Der Kölner Verein zur Weiterbildung von Frauen führt im November 1987 die bundesweite Interdisziplinäre Fachfrauentagung zum Thema „Sexueller Missbrauch von Mädchen und Frauen“ durch. Infolge der Tagung schließen sich in Köln und bundesweit Frauen zusammen, um ein Konzept für eine parteiliche Arbeit mit Mädchen und Frauen zu entwickeln, die sexuelle Gewalt erleben oder erlebt haben. Die Kölner Frauen nennen ihren Zusammenschluss „Mädchenhausinitiative“. Sie wollen ein Hilfeangebot aufbauen, das Information, Beratung, verschiedene Unterbringungsformen und Freizeit und Bildung für Mädchen umfasst.

Bemalte Wand des Mädchenzentrums I auf der Mülheimer Brücke.
© Frauke Mahr

Zentrale Personen in der Initiative sind Henny Taraschewski, Christa Schmitz, heute Jonas, und Ursula Hosch. Henny Taraschewski hat schon in anderen feministischen Gruppen gearbeitet und Projekte aufgebaut, wie zum Beispiel das Frauenferienhaus Zülpich und den Verein zur Weiterbildung, Christa Schmitz kommt aus der stationären Mädchenarbeit, und Ursula Hosch ist in der feministischen Erwachsenenbildung tätig. Sie eint das Engagement für Frauen und Mädchen, der Wille, gegen Gewalt und sexualisierte Gewalt zu kämpfen, das Wissen, dass auch strukturelle Benachteiligung überwunden werden muss und die Bereitschaft die Themen und Problemlagen reflektiert, differenziert und sehr tatkräftig anzugehen. Sie wollen Mädchen und jungen Frauen zu ihrem Recht verhelfen! Im Laufe von inzwischen mehr als 30 Jahren haben natürlich außer den hier genannten frühen Gründerinnen noch viel mehr Frauen mitgearbeitet, Themen gesetzt und die Entwicklung mitgestaltet.

Durch Kontakte (Pädagoginnen, Sozialarbeiterinnen, Psychotherapeutinnen, Juristinnen, Ärztinnen und Mitarbeiterinnen Kölner Ämter) vor Ort während und nach der Tagung werden schon kurze Zeit später Beratungsanfragen an die Initiatorinnen herangetragen. Obwohl es noch keine eigenen Räume und noch keine konkrete Struktur gibt, finden im April 1988 die ersten Beratungen statt.

Für die folgenden 12 Jahre bleibt das Thema Sexueller Missbrauch, oder richtiger sexualisierte Gewalt, der häufigste Anlass für Mädchen und junge Frauen Beratung anzufragen.

Die Frauen der Kölner Mädchenhausinitiative arbeiten auf der Grundlage von ABM-Stellen an der Konzeptentwicklung und dem Aufbau einer Angebotsstruktur für Mädchen mit sexueller Gewalterfahrung. Auch die Vernetzungsarbeit wird fortgesetzt und im Frühjahr 1989 schließen sich die Mädchenhausinitiativen in NRW zu einer Landesarbeitsgemeinschaft zusammen, um die Belange der Mädchenarbeit auf politischer und fachlicher Ebene voranzutreiben. Parallel leisten die Gründerinnen sowohl bei Politiker*innen als auch in der Fachöffentlichkeit viel Informations- und Überzeugungsarbeit für die Entwicklung und Einrichtung qualifizierter Hilfeangebote für Mädchen und junge Frauen in Krisensituationen und bei Vorliegen sexualisierter Gewalt.

Im Februar 1991 wird aus der Initiative ein eingetragener, gemeinnütziger Verein und anerkannter Freier Träger der Jugendhilfe. Den Vorstand bilden Dr. Inge von Bönninghausen, Journalistin, Brigitte Waltemade, Diplom Psychologin und Rita Seppelfricke, Rechtsanwältin. Im gleichen Jahr bewilligt die Stadt Köln erstmals Mittel für den Verein.

Anfang 1992 verlassen die Mädchenhausfrauen die „Büro- und Praxisgemeinschaft“ mit Frauen lernen leben e. V. auf der Venloerstraße und beziehen eigene Räume am Ubierring. Die Rheintöchter schenken ihnen zur Einweihung der Mädchenberatungsstelle ein Lied:

Sing, sing, sing, sing, Mädchenhaus am Ubierring!

Die Mitarbeiterinnen, zu dieser Zeit Henny Taraschewski, Christa Schmitz, Hildegard Pfister-Harler, Heide Valder und Frauke Mahr, engagieren sich stark für die Einrichtung einer Zuflucht für Mädchen und junge Frauen, die in Trägerschaft eines parteilich-feministischen Trägers gegeben werden sollte. Auch die Bemühungen um eine entsprechende Freizeit- und Bildungseinrichtung werden unermüdlich geführt und permanent abgelehnt. Stetig wächst dagegen die ideelle und allmählich auch materielle Unterstützung, die der Verein durch Kölner Bürgerinnen, vor allem, und Kölner Bürger erfährt.

