Ihrer Heimatstadt Köln blieb Rosemarie Ellscheid ein Leben lang verbunden. Hier wuchs sie auf, absolvierte als einer der wenigen Frauen ein Studium der Soziologie und Volkswirtschaft und arbeitete viele Jahre lang in führenden Positionen beim Kölner Arbeitsamt. Nach 1945 übernahm sie in der kriegszerstörten Stadt eine andere wichtige Aufgabe: Als Dezernentin des Kölner Regierungspräsidenten war sie für die dringend benötigte Beschaffung von Wohnraum zuständig, wobei ihr Schwerpunkt auf obdachlosen alleinstehenden Frauen lag.
Rosa Maria, genannt Rosemarie Ellscheid, geboren am 18. März 1896 in Köln, wuchs zusammen mit sechs Geschwistern in einem katholisch geprägten Milieu auf, wobei der Vater als Rektor eine katholische Volksschule leitete. Passenderweise blickte man von der Wohnung, in der die Familie lebte, direkt auf die Severinskirche. Entscheidend für Rosemaries späteren Lebensweg war auch ihre Klassenlehrerin in der Kaiserin-Augusta-Schule: die katholische Frauenrechtlerin Helene Weber (1881-1962), die später zu den „vier Müttern des Grundgesetzes“ gehörte. Sie war es, die den Blick ihrer heranwachsenden Schülerinnen auch auf die Frauenfrage sowie die sozialen Probleme der Zeit lenkte und sie aufforderte, zur Lösung beizutragen.
Gleichwohl wechselte Rosemarie auf die Königin-Luise-Schule, wo sie 1916 – mitten im Ersten Weltkrieg – ihr Abitur machte. Doch Helene Webers Worte hatte sie nicht vergessen. Daher begann sie im April 1918 mit dem Studium der Soziologie und Volkswirtschaft, bei dem Frauen damals eine kleine Minderheit bildeten. Im Januar 1923 schrieb sie ihre Dissertation zum Thema „Die Frau in den deutschen Arbeiterberufsvereinen“.
Die beruflichen Anfänge von Dr. Rosemarie Ellscheid fielen in die schwierige Phase der Weimarer Republik mit hoher Arbeitslosigkeit und galoppierender Inflation. Sie erhielt zunächst nur eine schlecht bezahlte Stellung beim Kölner Arbeitsamt, stieg aber schon bald zur Leiterin der Vermittlungs- und Unterstützungsstelle für weibliche Arbeitssuchende in Köln-Mülheim auf. 1932 wechselte sie zum Landesarbeitsamt Rheinland.
Dort kam es im Jahr darauf zu einschneidenden Veränderungen. Nachdem die Nationalsozialisten die Absetzung des Präsidenten erzwungen hatten, wurde er durch verschiedene SA-Männer ersetzt, die von den Angestellten den Hitler-Gruß verlangten. Das brachte die überzeugte Katholikin Rosemarie Ellscheid in einen Gewissenskonflikt. Doch wollte sie ihre Stellung nicht verlieren, musste sie sich wohl oder übel fügen. In ihren Erinnerungen berichtet sie über ein Gespräch mit ihrer früheren Lehrerin Helene Weber, die bei der Zentrumspartei politische Karriere gemacht hatte. Die habe ihr gesagt: „Sie dürfen ruhig mit ´Heil Hitler´grüßen, wenn Sie die Betonung auf das Wort ´Heil´ legen, weil man sich doch nichts besseres wünschen kann, als dass dieser Mann von seinem Wahnsinn geheilt werde.“ Gleichwohl musste Rosemarie Ellscheid, die seit 1939 wieder beim Kölner Arbeitsamt tätig war, stets auf der Hut sein und jedes Wort auf die Goldwaage legen.
Dann folgte der Zweite Weltkrieg. Es fiel Rosemarie Ellscheid nicht leicht, sich von ihrer Familie zu trennen. Doch Eltern und Geschwister zogen es vor, Köln sicherheitshalber zu verlassen. Sie selbst blieb mit ihrer Schwester Clotilde da, um, wie sie selbst sagte, „ein Stück Heimat für unsere Familie zu retten“. Neuer Schwerpunkt ihrer Arbeit war jetzt die Vermittlung russischer Zwangsarbeiterinnen.
