Alle haben schreckliche Angst vor diesem jungen, im Tiefsten unsicheren und scheuen Geschöpf, weil sie im Grunde nicht den Worten, sondern den Gedanken der Menschen lauscht und es sehr unheimlich ist, auf seine Gedanken statt auf seine Worte Antworten zu bekommen, zumal von einer Humoristin.

Arnold Strauss über Irmgard Keun (1934)

Als Tochter wohlhabender, liberal gesinnter Eltern in Berlin geboren, verbrachte Irmgard Keun den größten Teil ihrer Kindheit nach dem Umzug der Familie 1913 in Köln-Braunsfeld. 1921 schloss sie ihre Schulausbildung am Evangelischen Lyzeum Teschner, einer höheren Schule für Mädchen, ab und besuchte anschließend eine Handelsschule im Harz und arbeitete kurzzeitig als Stenotypistin. Von 1925 bis 1927 besuchte sie die Schauspielschule in Köln.

Portrait Irmgard Keun, 1955
Portrait Irmgard Keun, 1955
© HAStK-Peter Fischer

Nach einer kurzen Laufbahn als Schauspielerin wurde Keun fast über Nacht bekannt durch ihren ersten Roman „Gilgi, eine von uns“ (1931), der in einem Jahr eine Auflage von 30.000 erreichte. Fast ebenso erfolgreich war „Das kunstseidene Mädchen“ (1932), welches 2003 vom Literaturhaus Köln und dem Kölner Stadtanzeiger als erstes Buch zum „Buch für die Stadt“ gekürt wurde.

Beide Romane handeln von jungen Frauen, die über ihre kleinbürgerlichen Ursprünge hinaussehen, sich im Geiste der „Neuen Frau“ behaupten und unabhängig leben wollen, obgleich das, gerade in der späten Weimarer Zeit, als durchaus schwierig und problematisch geschildert wird. 1933 sowie 1934 wurden Keuns Bücher im nationalsozialistischen Deutschland als „Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz“ auf die Schwarze Liste gesetzt. Als sie deshalb beim Landgericht in Berlin auf Schadensersatz klagte, musste sie sich aus diesem Grund Verhören der Kölner Gestapo stellen. 1936 wurde ihr Antrag auf Schadensersatz endgültig abgelehnt. Am Kölner Mahnmal für die „verbrannten Dichter“ vor der heutigen TH sind deren Namen in die Steine auf dem Vorplatz eingemeißelt worden. Auch den Namen von Irmgard Keun finden wir hier.

Keun emigrierte deshalb 1936 nach Ostende, Belgien, während ihr heimlicher Geliebter, der jüdische Arzt Arnold Strauss, in Amerika auf sie wartete. Ihr 27 Jahre älterer Ehemann Johannes Tralow, mit dem sie von 1932 bis 1937 verheiratet war, blieb in Deutschland zurück. In Ostende lernte sie den österreichischen Schriftsteller und Journalisten Moses Joseph Roth kennen, mit dem sie bis zum Frühjahr 1938 eine Liebesbeziehung hatte und mit dem sie quer durch Europa reiste, beide unter ständigem Druck wegen Geld oder Visa. In dieser schwierigen Zeit verfasste sie trotzdem drei Romane, in denen sie ihre Erlebnisse in Nazi-Deutschland („Nach Mitternacht“, 1937) beziehungsweise im Exil („D-Zug dritter Klasse“, „Kind aller Länder“, 1938) verarbeitete. Nach der Trennung von Roth besuchte Keun Arnold Strauss in Virginia Beach in den USA. Der Versuch in die USA einzuwandern scheiterte jedoch und sie kehrte nach Amsterdam zurück. Beim Einmarsch der Deutschen in Amsterdam 1940 war Keun ohne Pass und ohne Geld. Sie konnte sich retten, indem sie einen SS-Offizier überredete, ihr einen falschen Pass zu besorgen, mit dem sie wieder nach Deutschland reisen konnte. In Köln lebte sie dann bis zum Kriegsende illegal und anonym als Charlotte Tralow im Haus ihrer Eltern in der Eupener Straße 19 in Köln-Braunsfeld. Eine Meldung in der britischen Tageszeitung The Daily Telegraph, Keun hätte Selbstmord begangen, half bei der Geheimhaltung ihrer Identität.

Portrait Irmgard Keun, 1981
Irmgard Keun, 1981
© Martina Keun-Geburtig

Nach dem Krieg versuchte Keun mit Feuilletons und mit einem Roman („Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen“, 1950) als Schriftstellerin wieder Fuß zu fassen. Die 1936 im Ausland erschienene Erzählung über ein im ersten Weltkrieg heranwachsendes aufsässig-scharfsinniges junges Mädchen („Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften“) fand in der Radio-Bearbeitung großen Widerhall, aber sonst gelang Keun in der konservativen Nachkriegsära das Comeback trotz weiterer Veröffentlichungen („Scherzartikel“, 1951; „Wenn wir alle gut wären“, 1954; „Blühende Neurosen“, 1962) nicht. Allmählich verstummte sie. 1951 gebar sie ihre Tochter:

Die Geburt meiner kleinen Tochter Martina Charlotte zeige ich hocherfreut an.

Irmgard Keun

So die Schriftstellerin in einer Annonce am 14. Juni 1951 im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Ein Vater wurde nicht genannt, eine Provokation im engen Nachkriegsdeutschland. Keuns Alkoholprobleme führten zwei Mal zu Aufenthalten in der Psychiatrie im Landeskrankenhaus Bonn. Nach der Entlassung 1972 bewohnte sie dann in der Kölner Südstadt bis zu ihrem Tod eine kleine Wohnung im Haus Baden in der Trajanstraße 10.

1979 veröffentlichte der Claassen-Verlag nach der unerwarteten Wiederentdeckung ihrer Werke eine Neuauflage ihrer Romane. Dieser späte Erfolg verbesserte auch ihre finanzielle Situation. 1981 erhielt Keun den ersten Marie-Luise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt. 1991 stiftete die Gemeinschaft Kölner Buchhändler die von Marieluise Schmitz-Helbig gestaltete Figur von Irmgard Keun auf dem Südflügel des Kölner Ratsturms. Am 5. Mai 1982 starb Keun an den Folgen ihrer Lungenkrebserkrankung. Ihr Grab befindet sich auf dem Melaten-Friedhof in Köln (Flur 12 in G).

Werke

  • Gilgi, eine von uns. Roman, 1931
  • Das kunstseidene Mädchen. Roman, 1932
  • Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften. Roman, 1936
  • Nach Mitternacht. Roman, 1937
  • D-Zug dritter Klasse. Roman, 1938
  • Kind aller Länder. Roman, 1938
  • Bilder und Gedichte aus der Emigration, 1947
  • Nur noch Frauen…., 1949
  • Ich lebe in einem wilden Wirbel. Briefe an Arnold Strauss, 1933–1947
  • Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen. Roman, 1950
  • Scherzartikel, 1951
  • Wenn wir alle gut wären. Kleine Begebenheiten, Erinnerungen und Geschichten, 1954
  • Blühende Neurosen. Flimmerkisten-Blüten, 1962

Autorin: Susanne Zickler