
Der Rom e. V., seit seiner Gründung im Herbst 1988 Verein zur Verständigung zwischen Roma und Nicht-Roma, hat sich von einem Verein, der Hilfen für Geflüchtete bei ihrem langen Weg zu Bleiberecht und Integration organisiert und durchgeführt hat, heute zu einer Roma-Selbstorganisation entwickelt, die Empowerment, Wahrung der Identität und Teilhabe in den Fokus gerückt hat.
Dieses neue Selbstverständnis wird auch im Untertitel deutlich.
Rom e. V. – Roma-Selbstorganisation für Teilhabe, Bildung und Kultur
Die Frauen haben im Rom e. V. immer eine große Rolle gespielt. In der Anfangszeit waren sie es, die mit zu den Ämtern gegangen sind, die mit den Politiker:innen diskutiert und ihre Kinder in die Schulen geschickt haben, trotz aller Ängste und Vorbehalte.
Sehr viele Familien wurden dennoch abgeschoben. Von denen, die bleiben konnten, gelang es nur wenigen, sich angesichts der Hürden (vor allem Kettenduldungen u. a.) eine Existenz aufzubauen. Daher sind kaum noch Roma-Frauen der „ersten Stunde“ in der Stadt und mit dem Verein verbunden. Es gibt sie aber und sie werden, gemeinsam mit Frauen, die über Jahrzehnte ehrenamtliche Arbeit im Verein leisten, aufgenommen in den Frauenstadtplan.
Weitere Informationen: https://www.romev.de/

Marmure Musullu
Autorin: Marmure Musullu
„Ich bin eine starke Frau, ich bin immer noch eine starke Frau!“, sagt Marmure in dem Film Djelem, Djelem1.
Und das ist sie.
Als junges Mädchen, als alleinerziehende Mutter und auch als alte Frau kämpfte sie um Bleiberecht und Arbeitserlaubnis, um Gleichberechtigung, um Teilhabe in einer Gesellschaft, die sie als Frau und Romni mit Migrationshintergrund immer mit Ablehnung und Misstrauen betrachtet hat. Sie war unerwünscht und als billige Arbeitskraft stets nur geduldet in Deutschland.
Mit viel Mut und Kraft selbstbewusst und sehr pragmatisch ist sie den Anforderungen, die eine fremde Gesellschaft an sie und ihre Kinder gestellt hat, nachgekommen, um ihre Ziele zu erreichen.
Marmure hat ihre traditionellen Pflichten ihrer Familie gegenüber erfüllt und sagt heute: „Jetzt konnte ich auch ein Kopftuch tragen und es war nicht mehr wichtig, ob ich auch noch deswegen auffiel.“
Die längst erwachsenen Kinder, Enkel:innen und Urenkel:innen leben und arbeiten in Deutschland und haben deutsche Pässe. Sie selbst hat immerhin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die ihr ein Gefühl von Sicherheit gibt.
Nach ihren vielen politischen Kämpfen um die Rechte ihrer Minderheit findet Marmure inzwischen als Romni, Migrantin und gläubige Muslima ihre Identität und Erfüllung. Sie lebt von einer kleinen Rente in Köln, umgeben von ihrer Familie und ist immer noch bereit, gegen Diskriminierung und für Gerechtigkeit und Teilhabe aufzustehen.
1 Djelem Djelem
Dokumentarfilm, 2022, Rom e.V. in Kooperation mit Romane Romnja.
10 Rom:nja und Sinti:ze der zweiten und dritten Generation nach dem Samudaripen
erzählen ihre Geschichte und das Leben „danach“.

Nada Nikolowska
Autorin: Nada Nikolowska
„Kannst mir glauben.
Sie hat mit den Blumen gesprochen.
Machte alle glücklich.“
(Nada über ihre Mutter)
Nada wurde 1972 in Italien geboren. Die Familie lebte auf verschiedenen Campingplätzen in Rom, Mailand, Neapel und auf Sizilien.
1988 kam die Familie nach Köln, auf der Flucht vor den italienischen Behörden, die die Roma mit brutalen Aktionen von ihren Plätzen vertrieben hatten.
1989 starb ihr Vater bei einem Autounfall. Damit verlor die Kleinfamilie ihren Schutz.
Nada wurde nach einem kurzen Intermezzo an einer Kölner Hauptschule von der Familie nach Italien geschickt. 1999 kam sie zurück nach Köln.
Seitdem kämpft sie für sich, ihren Partner und ihre fünf Kinder um einen sicheren Aufenthalt in Deutschland.
Sie sorgte dafür, dass ihre fünf Kinder die Schule besuchten und eine Ausbildung anstrebten. Inzwischen arbeiten alle und sorgen selbstständig für ihren Unterhalt.
Sie selbst arbeitet seit vielen Jahren als Köchin im Rom e. V.
Nadas große Leistung ist ihre Fähigkeit, unbeirrt um ihre Rechte und die Rechte ihrer Familie zu kämpfen und dabei einerseits die Traditionen und die Kultur ihrer Herkunft zu wahren und an ihre Kinder und Enkel:innen weiterzugeben und sie andererseits dabei zu unterstützen, ihren Weg in die Gesellschaft zu finden. Heute lernt Nada wieder lesen und schreiben und Deutsch für ihren deutschen Pass. Das ist ihr nächstes persönliches Ziel.