Im Rahmen sogenannter Haushaltskonsolidierung beschließt der Kölner Rat im September 1993 mit Stimmenmehrheit der SPD und der FDP gegen die Stimmen der CDU und der GRÜNEN die vollständige Abschaffung des Haushaltstitels für die Mädchenhausarbeit.

Der Verein organisiert daraufhin für den 10. November ein Podiumsgespräch mit dem Titel „Politiker*innen verweigern Verantwortung – Über die Vernichtung des Beratungsangebots zum sexuellen Missbrauch von Mädchen in Köln“. Die Psychologin und Autorin des Buches „Seelenmord“, Ursula Wirtz, gehört zu den Fachfrauen auf dem Podium, ebenso die Bielefelder Pädagogin und Mit-Gründerin des Bielefelder Mädchenhauses Gabriele Stillger. Bei der trotz kolossal schlechten Wetters gut besuchten Veranstaltung im Jugendgästehaus Riehl ist auch die Politik vertreten. Wenige Tage später teilt der Fraktionsgeschäftsführer der SPD dem Verein mit, dass die Fraktion den Punkt noch einmal beraten werde und die endgültige Entscheidung erst einmal ausgesetzt ist. Die Frauen des Vereins machen weiter intensiv Öffentlichkeitsarbeit.

Im Dezember wird in der Antoniterkirche im Rahmen der Reihe „Stadtpredigt“ über sexualisierte Gewalt gegen Mädchen gesprochen. Es liegen Unterschriftslisten für den Erhalt der Mädchenberatung aus. Schüler*innen einer Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik sammeln ebenfalls Unterschriften und überreichen am 22. Dezember alle Unterschriftenlisten Oberbürgermeister Norbert Burger, SPD-Fraktion.

Im Januar 1994 beschließt der Kölner Jugendhilfeausschuss die weitere Förderung des Mädchenhaus Köln e. V., allerdings mit massiv gekürzter Fördersumme. Anträge auf Landesmittel bleiben lange ohne Erfolg.

Im Februar gründen Unterstützerinnen den Förderverein Mädchenhaus Köln e. V., um Ziele und Arbeit der Mädchenhausfrauen ideell und materiell zu unterstützen. In den Vorstand gewählt werden Henny Taraschewski, Karin M. Korb und Monica Decker.

Die ersten Jahre der Mädchenhausarbeit waren von existenzieller Untersicherheit und dem Kampf, mit dem Thema Mädchenarbeit überhaupt Aufmerksamkeit und Interesse zu finden, geprägt. Es gab viele Ansätze und Konzepte, Hilfeangebote für Mädchen und junge Frauen aufzubauen. Verwirklichen ließ sich zuerst die Mädchenberatungsstelle. Für eine relativ kurze Zeit (1995 – 1998) gab es auch ein Betreutes Wohnen in Trägerschaft des Vereins. In der offenen Mädchenarbeit wurde der Verein 1998 mit der Übernahme des Mädchentreffs von Bildung, Beratung und Kommunikation für Frauen e. V. in Ostheim aktiv.

Logo Lobby für Mädchen e. V.
© LOBBY FÜR MÄDCHEN e. V.

2005 ändert der Verein seinen Namen in LOBBY FÜR MÄDCHEN – Mädchenhaus Köln. Der Verein beschäftigt aktuell 23 Mitarbeiterinnen an drei Standorten in Köln, überwiegend in Teilzeit. Es gibt neben den Koordinatorinnen für die Praxisbereiche eine pädagogische Leitung, einen geschäftsführenden hauptamtlichen Vorstand, der aus zwei Frauen besteht, und einen dreiköpfigen Beirat.

Die Finanzierung der Arbeit erfolgt aus öffentlichen Mitteln und dem erheblichen Eigenanteil des Trägers. Zuwendungen von Stiftungen, Spenden, Geldauflagen aus Strafverfahren und in geringem Maß Vereinsbeiträge bilden den Grundstock für den Trägeranteil. Die finanzielle Absicherung der Arbeit ist eine permanente Herausforderung und es ist immer wieder eine extreme Belastung, den Trägeranteil aufzubringen.

Die Mitarbeiterinnen haben über die Jahrzehnte drei zentrale übergeordnete Aufgabenbereiche entwickelt und erfolgreich bearbeitet:

  • Praktische Arbeit mit und für Mädchen und junge Frauen in der Präventionsarbeit, der Mädchenberatung und der offenen Mädchenarbeit. Mädchen und junge Frauen werden in ihrer Vielfalt wahrgenommen, ihre unterschiedlichen Lebenslagen werden ernstgenommen, und sie werden mit bedarfsorientierten Angeboten unterstützt
  • Mädchenpolitische Arbeit, vor allem in der Kommune, aber auch auf Landesebene, mit dem Ziel, die strukturelle Benachteiligung abzubauen und den gesetzlichen Auftrag zur Gleichstellung umzusetzen
  • Öffentlichkeitsarbeit, die zu den vielfältigen Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen informiert und aufklärt

Die enge Verzahnung dieser Aufgabenbereiche und die konsequente Verfolgung aller Aufgabenstellungen haben die LOBBY FÜR MÄDCHEN zu einer wichtigen Akteurin in der Kölner Jugendhilfe und -arbeit und der lokalen Mädchenarbeit werden lassen.

