Sport, den sich nur die Wohlhabenden leisten konnten. Doch der Vater von Cäcilie „Cilly“ Aussem, die am 4. Januar 1909 in Köln zur Welt kam, hatte als erfolgreicher Geschäftsmann ein Vermögen erwirtschaftet und konnte seiner Familie jeglichen Komfort ermöglichen.

Seit 1918 besuchte Cilly ein Internat im schweizerischen Montreux am Genfer See und erhielt dort eine umfassende Ausbildung. Nach ihrer Rückkehr ins Elternhaus am Deutschen Ring (heute Ebertplatz) 1923 wurde sie von ihrer ambitionierten Mutter Helen im renommierten Kölner Tennis-und Hockeyclub Rot-Weiß im Stadtwald angemeldet. Sonderlich sportlich war die 14-Jährige zwar nicht, aber in diesen Kreisen gehörte Tennis gewissermaßen zum „guten Ton“.

Schon bald stellten sich die ersten Erfolge ein. Als das junge Mädchen 1925 die deutsche Jugendmeisterschaft in Erfurt gewann, war die Presse voll des Lobes: „Die deutsche Junioren-Meisterin Cilly Aussem (Köln) hat Zukunft. Ihr temperamentvolles Spiel, das jedenfalls, da es sich auch durch Anmut in der Bewegung auszeichnet, für das Auge des Zuschauers recht erfreulich ist, wird ihr sicher noch weitere Erfolge bringen.“

Dank enormer Willenskraft und einer ungewöhnlich starken Vorhand galt Cilly Aussem bald als Deutschlands beste Tennisspielerin. Aber schon damals machten ihr gesundheitliche Probleme zu schaffen. Sie litt bereits in jungen Jahren unter einer nicht näher bekannten Augenkrankheit, die sie später fast vollständig erblinden ließ. Hinzu kamen immer wieder Verletzungen, und sie konnte Niederlagen schlecht verkraften. Dann brach sie in Tränen aus.

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Auf einem Turnier in Südfrankreich lernte Cilly 1930 den Amerikaner Bill Tilden (1893-1953) kennen, der damals als bester Tennisspieler aller Zeiten galt. Er wurde jetzt nicht nur Cillys neuer Trainer, sondern trug auch zu ihrer psychischen Stabilisierung bei.

Cilly lebte in den nächsten Jahren bei einer Baronin am Starnberger See und trainierte fleißig mit Bill Tilden. Sie sei „das reizendste junge Mädchen, das jemals Klassetennis gespielt hat“, lobte er seinen Schützling. Tatsächlich stabilisierten sich ihre Leistungen, und sie wurde immer besser.

Schon ein Jahr später nahm sie an dem berühmten Turnier in Wimbledon teil. Am 3. Juli 1931 besiegte sie in einem rein deutschen Finale die Essenerin Hilde Krahwinkel in zwei Sätzen und erreichte damit den Höhepunkt ihrer Tenniskarriere. Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der in jungen Jahren selbst Tennis gespielt hatte, schickte umgehend ein Glückwunschtelegramm: „Cilly, ganz Köln gratuliert zum großen Sieg. Ihre Heimatstadt ist stolz auf sie!“

Als ihr Zug aus London wenig später am Kölner Hauptbahnhof eintraf, wurde Cilly Aussem ein triumphaler Empfang bereitet, auf den sie nicht vorbereitet war: „Fräulein Aussem, die sich stets durch ihre Bescheidenheit auf allen Plätzen Europas die Sympathien der Zuschauer erwarb, war ob dieser Huldigung sichtlich verlegen“, bemerkte die Presse.

Doch Wimbledon blieb Cilly Aussems letzter großer Erfolg. Erneut traten verstärkt gesundheitliche Probleme auf, auf dem linken Auge war sie inzwischen blind und offenbar litt sie auch an einer Art Lichtallergie, die sie vor den Spielen zwang, abgedunkelte Räume aufzusuchen. Nachdem die Saison 1932 enttäuschend verlaufen war, benötigte Cilly dringend eine längere Auszeit. Sie war körperlich und seelisch am Ende, und es gelang ihr nicht mehr, ihre alte körperliche Fitness zurückzuerlangen.

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Cilly Aussem und Irene Peacock im French Open

Erst vor einigen Jahren kam an die Öffentlichkeit, dass Cilly Aussem am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP wurde. Die Gründe sind rätselhaft, denn bislang war sie eher als völlig unpolitischer Mensch in Erscheinung getreten. Erhoffte sie einen Aufschwung ihrer Karriere, war sie tatsächlich überzeugt oder eher naiv? War es möglicherweise Opposition gegen das katholische Elternhaus? All das lässt sich heute nicht mehr klären. Auf jeden Fall gibt es keine Hinweise darauf, dass sie über ihre Mitgliedschaft hinaus im NS-Regime aktiv wurde.

1934 blitzte noch einmal Cilly Aussems alte Form wieder durch, sie schaffte es bis ins Viertelfinale von Wimbledon. Ein Jahr später trat sie mit 26 Jahren vom Profitennis zurück. Zur Überraschung ihrer Familie heiratete Cilly am 12. März 1936 den italienischen Offizier Graf Fermo Murari della Corte Brà. Sie folgte ihm nach Mombasa/Kenia, wo er stationiert war. Damit verlor sie die deutsche Staatsangehörigkeit, und ihre Mitgliedschaft in der NSDAP erlosch. Nach Köln kam sie nur noch ganz selten.

1939 zog Cilly mit ihrem Ehemann nach Italien, wo das Paar zurückgezogen in Portofino lebte.

Die nächsten Jahre waren von schweren gesundheitlichen Problemen überschattet. An der ostafrikanischen Küste hatte sie sich mit Malaria angesteckt, von der sie sich nicht mehr erholte. Gleichzeitig verschlimmerte sich ihre Augenkrankheit, sodass sie zum Schluss nahezu völlig erblindete. Eine nie richtig auskurierte Hepatitis erforderte eine Operation an der Leber, die die frühere Wimbledon-Meisterin nicht überlebte. Sie starb am 22. März 1963 in Portofino und wurde auf dem dortigen Friedhof beigesetzt.

© Portal Rheinische Geschichte: Briefmarke 1988

In Deutschland wurde von ihrem Tod kaum Notiz genommen, und Cilly Aussem geriet in Vergessenheit. 1988 erinnerte die Deutsche Bundespost mit einer Briefmarke an das frühere Tennisidol. Der Plan, in Köln eine Straße nach Cilly Aussem zu benennen, wurde wieder aufgegeben, nachdem 2013 ihre NSDAP-Mitgliedschaft bekannt geworden war.

Karin Feuerstein-Prasser

Quelle:

Bernd Tuchen: Ich galt als Wunderkind…Cilly Aussem. Das Leben der ersten deutschen Wimbledon-Siegerin. Verlag Shaker Media Düren, 2. Auflage 2024.

Gabi Langen (Hg.): Vom Handstand in den Ehestand – Frauensport im Rheinland bis 1945, Emons Verlag Köln 1997.

Material vom Kölner Frauengeschichtsverein