Alisa Ehlert-Memeti
Autorin: Alisa Ehlert-Memeti
Ich wurde 1972 in Debar, (heute Nordmazedonien), geboren. Dort bin ich aufgewachsen, habe studiert und gearbeitet. Ich bin Mutter von zwei Söhnen, die heute ebenfalls in Deutschland leben. Es erfüllt mich mit großer Freude, dass meine Familie nun bei mir ist.
Der Grund für meine Ausreise nach Deutschland war die Diskriminierung, die ich als Romni erlebt habe – auch meine Söhne waren davon betroffen. Wir mussten unsere Identität häufig verbergen, um akzeptiert zu werden – besonders in Bereichen wie Arbeit und Bildung. Ich konnte nicht genug verdienen, um meinen Söhnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Immer wieder wurde ich mit der verletzenden rassistischen Fremdbezeichnung beschimpft, was mir große Angst machte.
Das Leben in Mazedonien war hart – doch auch die Ankunft in Deutschland im Jahr 2015 war schwer. Ich konnte kein Deutsch und musste mich im neuen Alltag zurechtfinden. Nach zehn Monaten fand ich eine Arbeit im Studentenwohnheim – als Helferin in der Waschküche, in der Reinigung und als Servicekraft in der Küche und hoffte auf eine Arbeitserlaubnis, die ich für ein Jahr bekam. Ich war sehr erleichtert, denn nun konnte ich meine Söhne finanziell bei ihrem Studium in Mazedonien unterstützen.
Die erste Zeit war sehr schwer für mich, da ich ohne meine Familie hier war. Unterstützung fand ich im Allerweltshaus, vor allem bei rechtlichen Fragen zu meinem Aufenthalt. Als ich die deutsche Sprache besser beherrschte, bewarb ich mich beim Rom e.V. um eine Stelle als Schulmediatorin, Assistentin, Helferin und Übersetzerin. Bis heute arbeite ich dort. Diese Tätigkeit gibt mir viel Motivation. Ich möchte meine Erfahrungen mit anderen Roma-Frauen teilen und sie dabei unterstützen, ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Nachdem ich die Stelle angetreten hatte, absolvierte ich auch eine Schulung zur Elternbegleiterin, um professioneller zu werden. Ich liebe meine Arbeit, weil ich sehe, dass die Kinder Erfolg haben. Zwei Mal pro Woche kommen sie zur Lerngruppe, machen dort ihre Hausaufgaben und lernen gemeinsam. Jeden Vormittag in der Schule unterstütze und motiviere ich die Kinder und höre ihnen zu.

Sabina Xhemajli
Autorin: Sabina Xhemajli
1976 wurde ich in Siegen in einer Rom:nja-Familie geboren, die mir viel über Zusammenhalt, Stolz und das Miteinander, aber auch das Kämpfen und Nicht- Aufgeben beigebracht hat. Schon als Kind habe ich gespürt, dass wir nicht dazu gehören. Unsere Eltern haben uns eingeprägt, niemandem von unserer Rom:nja-Zugehörigkeit zu erzählen.
Mir war sehr früh bewusst, dass ich mein eigenes Leben nach meinen Vorstellungen leben wollte. Etwas von dem “Deutsch-Sein“ und etwas von dem „Romni-Sein“.
Ich wusste, wenn ich frei sein will, muss ich einen Beruf wählen, der mir Freude bereitet. Meine Eltern haben hart und viel gearbeitet. Beide sind immer erschöpft von der Arbeit nach Hause gekommen. Das hat mir sehr leidgetan und mich in meiner Entscheidung bestärkt. Und ich wollte unbedingt allein leben!
Mit 18 bin ich nach Köln gezogen. Hier habe ich dann meine Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin gemacht. Ich wollte mit jungen Menschen arbeiten, vor allem mit Mädchen. Bisher hatte ich noch nie eine Frau mit Migrationshintergrund in einer Vorbildfunktion erlebt. Also wollte ich selbst Vorbild sein, die begleiten, die wie ich zwischen Welten aufwachsen.
Mit 19 Jahren habe ich den Rom e.V. kennengelernt. Ich war oft dort, um mit meiner Community zusammen zu sein und Romanes zu sprechen. Hier habe ich zum ersten Mal Bücher über meine Community gesehen und mich mit meiner Herkunft auseinandergesetzt. Mir war nicht bewusst, wie verfolgt und diskriminiert meine Community schon immer war.
Von da an waren mein politisches Interesse und mein Kampfgeist geweckt. Ich wurde sichtbar.
Die Geburt meines zweiten Kindes, war ein einschneidendes Erlebnis. Mein Sohn wurde mit einem sehr seltenen Gendefekt geboren. Das Leben mit einem Kind mit Behinderung erforderte meine gesamte Aufmerksamkeit, und so war ich für einige Jahre in Vollzeit Mutter und Pflegerin. Ich habe sehr viel durch die Erkrankung gelernt und bin nun auch Expertin für mein Kind und sein kompliziertes Krankheitsbild. Wichtig war mir immer, meinen älteren Sohn, der bei der Geburt seines Bruders erst 5 Jahre alt war, nicht aus den Augen zu verlieren.
Später habe ich an einer Schule mit Kindern gearbeitet, die stark waren, obwohl ihnen kaum jemand etwas zutraute, sowie mit Familien, die mit Systemen kämpften, die ihnen fremd und oft feindlich gegenüberstanden. Und immer wieder Diskriminierung – offen oder versteckt. Ich wusste, wie sich das anfühlt, denn ich hatte es selbst erlebt.
Heute arbeite ich als Sozialberaterin im Rom e.V. Dort berate ich Menschen aus der Roma-Community.
Ich verstehe mich nicht nur als Sozialberaterin, sondern auch als Aktivistin. Ich glaube, dass wir Rom:nja sichtbar sein müssen als Gestalterinnen und Vorbilder. Ich versuche, andere Frauen zu ermutigen, sich zu zeigen, mit ihrer Sprache, ihrer Geschichte, ihrer Kraft.
Ich wünsche mir, dass die nächste Generation der Rom:nja mit mehr Selbstverständlichkeit aufwächst, denn wir sind die größte europäische Community, wir sind Europäer:innen.