LOBBY FÜR MÄDCHEN „klagt“ sich ein, wenn Mädcheninteressen nicht wahrgenommen, Mädchen nicht beteiligt werden.

Die Mitarbeiterinnen haben ihre Arbeit und deren Weiterentwicklung konzeptionell immer an den Bedürfnissen der Mädchen und jungen Frauen ausgerichtet, die zu ihnen kommen, sei es in der Präventions-, der Beratungs- oder der offenen Arbeit.

Alle Themen, die im Jugendalter relevant sind oder sein können, haben Platz in der Arbeit der LOBBY FÜR MÄDCHEN. Der Bevölkerungsstruktur der Stadt entsprechend, haben viele der Klientinnen/Besucherinnen eine Migrationsbiografie und auch Fluchterfahrung. Sie sind insbesondere von rassistischer Diskriminierung betroffen. Die Mädchen und jungen Frauen insgesamt erleben sexistische Diskriminierung und es gibt weitere Erfahrung von Benachteiligung und Übergriffen aufgrund von sogenannten Behinderungen und mehr.

Mit den Projekten „YUNA gegen Beschneidung von Mädchen (FGM/C)“ und „Hürden überwinden – Gewaltschutz für Mädchen mit sogenannter geistiger und/oder körperlicher Behinderung“ hat der Verein noch einmal zwei besonders herausfordernde Aufgabenstellungen übernommen.

YUNA – Prävention weiblicher Genitalbeschneidung

Jugendarbeit und Jugendpolitik muss sich danach fragen lassen, ob sie die Interessen von Mädchen und jungen Frauen wahrnimmt und vertritt. Diese Frage stellt die LOBBY FÜR MÄDCHEN gerne und ständig, in Gremien, in Arbeitskreisen, bei Gesprächen mit Ratsfraktionen und überhaupt. Die Frage nach der Verwendung öffentlicher Mittel gehört dazu. Ebenso ist das Anregen, Vorschlagen, Einfordern von mädchenspezifischen Angeboten, die Erweiterung der Räume für Mädchen und junge Frauen und die Förderung der Teilhabe ständige Aufgabe der Mitarbeiterinnen.

Nicht zuletzt ist es notwendig, dem schönen Klischee der Mädchen und jungen Frauen, die heute alles sein dürfen und werden können, Fakten über das Alltagsleben und vielfältige Benachteiligung und Diskriminierung entgegenzusetzen. Fortschritte zu benennen und Rückschritte oder neue Themen aufzuzeigen, gehört zu den Aufgaben einer parteilich-feministischen Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Mädchenhausarbeit.

Die besondere Leistung der LOBBY FÜR MÄDCHEN ist es, neben dem Aufbau der konkreten Hilfeangebote das Thema Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen in Köln platziert zu haben, in der Politik, in der Verwaltung, im Kreis der autonomen Frauenorganisationen und nicht zuletzt auch in den lokalen Medien.

Mitarbeiterinnen des Vereins sind in der Vernetzung der Jugendarbeit und der feministischen Vereine aktiv und wirken bei zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen mit. Beispielhaft sei das intensive Engagement in der „Kölner Initiative gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum“ genannt, die unter anderem das mehrgliedrige Angebot EDELGARD entwickelt hat.

EDELGARD schützt

Mit dem LOBBY-Magazin informiert der Verein Unterstützer*innen zweimal jährlich über seine Arbeit.

Drei Beispiele für Aktivitäten aus jüngerer Zeit sind:

  • Jährliche Aktionen zum UN-Welt-Mädchentag am 11.10., die Mädchen in Köln in den Mittelpunkt stellen, in diesem Jahr Initiierung einer großen Öffentlichkeitskampagne zu Kölner Mädchen und ihren Träumen, die sie gemeinsam mit dem Amt für Gleichstellung und dem Verein Handwerkerinnenhaus Köln durchführen. Schirmherrin ist Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Zu den PatInnen für die Aktion zählen Bettina Böttinger, Klaus Behrendt und andere.
  • Gemeinsam mit dem Handwerkerinnenhaus hat die LOBBY FÜR MÄDCHEN in mehrjähriger Arbeit die Einrichtung eines Fachbeirats für Mädchenarbeit in Köln erkämpft, der ein wichtiges kommunalpolitisches Steuerungsinstrument ist. Er wurde 2020 im Jugendhilfeausschuss beschlossen.
  • Mit dem Projekt „Gender fair play – Mädchen im Blick“ nimmt die LOBBY FÜR MÄDCHEN an dem Landesprogramm „Wertevermittlung und Prävention sexualisierter Gewalt in der und durch die Jugendhilfe“ teil und spricht die Zielgruppe der 10 bis 21-jährigen Mädchen und jungen Frauen mit Flucht- und/oder Zuwanderungserfahrung an.

Mit dem Dreiklang aus Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen, Mädchenarbeit und Mädchenpolitik ist die LOBBY FÜR MÄDCHEN eine beharrliche und wichtige Akteurin und Impulsgeberin geworden.

Autorin: Frauke Mahr

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