Unterdessen nahm der Bombenkrieg immer größere Ausmaße an. Von 770 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die 1939 in Köln lebten, hatten die meisten die Stadt verlassen. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation NS-Deutschlands.
Wie in anderen Großstädten war auch die Situation in Köln katastrophal. Rund neunzig Prozent der Innenstadt waren zerstört und man weiß bis heute nicht genau, wie viele Menschen in der Trümmerwüste lebten. Linksrheinisch schätzt man zwischen 10 000 und 40 000, rechtsrheinisch 30 000 bis 60 000. Es fehlte an allem, an fließendem Wasser, Heizmaterial und Lebensmitteln. Auch Rosemarie Ellscheids Elternhaus im Severins Viertel war den Bomben zum Opfer gefallen. Sie selbst hatte den Krieg jedoch unversehrt überstanden. Im Rückblick schreibt sie:
„Nach dem Zweiten Weltkrieg war in unserer zerstörten …Stadt natürlich zunächst Wichtigeres zu tun als an die Wiederbelebung von Frauenverbänden zu denken. Außerdem hatte die Besatzungsmacht ein allgemeines Vereinsverbot erlassen… Die wenigen in Köln verbliebenen Frauen der alten Frauenverbände nahmen schnell wieder persönlichen Kontakt mit anderen Frauen und außerdem zu den Frauen der Besatzungsmächte auf. Es bildeten sich wieder kleine Zusammenschlüsse.“
An ihre berufliche Karriere konnte Ellscheid problemlos wieder anknüpfen. Als leitende Beamtin wurde sie erst zur Ministerialrätin, 1950 zur Oberregierungsrätin ernannt und war als Dezernentin des Kölner Regierungspräsidenten im Bereich Sozialwesen vor allem mit der Rückführung der evakuierten Bevölkerung befasst. Die brauchten nichts so nötig wie ein Dach über dem Kopf. Ganz wichtig war dabei die Versorgung alter Menschen, aber auch alleinstehender obdachloser Frauen, die in Notunterkünften lebten. Sofort nach Kriegsende wurde begonnen, zerstörte oder beschädigte Wohnungen wieder aufzubauen, durchaus erfolgreich, trotz aller Schwierigkeiten. Hatte es bei Kriegsende lediglich 19 390 Wohnungen gegeben, waren es 1946 bereits mehr als 110 000.
Seit 1948 beteiligte sich Rosemarie Ellscheid an der Planung von „Haus Luise“, einem Wohnprojekt für alleinstehende Frauen, initiiert von ehemaligen Schülerinnen der Königin-Luise-Schule. 1953 erfolgte die feierliche Eröffnung: „In dieser Situation war es wohl außergewöhnlich und einmalig, dass in Köln-Lindenthal, Uhlandstr. 21-23, durch private Initiative ein architektonisch schönes und für die damaligen Verhältnisse als ´luxuriös´ zu bezeichnendes Haus mit abgeschlossenen Kleinwohnungen, Balkonen, Dach- und Vorgarten sowie einem intimen Gärtchen hinter dem Gebäude für alleinstehende Frauen entstehen konnte.“
Nachdem Annemarie Ellscheid im Mai 1961 – ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse – in den Ruhestand eingetreten war, blieb sie weiterhin ehrenamtlich tätig. So engagierte sie sich im Landesbeirat für Vertriebene und Flüchtlinge sowie im Deutschen Frauenring Köln, den sie 1947 mitgegründet hatte. Ziele waren u.a. die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Frauen. Von 1961 bis 1977 war Rosemarie Ellscheid 1. Vorsitzende und verfasste 1983 die Schrift „Der Stadtverband Kölner Frauenvereine. Ein Kapitel Frauenbewegung und Zeitgeschichte“.
Kurz nach ihrem 100. Geburtstag starb Rosemarie Ellscheid am 13. Juni 1996 und fand auf dem Kölner Südfriedhof ihre letzte Ruhestätte.
Karin Feuerstein-Prasser
Quellen:
- Rosemarie Ellscheid, Erinnerungen von 1896-1987, Hg. Werner Schäfke, Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, Köln 1988.
- Rosemarie Ellscheid: Der Stadtverband Kölner Frauenvereine. Ein Kapitel Frauenbewegung und Zeitgeschichte von 1909 – 1933. Köln 1983.
- Irene Franken: Frauen in Köln. Der historische Stadtführer. Köln 2008.