Simone Treis
Autorin: Simone Treis
Im Sozialarbeitsstudium habe ich tolle Roma-Kinder kennengelernt und die politische Arbeit im Rom e.V. war für mich die logische Schlussfolgerung: Es sollte sich grundsätzlich was ändern, vor allem im Hinblick auf das Bleiberecht der Roma.
Mittwochs abends ab 20 Uhr Roma-Initiative in der Bobstraße – stundenlange Diskussionen über politische Aktionen, anschließend mit allen in die Kneipe „Bei Jacqueline“ schräg gegenüber, die Diskussionen gingen weiter bei Pommes, Kölsch und Apfelschorle: Besetzungen, Demos, Aktionen – alles wurde besprochen, geplant und das meiste auch durchgeführt. Es war lebendig, toll, nervig, inklusive heftigen Streitereien.
Ein großer Streit führte dazu, dass ich mich vom Rom e.V. zurück zog. Als ich nach Jahren gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, für den Vorstand zu kandidieren, habe ich zugestimmt. Jetzt bin ich seit vielen Jahren im Vorstand mit tollen Kolleg:innen. Es ist manchmal schwierig zu sehen, dass es immer noch kein Bleiberecht für Roma gibt…die Arbeit im Vorstand war dennoch gut im Hinblick auf die Entwicklung des Vereins mit seinen zahlreichen Projekten! Und die Hoffnung stirbt zuletzt: Irgendwann wird es das geben: Das Bleiberecht für Roma!

Doris Schmitz
Autorin: Doris Schmitz
1948 wurde ich in eine, trotz Aufbau und Neuanfang, dunkle Zeit geboren. Die jüngste Vergangenheit war undurchsichtig aber stets gegenwärtig und bedrohlich. Wir Nachgeborenen waren, wie so viele, umgeben von Lügen, Vertuschungen, Schweigen. Krieg und Zerstörung waren noch spür- und sichtbar. Gefühle von Wut, Trauer und Angst bezogen sich allerdings fast ausschließlich auf die Familie. Mögliche Verstrickungen wurden verschwiegen.
Man verwandte viel Energie darauf, die Erinnerungen “weg zu leben“.
Mein kleinbürgerliches Elternhaus lebte eingeschüchtert in einer immer noch sehr autoritären Gesellschaft und die Familie war der einzig sichere Ort. Die beiden Töchter waren zu bewahren vor möglichem Versagen, Überforderung, vor der Welt draußen. Die umgebende Gesellschaft lebte zunehmend befreit.
Nach und nach setzte ich die Bruchstücke zusammen, aus denen sich die Vergangenheit formierte und es wurde klar für mich – nie wieder. Die Würde des Menschen zu achten und zu bewahren, stand ja auch im Grundgesetz.
Der logische Weg führte mich zur Sozialen Arbeit nach dem Motto, hilf anderen und damit dir selbst. 1986 begegnete ich nicht zum ersten Mal Roma-Familien. 1988 gründeten wir den Rom e. V. Ich bin geblieben – bis heute. Denn es klappt ja nicht wirklich mit der Gleichheit und der Würde des Menschen.
Elisabeth Klesse
Kurzbiografie unter: Elisabeth Klesse | Kölner Frauen*Stadtplan
Literatur
https://archiv.romev.de Einleitungstext über den ROM e.V.
Gelem, gelem – wir gehen einen langen Weg – 30 Jahre ROM e.V., Hrsg. Klesse, Elisabeth und Schmitz, Doris, 2018, ISBN 9783000607035