Ein Haus für uns allein.

Ma Braungart, die Frauenfrage und die fünfziger Jahre

Ein halbes Dutzend Bücher und ein temperamentvoller Briefwechsel mit der Zeitschrift „Die Welt der Frau“ brachte damals, tief in den 50er Jahren, eine Mitzwanzigerin auf eine unerhörte Idee: „Was wir brauchen“, sagte sie sich und ihren Freundinnen, „ist ein Haus für uns allein. In diesem Haus werden wir leben und lernen. Kein Mann tritt über die Schwelle außer für die grobe Hausarbeit. Hier werden wir gemeinsam studieren und forschen und die Frauenfrage‘ voran bringen.“ [1]

Die Visionärin hieß Ma Braungart. Zwar ist sie niemals allein in ein solches Haus gezogen, doch zwölf Jahre später hatte sie ihren Ort für die Frauenfrage gefunden: Ein Lokal mitten in Köln, das am Weiberfastnachtstag 1968 seine Pforten öffnete, und das vor allem für Frauen gedacht war, sofern sie sich zu benehmen wussten – eine Toleranz, die dem „Frauencenter George Sand“ nicht nur Freundinnen verschaffte.

Ma Braungart behauptet von sich keineswegs, dass sie Feministin sei. Sie weist sämtliche Etikettierungen als männliche Erfindungen weit von sich und sieht sich eher als Matriarchalin. Die Menschheit müsse wieder zurück zur mütterlichen Ordnung. Politik interessiere sie nicht, sondern einzig und allein das Bewusstsein der Frauen. Also doch feministisch, emanzipatorisch, politisch, und das nicht nur im spirituellen Sinn! Die Bücher, die sie und ihre Freundinnen lange Zeit vor Beginn der neuen Frauenbewegung am meisten beeindruckten, waren von so unterschiedlichen AutorInnen wie Johann Jakob Bachofen, Simone de Beauvoir und vor allem Sir Galahad. Auch Daphne du Mauriers „Rebecca“ und das 1953 erschienene zweibändige „Lexikon der Frau“ gehörten zur Lektüre des Studienkreises, den Ma Braungart eigens zur Erörterung der Frauenemanzipation initiiert hatte.

Portrait Ma Braungart
© Hanne Horn Kölner Frauengeschichtsverein

Die Frauen, die diesem Kreis angehörten, lebten überwiegend ungebunden und selbstständig ohne Ehemann an ihrer Seite. Einige hatten Liebensbeziehungen zu Frauen, aber nicht alle. Das Gemeinsame war ihre Entschlossenheit, sich nicht mehr von Männern bevormunden zu lassen. „Und wenn sie nicht von selbst auf solche Gedanken kamen“, fügt Ma Braungart überzeugend hinzu, „dann habe ich ihnen das eben klar gemacht.“

Gegen Ende der fünfziger Jahre, als Werbung und Film bereits wieder das Ideal der biederen Mutter und Hausfrau beschworen, ärgerten sich die Freundinnen, wenn sie, in ein Gespräch vertieft, in einer Bar saßen und selbstgefällige Herren ihnen von Ferne ein Getränk spendierten. „Wissen Sie, wir diskutierten die Bewusstwerdung der Frau, und so ein Kerl war mit den besten Sachen der Welt nicht mehr vom Tisch zu bewegen. Wir waren so wütend!“

Die Idee mit dem Haus nahm konkrete Gestalt an: Sechs Frauen sollten ein hübsches Anwesen in einem Park bei Bad Godesberg beziehen. Drei von ihnen würden für den gemeinsamen Lebensunterhalt außerhalb arbeiten, währenddessen die anderen in Ruhe ihren Studien nachgehen könnten. Nach einigen Monaten müssten die Rollen getauscht werden. Von dem erwirtschafteten Geld würden Haus, Garderobe, Essen und Trinken finanziert werden. Für genügend Zigaretten wäre in jedem Fall gesorgt, und ansonsten bekäme jede Mitbewohnerin monatlich 100 Mark Taschengeld. Die Vorstellung, unterschiedliche Verdienste in eine gemeinsame Kasse wandern zu sehen, war für einige Besserverdienende allerdings so erschreckend, dass das Projekt zu Grabe getragen wurde. Nicht aber die Utopie. Der Studienkreis um Ma Braungart, Weggefährtinnen aus Siegburger, Bonner und Kölner Jahren, sann auf neue Möglichkeiten, sich einen Ort zu schaffen. Zunächst versuchten sie über Zeitungsinserate und direkte Kontakte, den Kreis zu erweitern. Ma Braungart: „Ich habe Frauen auf der Straße angesprochen und sie eingeladen. Die haben mich angeguckt, als wollte ich ihnen was verkaufen. In einem Lokal sah ich eine Frau, bei der ich mir dachte, die sieht auch hübsch aus, so dass es einem angenehm ist. Also bin ich hin und habe sie angesprochen. Aber die ist ja fast unter die Tischdecke gekrochen! Frauen sind da ja ganz sonderbar: Mit dem Mann gehen sie, aber bei Frauen, die auf sie zukommen, kriegen sie Panik.“

Ma Braungart unterwegs in Köln
Ma Braungart unterwegs in Köln, © Hanne Horn Kölner Frauengeschichtsverein

Die Sache kam nicht so recht in Schwung. Während der privaten Treffen wurde mehr gefeiert als diskutiert. Aber nur feiern in den eigenen vier Wänden – das wollten die Pionierinnen nicht. Das war die Geburtsstunde des „Frauencenter George Sand“, das in den ersten Monaten noch den alten Namen „Chalet“ trug. Die Eröffnung des Lokals im Marsilstein 13 am 22. Februar 1968 war eine Sensation und zog vor allem lesbische Frauen an. Dann kamen die Schwulen und schließlich die soliden Ehepaare auf der Suche nach einem pikanten Abenteuer zu dritt. Für Ma Braungart und ihre Freundinnen war das jedoch zu viel Subkultur und zu wenig Kultur; sie wollten keine lesbischen oder schwulen „Laden“ führen. Sie wollten von Beginn an Frauen wachrütteln und sich mit Lesungen und Diskussionen öffentlich bemerkbar machen. Wenn der eine oder andere männliche Gast auf diese Weise sein patriarchales Ego verlieren würde, umso besser….

Zu gleichen Zeit, als für die „Frauenfrage“ im Marsilstein in Köln endlich Räumlichkeiten gefunden waren, traf sich in Berlin zu den berühmten Mittwochsplenen der soeben gegründete „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“. Die neue, autonome Frauenbewegung dämmerte am Horizont der 68er Republik. Als sie sich wenig später auch in Köln bemerkbar machte, schufen die jungen Feministinnen der ersten Stunde ihr eigenes Programm. Die Frauenfrage wurde neu entdeckt. Sehr radikal und, zumindest für Ma Braungart und ihren emanzipierten Gefährtinnen aus den 50er Jahren, ziemlich unkultiviert.

Die Wege kreuzten sich kaum; das „Frauencenter George Sand“ war keine feministische Adresse. Dass es beiden Gruppierungen im Grunde um die gleichen Fragen ging, wurde nicht wahrgenommen. Ein Missverständnis, dass bis heute andauert.

Autorin: Carolina Brauckmann


[1] Alle Zitate stammen aus einem Interview von Carolina Brauckmann und Sully Roecken mit Ma Braungart am 25.8.1994

Quellen

10 Uhr pünktlich Gürzenich. 100 Jahre bewegte Frauen in Köln – zur Geschichte der Organisationen und Vereine. Hrsg. Kölner Frauengeschichtsverein, 1995