Vorgeschichte, Anlass, Motivation
Angeregt von der Frauenbewegung, brachen in den 1980er Jahren Frauen aus dem engen Spektrum „weiblicher“ Berufe aus und stießen auf enorme Schwierigkeiten und Vorurteile. Die damalige Leiterin des bundesweit ersten Frauenamts Lie Selter nahm sich dieser Problematik an und gründete einen Stammtisch für Handwerkerinnen und interessierte Frauen.
Aus diesem Stammtisch heraus wurde der Verein Handwerkerinnenhaus Köln e. V. gegründet.
Die ersten Vorstandsfrauen: Pe-Rene Peulen (Schreiner*in), Jeannette-Michaela Goller-Schießel (Finanzberaterin) Monika Loeffel (Siebdruckerin).
1991 zog der Verein in den „Worringer Bahnhof“ in Nippes mit Büroräumen und einer Werkstatt.
Inhaltliche und organisatorische Entwicklung
Zunächst lag der Akzent der Arbeit im Handwerkerinnenhaus auf der Erwachsenenbildung. So werden 1991 bis heute im „Frauenkursprogramm“ Kurse für Frauen im handwerklich-kreativen Bereich angeboten – von Schrottschweißen über Möbelbau bis zu Reparaturen/Renovierung im Haushalt und vieles mehr.
1992 startete das Qualifizierungsprojekt „Frauen(t)räume“ für langzeitarbeitslose Handwerkerinnen, die – angestellt auf ABM-Basis – gemeinsam mit einer Tischlermeisterin durch Auftragsarbeiten für soziale Institutionen (zum Beispiel Kölner Frauenhäuser) ihre fachlichen Kompetenzen vertieften sowie zur Meisterinnenausbildung motiviert wurden, um verstärkt Frauenbetriebe zu gründen. Vereinzelt wurden erste handwerkliche Kurse für Mädchen in Kooperation mit Schulen angeboten.
1993 erfolgte dieAnerkennung als Träger der freien Jugendhilfe. Da die Nachfrage seitens der Schulen nach handwerklichen Mädchenkursen ständig stieg, setzte das Vorstandsteam (Henny Taraschewski, Frauke Mahr und Christiane Bäcker) 1998 den Bau eines Werkstattgebäudes mit 2 weiteren vollausgestatteten Werkstätten. Finanziert wurde der Bau durch das damalige Wirtschaftsministerium NRW, geplant von einer Architektin und fast ausschließlich gebaut von Handwerkerinnen auf ABM-Basis.
Im selben Jahr musste das Projekts „Frauen(t)räume“ wegen immer schlechterer ABM-Bedingungen eingestellt werden.
Mit der Entwicklung eines werkpädagogischen Konzepts gegen Schulmüdigkeit zur Stärkung des Selbstwertgefühls und der Lernmotivation von Schülerinnen wurde der Grundstein für die Mädchenarbeit gelegt, die im Lauf der Jahrzehnte immer mehr an Bedeutung gewann.
1998/99 startete das „Mädchenprojekt Zukunft“, dadurch wurde erstmals die Festanstellung von 2 Tischlerinnen und 2 Sozialpädagoginnen möglich.
Die Bausteine des werkpädagogischen „Mädchenprojekt Zukunft“ waren
- „Pfiffigunde-Prävention von Schulverweigerung “ (schulbegleitend) und
- „Kneifzange-Intervention bei Schulverweigerung“ (außerschulischer Lernort).
Das folgende Vorstandsteam (Andrea Braun, Christiane Lehmann und Lana Hellwig) prägte die Entwicklung des HWH über 16 Jahre entscheidend:
- Webseite,
- Flyer,
- Finanzierung,
- Lobbyarbeit und
- das 2005/6 gestartete „Holly Wood – Berufsorientierung für Mädchen in Handwerk und Technik“ (für Schülerinnen ab Klasse 5 mit einer breiten Palette an praktischen, informativen und begleitenden Angeboten für Mädchen)
trugen zur Etablierung des HWH bei.
Dazu wurde weiteres Personal angestellt: 4 Handwerkerinnen, 2 Sozialpädagoginnen und 1 Verwaltungskraft. Die stetige Erweiterung des Mädchenbereichs erforderte weiteren Raumbedarf – daher wurde vom Vorstandsteam 2009/10 die Aufstockung und der Anbau an die Mädchenwerkstatt umgesetzt, finanziert durch eine städtische Förderung aus dem „Konjunkturpaket II“.
Es entstand so unter anderem ein großer Unterrichtsraum für die Mädchen von der „Kneifzange“, ein Aufenthaltsraum für die Teilnehmerinnen aller Kursangebote, ein Beratungs- und Gruppenraum und ein Büro.
„Holly Wood“ wurde 2009 als 3.Baustein in das „Mädchenprojekt Zukunft“ integriert. Mit dem nun aus 3 Bausteinen bestehenden Mädchenprojekt Zukunft können Mädchen an den unterschiedlichsten Punkten ihrer Lebensbiografie wirkungsvoll erreicht und unterstützt werden.
2016 reagierte das HWH auf die gestiegenen Flüchtlingszahlen und startete zusätzlich das Projekt „Zukunft bauen“, ein Kursangebot für Mädchen mit Fluchtgeschichte.
Um Mädchen frühzeitig an Handwerk und Technik heranzuführen, bietet das HWH seit 2019 „Ich bau mir die Welt“ an, das sich an Grundschülerinnen richtet.
Strukturen und Organisation
Das HWH ist ein gemeinnütziger Verein, der sich im Lauf der Jahrzehnte von einer selbstverwalteten, basisdemokratischen Struktur mit ehrenamtlichen Vorstandsfrauen bis aktuell 2021 zu einer Organisationsstruktur mit einem hauptamtlichen, geschäftsführenden Vorstandsteam entwickelt hat.
Das auf 15 Mitarbeiterinnen angewachsene Team besteht aus Handwerkerinnen, Sozialpädagoginnen und Verwaltungsfrauen.
Finanzielle Situation, Fördermittel
Das HWH finanziert sich zum Teil aus öffentlichen Fördermitteln und ist jedes Jahr auf Stiftungsgelder und Spenden angewiesen.
Zusammenfassung der Bedeutung des Projekts
Heute ist das Handwerkerinnenhaus in Köln fest etabliert. Auf Grund des Alleinstellungsmerkmals bezüglich der Angebotspalette ist das Handwerkerinnenhaus mittlerweile stadt-, landes- und bundesweit bekannt.
Zehntausende von Mädchen* haben durch die vielfältigen Angebote an Selbstbewusstsein gewonnen, den Schulabschluss geschafft und einen Ausbildungsplatz gefunden. Sie konnten wirkungsvoll bei der Entwicklung einer selbstbestimmten Lebens- und Berufsplanung unterstützt werden und ihre Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe erhöht werden.
Lehrkräfte und andere Multiplikator*innen werden für eine gendergerechte Berufsorientierung jenseits von Geschlechterstereotypen sensibilisiert und geschult.
Durch die breite Lobbyarbeit und Vernetzung wird in Politik und Gesellschaft auf die Belange von Mädchen aufmerksam gemacht.
Zudem wird stetig ein Beitrag zum Abbau stereotypen Rollenerwartungen sowie von Vorurteilen gegenüber Frauen/Mädchen in (noch) männerdominierten Berufen geleistet.
Autorin: Christiane Lehmann
Zeitzeuginnen – Kölner Frauengeschichtsverein e.V.
Ein Interview mit Christiane Lehmann und Andrea Braun