Es ist durchaus anzunehmen, dass sich die ältere Ehrenfelder Bevölkerung noch an Regina Bruce erinnern kann. In den 1960er Jahren wird sie in dem alten Kölner Arbeiterviertel als schwarze Frau sicherlich eine auffallende Erscheinung gewesen sein. Wer mit ihr ins Gespräch kam und aufgrund eigener Vorurteile Sprachschwierigkeiten erwartete, wurde überrascht, denn ihr Deutsch war perfekt und völlig akzentfrei. Kein Wunder, denn sie kam in Deutschland zur Welt und hat hier bis zu ihrem 26. Lebensjahr gelebt.

Ihr ungewöhnlicher Lebensweg begann am 12. Dezember 1900 in Elberfeld, heute ein Stadtteil Wuppertals. Dabei stammten ihre Eltern aus Togo, seit 1884 deutsche Kolonie. Vater Nayo Bruce, der zur gesellschaftlichen Elite des Landes gehörte, hatte als Heranwachsender eine Schule der Bremer Mission besucht, einem evangelischen Missionswerk, das sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf das Siedlungsgebiet der westafrikanischen Ethnie der Ewe konzentrierte. Hier lernte er die deutsche Sprache und arbeitete später als Dolmetscher für die Kolonialverwaltung.

Die Sieben auf der „Wadai“, sitzend Anni Bruce, Regina Bruce und Lisa Bruce vor ihrer Überfahrt in den Togo  am 31.10.1926
© Staatsarchiv Bremen

1896 erhielt er das fragwürdige Angebot, anlässlich der ersten Deutschen Kolonialausstellung in Berlin als Darsteller an einer der damals populären „Völkerschauen“ teilzunehmen. Hier wurden Menschen aus fremden Kulturen, die man als „exotisch“ empfand, in ihrem vorgeblich „natürlichen Lebensraum“ zur Schau gestellt. Nayo Bruce scheint damit allerdings kein Problem gehabt zu haben, denn er reiste nach Deutschland, trat bei den Völkerschauen auf – und entdeckte sie für sich selbst als lukratives Geschäftsmodell. 1898 gründete er als Show-Unternehmer seine eigene „Togo-Truppe“ und tingelte zusammen mit vierzig Landsleuten jahrelang quer durch Europa. Im Dezember 1900 gastierte das Ensemble in Elberfeld, wo auch die kleine Regina geboren wurde. Ihre Mutter Dassi war eine der vier Ehefrauen von Nayo Bruce. Wenngleich evangelisch getauft, hielt er doch an den Sitten und Bräuchen seines Heimatlandes fest.

Für die Kinder – Regina hatte noch mehrere (Halb-)Geschwister -, war das unstete Schaustellerleben allerdings nicht gerade förderlich. Bei einem Aufenthalt in Warnemünde 1904    vermittelte die Bremer Mission den Kontakt zur Familie von Baron George von Fircks aus einem alten baltischen Adelsgeschlecht. Sie war gerne bereit, Regina und ihren Halbbruder Pietro bei sich aufzunehmen und ihnen eine gute Ausbildung zukommen zu lassen. Ursprünglich war nur ein Aufenthalt von wenigen Jahren geplant, dann wollte Nayo Bruce die Kinder wieder abholen und mit seiner Familie nach Togo zurückkehren. Doch daraus wurde nichts, denn bis zu seinem Tod 1919 zog er mit seiner Truppe durch Europa.

So wuchs Regina in Warnemünde auf, besuchte die höhere Töchterschule, machte eine Ausbildung bei den Diakonissen und übernahm mit nur zwanzig Jahren zusammen mit ihrer Freundin Hanna die Leitung des evangelischen Kinderheims Sonnenschein in Groß-Bostel bei Hamburg. Vermutlich war sie mit ihrem Leben ganz zufrieden und wäre gerne in Deutschland geblieben. Aber 1926 hatte die Bremer Mission andere Pläne: Regina sollte nach Togo gehen und ein Mädchenschulheim in Lomé leiten, selbst wenn sie das Land überhaupt nicht kannte und weder die Landessprache Ewe noch französisch beherrschte.

Längst war Togo keine deutsche Kolonie mehr. Schon kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde das Land von Großbritannien und Frankreich besetzt, die Togo nach Kriegsende unter sich aufteilten. Den Osten erhielt Frankreich. Zwar begrüßten die Franzosen durchaus, dass die christliche Missionsarbeit fortgesetzt wurde, aber sie wollten keine weißen deutschen Missionar*innen ins Land lassen. Als nun die Leitung der Mädchenschule in Lomé besetzt werden sollte, war guter Rat teuer, denn die Bremer Mission hatte im gesamten Gebiet der Ewe nie afrikanische Lehrerinnen ausgebildet. Und so wurde Regina Bruce mit dieser Aufgabe betraut. Sie sollte neunzig Schülerinnen unterrichten und fünfzig Kinder im Vorschulalter betreuen, eine völlige Überforderung. Trost fand Regina in der Freundschaft zu Jonathan Savi de Tové, aus der schließlich eine Liebesbeziehung wurde. Als feststand, dass Regina ein Kind von einem verheirateten Mann erwartete, wurde sie unverzüglich entlassen. Savi de Tové ließ sich scheiden und heiratete Regina.  Am 29. September 1928 kam Tochter Fernanda zur Welt, es folgten noch vier weitere Kinder. Der 1939 geborene jüngste Sohn Jean Lucien wurde Politiker und war von 2005 bis 2007 Minister für Handel und Handwerk der Republik Togo.

Allerdings musste Regina die Kinder weitgehend allein großziehen, denn auch ihr Mann hatte sich der Politik verschrieben und engagierte sich in der Unabhängigkeitsbewegung Togos, bis dieses Ziel 1960 endlich erreicht war. Zwischen 1961 und 1963 vertrat Jonathan Savi de Tové sein Land als Botschafter in Bonn, sodass auch auf Regina neue repräsentative Pflichten zukamen.

Kaum waren sie nach Togo zurückgekehrt, als es zum Putsch einer Söldnertruppe kam, der erste unabhängige Präsident ermordet und der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Das Ehepaar Savi de Tové musste außer Landes fliehen und fand Asyl in Deutschland. So landeten die beiden in Köln-Ehrenfeld, wo sie eine Wohnung am Neptunplatz bezogen.

Während Jonathan eine Anstellung als Ewe-Lektor an der Universität Köln erhielt, engagierte Regina sich beim Roten Kreuz von Togo und wurde schließlich zu dessen Präsidentin ernannt. In dieser Funktion gehörte sie auch zu den Ehrengästen, als Bundespräsident Heinrich Lübke und seine Frau Wilhelmine im März 1966 zu einem Staatsbesuch nach Lomé kamen.

Als sich die Situation in Togo wieder entspannt hatte, kehrten Regina und Jonathan 1968 zurück nach Lomé. Nach dem Tod ihres Mannes drei Jahre später blieb Regina auch weiterhin karitativ tätig, bis sie 21. September 1991 im hohen Alter von 90 Jahren verstarb.

Karin Feuerstein Prasser