Adele Meurer gehörte zu den vielen Kölnerinnen aus dem wohlhabenden Bürgertum, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Rechte der Frauen einsetzten. Die bürgerliche Frauenrechtsbewegung forderte vor allem eine bessere Mädchenbildung, Mitbestimmung sowie das Frauenwahlrecht.
Dass Adele Bunge am 9. November 1852 im belgischen Antwerpen geboren wurde, hatte vermutlich mit dem beruflichen Engagement ihres Vaters zu tun. Als Kaufmann hatte Gustav Bunge ein untrügliches Gespür für gute Geschäfte an unterschiedlichen Standorten. Deshalb zog es ihn schließlich auch nach Köln, das seit den 1820er Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Wann genau die Familie an den Rhein kam, ist nicht bekannt. Aber es scheint nicht lange nach Adeles Geburt gewesen zu sein. Gustav Bunges Ehe mit Adele Andreae, die aus einer vermögenden rheinischen Tuchfabrikanten-Familie stammte, hatte zusätzliches Geld in die Kasse gespült. So konnte man es sich 1853 leisten, die Ruine von Schloss Sinzig zu kaufen, ehemaliger Sitz der Herzöge von Jülich-Berg.
Zwar hatte sich Familie Bunge in Köln niedergelassen, weil hier lukrative Geschäfte lockten. Aber die hygienischen Verhältnisse der Stadt, die damals „aus allen Nähten platzte“, waren katastrophal, immer wieder brachen Seuchen wie Pocken und Cholera aus. Deswegen besaßen alle, die es sich leisten konnten, einen Sommersitz auf dem Land. Familie Bunge entschied sich für das rund 70 Kilometer südlich gelegene Sinzig und beauftragte den Kölner Architekten Vincenz Statz (vorübergehend auch Dombaumeister), die Schlossruine zu einer repräsentativen Villa im neugotischen Stil auszubauen. Der umgebende Park wurde nach den Plänen des berühmten preußischen Gartendirektors Peter Paul Lenné gestaltet.
In diesem luxuriösen Ambiente, das um 1858 bezugsfertig war, verbrachte die Familie die Monate von März bis Oktober. Adele und ihre Geschwister – Johanna, Agnes, Klara und Gustav -, die vermutlich von Hauslehrern unterrichtet wurden, erlebten hier eine schöne und sorgenfreie Kindheit.
Als Adele das heiratsfähige Alter erreichte, begann die Suche nach einem passenden und vermögenden Ehemann. Man fand ihn in dem Kölner Bergbauingenieur Otto Wilhelm Meurer (1841-1921), dessen Familie am Mühlenbach 54/56 einen florierenden Eisenwarenhandel betrieb. Nach dem Tod seiner Eltern wurde Otto Wilhelm Meurer 1871 alleiniger Besitzer des Unternehmens. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können. Nach dem gewonnenen deutsch-französischen Krieg und der Gründung des Kaiserreichs begann ein wirtschaftlicher Boom, der Meurers Firma zu einer sprudelnden Quelle des Reichtums machte.
1872 heirateten Adele Bunge und Otto Wilhelm Meurer. Vier Kinder gingen aus der Ehe hervor, und wie damals üblich, beschränkte sich Adele Meurer zunächst auf ihre Aufgaben als Ehefrau und Mutter. Derweil vergrößerte ihr Mann sein Unternehmen, errichtete in Porz-Zündorf das eisenverarbeitende Werk „Carl Otto“ und die nach seiner Frau benannte Eisengießerei „Adelenhütte“.
Doch nachdem die Kinder das Erwachsenenalter erreicht hatten, erlebte Adele Meurer das bequeme, aber doch recht eintönige Luxusleben zunehmend als unbefriedigend. Wie viele andere wohlhabende Kölnerinnen begann daher auch sie, sich in verschiedenen Frauenvereinen zu engagieren, die damals landesweit entstanden. Diese Frauen suchten eine Gelegenheit, um dem häuslichen Einerlei zu entfliehen und möglichst ungestört ihren eigenen Interessen nachzugehen. Aber wo? Es galt als unschicklich für eine Dame, ohne männliche Begleitung ein Theater oder Restaurant zu besuchen. Man brauchte daher einen gesellschaftlich anerkannten Treffpunkt, einen Frauenclub. Adele Meurer war zusammen mit Alexe Altenkirch eine der Mitgründerinnen des Kölner Frauenclubs, der 1906 ganz offiziell aus der Taufe gehoben wurde. In den Clubräumen am Neumarkt (heute Kreisparkasse) wurde interessierten Frauen die Möglichkeit geboten, sich auszutauschen und sich auch kulturell oder politisch weiterzubilden. Adele Meurer gehörte dem Vorstand an und fungierte ab 1906 als zweite Schatzmeisterin. Ein Nachfolgezweig existiert bis heute als Lyceumclub Köln.
Die Gespräche mit anderen Frauen vermittelten zahlreiche neue Impulse, auch politische. Das war etwas Neues, denn bislang lag der Fokus der Damen, die sich sozial engagierten, ausschließlich auf Mildtätigkeit. Jetzt aber ging es auch um politische Rechte wie eine bessere Mädchenbildung und das Frauenwahlrecht. Dafür setzte sich auch Adele Meurer ein. Sie trat dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) bei, fungierte von 1909-1923 als Vorsitzende und engagierte sich eindrücklich für mehr politische Mitbestimmung der Frauen, unter anderem zusammen mit Mathilde von Mevissen im Frauenstimmrechtsverein.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs brach tatsächlich eine neue Zeit an. Die Frauenbewegung hatte sich das Wahlrecht erkämpft, welches nun in der Weimarer Verfassung festgeschrieben wurde. Doch die Anfangsjahre der jungen Republik wurden von schweren Krisen überschattet. Bereits 1922 bekamen weite Kreise der Bevölkerung die Folgen der verheerenden Inflation zu spüren und verloren ihr Vermögen. In dieser schweren Situation gründete Adele Meurer gemeinsam mit der Frauenrechtlerin Rosa Bodenheimer noch im gleichen Jahr „Das Lädchen“, ein Geschäft, in dem in Not geratene Familien ihre noch vorhandenen Wertgegenstände – z.B. Porzellan und Silber – veräußern konnten. „Das Lädchen“ existiert bis heute in der Neven-Dumont-Straße am Appellhofplatz.
Doch Adele Meurer selbst blieb nicht mehr viel Zeit. Sie starb am 21. November 1923 während eines Aufenthalts in Marburg und wurde neben ihrem zwei Jahre zuvor verstorbenen Ehemann auf dem Kölner Melatenfriedhof beigesetzt.
Seit 1964 erinnert die Straße „An der Adelenhütte“ in Porz-Zündorf an die heute in Vergessenheit geratene Kölner Frauenrechtlerin.
Der Familiensitz Schloss Sinzig, den Adeles Schwester Johanna nach dem Tod des Vaters 1891 geerbt hatte, befindet sich seit 1954 im Besitz der Stadt Sinzig und steht heute unter Denkmalschutz.
Karin Feuerstein-Prasser
Quellen
Katharina Regenbrecht, Adele Luise Meurer 1852-1923 in: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Münster 1995.
Adele Meurer – FrauenGeschichtsWiki (frauengeschichtsverein.de), aufgerufen 11.3.2024.
Adele Meurer – Wikipedia, aufgerufen 11.3.2024.