1910 wurde bereits das dritte Bahnhofsgebäude errichtet – so sehr war die Stadt gewachsen und zum Verkehrsknotenpunkt aufgestiegen. Der riesenhafte und hektische Bahnhof mit seinen dampfenden und schnaubenden Lokomotiven, schrill ausrufenden Kofferträgern, herumstreifenden Flaneuren, mit verlockenden Läden und Warteräumen für die verschiedenen gesellschaftlichen Stände wurde von vielen Zeitgenoss*innen als ein Ort wahrgenommen, von dem eine Gefahr für Frauen und Mädchen ausging. Die Sorge betraf vor allem Dienstmädchen, die an der Wende zum 20. Jahrhundert die größte Gruppe der Arbeitsmigrant*innen ausmachten.

© Das Frauenbuch Bd.III, Eugenie von Soden (Hrsg.), Franck-Verlag Stuttgart 1914

Ein Raum des Gebäudes wurde daher dem sogenannten Mädchenschutz, einem Schutzdienst für weibliche Reisende, zur Verfügung gestellt. Damen der besseren Gesellschaft betreuten dort allein reisende junge Frauen. Viele der mittellos angereisten Mädchen mussten, bevor sie eine Stellung fanden, in Hauseingängen logieren.

Es waren diese Frauen, die die Bahnhofsmissionen erfanden. Zuerst entstand die katholische Bahnhofsmission (die zweite Deutschlands), dann die evangelische, schließlich eine jüdische Bahnhofshilfe. Minderjährige und ortsfremde junge Frauen wurden fortan an den Bahnsteigen abgepasst, damit sie nicht den – so die Schutzdamen – dort lauernden Schlepper*innen in die Hände fielen, die sie in Bordelle oder sogar ins nahegelegene Ausland verbringen wollten. Ausgerechnet das katholische Rheinland galt als Zentrum des Mädchenhandels! Bereits im ersten Jahr ihres Bestehens vermittelte die Kölner Bahnhofsmission in 2.000 Fällen Rat und Hilfe an Reisende. Um 1909 setzten sie die Einrichtung eigener Frauenwartesäle durch, die bald mit Kiosk und Telefon ausgestattet wurden. 

Es ist ganz unglaublich, mit welcher Vertrauensseligkeit, um nicht zu sagen, mit welchem Leichtsinn, Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen sind, in die große Stadt kommen, oft mit, oft ohne Wissen ihrer Eltern, um eine gute Stelle zu suchen. In einem Falle hat sich ein 15 jähriges Mädchen die Base an den Bahnhof bestellt…; es sitzt nun in der Halle und wartet, und wir erfahren, dass es innerhalb 20 Minuten dreimal von Männern angesprochen und fortgelockt wurde.

Gräfin Christiane von Preysing, Seite 38, zitiert nach Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon

Autorin: Irene Franken